Von den Anfängen der Albizzi bis zum Aufstieg in das Patriziat
Romantisierte Darstellung des "unbekannten Albizzi", der um 1430 Palatina erreichte.
Die Albizzi stammen von der gleichnamigen florentinischen Patrizierfamilie ab, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts von Cosimo de‘ Medici vertrieben wurde und von denen ein Nachfahre in den 1430ern Zuflucht in Palatina fand. Dieser eröffnete 1437 die Bäckerei „Panificio d’oro“ in der Contrade „Zwischen den Flüssen“ von San Paolo. Der Name des Ahnherrn der palatinischen Albizzi hat die Zeit verschlungen, die alte Bäckerei wurde 1654 ein Raub der Flammen; allerdings hat der Bäckermeister trotz des Stadtbrandes das von Leonardo Albizzi (+1556) begonnene Familienbuch retten können, sowie das einstige Aushängeschild mit der Jahreszahl. Die Albizzi haben nie Wert auf ihre florentinische Vergangenheit und das damalige Renommee gelegt, jedoch einen außerordentlichen Familienstolz bewahrt, der ein Hauptmotiv dafür ist, weshalb diese eingesessene Bäckerdynastie über ihre eigene Geschichte so hervorragend unterrichtet ist.*
Die Albizzi treten bereits ab dem 16. Jahrhundert prominent ins Licht der Palatiner Geschichtsschreibung. Der legendäre Palio-Reiter Giovanni Albizzi errang für San Paolo siebenmal den Sieg beim Palio, starb allerdings bereits mit 37 Jahren bei einem Unfall. Seine beiden Söhne Rinaldo (3 Siege) und Leonardo (4 Siege) beerbten ihn. Leonardo ist zudem der erste Albizzi, der auch als Zunftmeister der Bäcker nachgewiesen ist. Nach über hundert Jahren drohte die damals schon traditionsreiche Bäcker-Dynastie auszusterben, da Leonardos einziger Sohn an der Pest starb und seine Tochter Lidia mit fast 30 Jahren immer noch nicht geheiratet hatte. Dies war der eigentliche Anlass für Leonardo, seine letzten, von der überlebten Pesterkrankung gezeichneten Lebensjahre auf das Familienbuch zu verwenden, um wenigstens der Nachwelt ein Andenken zu hinterlassen. Vielleicht spekulierte Leonardo auch darauf, dass man über die verschiedenen Albizzi-Ahnen doch noch einen unbekannten Seitenzweig entdecken konnte, um das Geschäft weiterzugeben.
Lidia Albizzi leitete den Familienbetrieb ab 1556 alleine.
Lidia Albizzi (*1533) führte die Palio-Tradition der Familie erfolgreich fort und bekleidete zum ersten Mal im Jahr 1560 das Meisteramt der Bäckerzunft. Den Fortbestand das Familienunternehmens sicherte sie auf Wegen, die bis heute nicht ganz geklärt sind. Laut dem Albizzi’schen Familienbuch heiratete Lidia nie, hatte aber einen illegitimen Sohn (*1571), der deswegen ebenfalls den Namen Albizzi trägt. Er trat in ihre Fußstapfen als Bäcker, weswegen Geschäft wie Name gesichert blieben. Die Albizzi blieben für ein weiteres halbes Jahrhundert die Palio-Familie San Paolos, Lidia soll mindestens fünfmal den Palio gewonnen haben. Über den Vater grassieren bis heute Spekulationen.
Eine Zäsur trat unter Lidias Enkel Leonardo Albizzi (1610-1655) ein. Leonardo** eröffnete 1641 die zweite Filiale der Albizzi in der Città Nuova, direkt an der Via Antica zwischen Messingbrücke und Marktplatz. Ihr Name lautete „Pan di San Leone“. Die Familie hatte mittlerweile genügend Geld angehäuft, um sich eine solche Expansion leisten zu können. Leonardo, der mehrmals das Amt des Zunftmeisters der Bäcker bekleidete, wurden Ambitionen auf den Patrizierstand nachgesagt. Ursprünglich hatte er vorgesehen, dass sein älterer Sohn Paolo (1626-1668) die Bäckerei in San Paolo übernehmen, sein jüngerer Sohn Piero (1629-1713) hingegen den neuen Betrieb in der Città Nuova führen sollte. Beide Läden sollten jedoch im Besitz des älteren Bruders bleiben, um dessen Chancen auf den gesellschaftlichen Aufstieg zu erhöhen.
Der große Stadtbrand von 1654 stellte jedoch ein jähes Ende von Leonardos Ambitionen dar. Die Albizzi-Bäckerei „Panificio d’oro“, die seit Generationen Stammbäckerei und Wohnsitz war, brannte komplett ab. Nur einige persönliche Gegenstände konnten gerettet werden – darunter waren die berühmte Schwarze Perle, das Familienbuch und die Delikatessenbücher mit Geheimrezepten. Angesichts der Katastrophe, welche die Familie um Jahrzehnte zurückwarf, soll Leonardo kurz darauf aus Gram gestorben sein. Eher aus Not denn aus Willen siedelten die Albizzi in die Bäckerei der Città Nuova um. Die beiden Brüder führten das Geschäft für einige Jahre zusammen, bis es aufgrund unüberbrückbarer Differenzen zum Streit und schließlich sogar Bruch kam. Paolo führte den Familienbetrieb fort, Piero ging dagegen auf die Waltz, um sein Bäckerhandwerk zu verbessern. Die Legende will es, dass sich die Geschwister über
die richtige Zubereitung einer Süßspeise so zerstritten. Paolo soll Piero mit einem Backblech vermöbelt haben, Piero wiederum die Bäckereitüre ausgehebelt haben um sich damit zu verteidigen.
Piero Albizzi leitete das Geschäft von 1669 bis 1700 und richtete das angeschlagene Geschäft wieder auf.
Erst 1669 kehrte Piero wieder nach Palatina zurück, da Paolo verstorben war und nur eine minderjährige Tochter hinterließ. Piero fand einen stabilen Betrieb vor, der die Schulden aus Leonardos Zeiten wenigstens teilweise abgetragen hatte. 30 Jahre voller Schweiß sollte es ihn kosten, damit die Albizzi wieder in San Paolo Fuß fassen konnten: Piero eröffnete 1700 eine neue Filiale. Im Gegensatz zu der ursprünglichen Bäckerei war diese jedoch nicht nur kleiner, sondern hatte am Paulusplatz auch einen anderen Standort. Nachdem er dieses Lebensziel erfüllt hatte, dass die Albizzi am Ende seines Lebens wieder den Rang errungen hatten, den sie am Anfang seines Lebens besessen hatte, setzte er sich zur Ruhe und übergab seinem ältesten Sohn Giuseppe die Geschäfte. Damit führte Piero die Tradition in der Familie ein, dass sich die Bäckermeister mit ihrem 61. Lebensjahr aus dem aktiven Arbeitsleben zurückzogen.
Piero ist außerdem dafür bekannt, dass er im Jahr seiner Rückkehr den Palio gewann; das ist auch deswegen bemerkenswert, weil er damals für San Paolo ritt, statt für die Città Nuova, in der er wohnhaft war. Danach ritten die Albizzi nur noch für die Città Nuova. Einige behaupten, es läge seitdem ein Fluch auf der Familie: mit dem „Verrat“ an San Paolo verloren die Albizzi auch ihr Reitglück. Pieros Palio war der letzte, den ein Albizzi gewann.
Giuseppe, der den Familienbetrieb von 1700 bis 1731 leitete, legte die entscheidenden Grundsteine für das spätere Patriziat der Albizzi.
Giuseppe Albizzi*** (1672-1740) vergrößerte das Vermögen der Albizzi stetig und bekleidete auch mehrmals das Amt des Zunftmeisters. Über eine Tante, die sein Vater mit einem befreundeten Müller von Mulino verheiratete hatte, begannen engmaschige Kontakte zum Müllerkombinat. Giuseppe initiierte eine kontinuierliche „Mehlroute“ zwischen Mulino und Palatina mit selbst gekauften Booten, welche die beiden Bäckereien über Wasser belieferten. Zuletzt sollten die Albizzi sogar vor Ort eine eigene Wassermühle kaufen, sehr zum Missfallen des eingesessenen Kekskombinats. Die Idee, eine dritte Bäckerei zu eröffnen, konnte er nicht mehr verwirklichen, legte dafür aber die entscheidenden Weichen. Der steigende Einfluss und Reichtum der Albizzi wurde vom damals herrschenden Patriziat mit Wohlwollen beobachtet.
Einzig Giuseppes Pechsträhne beim Palio wirft ein getrübtes Licht auf die eigene Lebensleistung. Der Albizzi hatte den Ruf eines „ewigen Zweiten“, dem das letzte Quäntchen Glück fehlte, um als erstes sein Ross über die Ziellinie zu peitschen. Giuseppe galt als ausgezeichneter Reiter, den die dümmsten Zufälle am Sieg hinderten. Bei seinem letzten Palio drohte er wieder nur Zweiter zu werden – und verursachte deshalb absichtlich einen Unfall, um nicht wieder Ziel des Spotts zu werden.
Giuseppes jüngstes Kind, Francesca, ist zudem berühmt dafür, das letzte Hermelin Palatinas besessen zu haben. "Fridolin" verschwand unter bis heute
ungeklärten Umständen im Jahr 1735.
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*Historiker halten die Abstammung von den florentinischen Albizzi für eine blanke Erfindung des 18. Jahrhunderts; im Zuge der Erringung des Patriziats habe man diese Herkunftsgeschichte gesponnen, um sich wichtiger zu machen, als man war.
**Da Leonardo einer der Leitnamen der Albizzi-Sippe ist, wird er zur Unterscheidung auch als „Leonardo, der Hungrige“ bezeichnet. Ob mit dem Namen sein grenzenloser Ehrgeiz oder seine zerstörten Ambitionen illustriert werden sollten, oder gar seine prekäre Situation kurz vor seinem Tod, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.
***Da die Dynastie zwei Familienoberhäupter dieses Namens kennt, hat sich der Spitzname „Giuseppe, der Zweite“ eingebürgert, wobei einige vermuten, dass dies eher auf die Palio-Niederlagen denn auf die Abstammung zurückzuführen ist.