Die „Reaktion von 1792“

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Die Signoria
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Die „Reaktion von 1792“

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Die „Reaktion von 1792“

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Einführung

Mit der „Reaktion von 1792“ ist jener weitreichende Politikwechsel gemeint, mit dem die Dritte Republik endgültig beendet und die Herrschaft des Dogen – zumindest größtenteils – wiederhergestellt wurde. Im weiteren Sinne betrifft das Ereignis aber auch den komplexen Wechsel des politischen Systems insgesamt, so etwa die Erosion der bis dahin bekannten Parteien und deren Transformation in neue, sowie das Widererstarken der Nobilität und des Senats und das Inkrafttreten des „Contratto“.

Von Anfang an stellte die Reaktion dabei eine „Gegenbewegung“ zu den revolutionären und liberalen Umtrieben in Europa dar, namentlich der Französischen Revolution von 1789 und der polnischen Verfassung von 1791. Einige Historiker bezeichnen sie deswegen als Kuriosität, weil sie im völligen Gegensatz zum Zeitgeist auftrat. Diese Deutung ist jedoch problematisch. Einerseits, weil die Reaktion von 1792 bereits vorgeprägt war von anderen Ereignissen; Palatina war zwar eine kleine Republik vernachlässigbarer Bedeutung, doch war sie diplomatisch weiterhin sehr gut vernetzt, und insbesondere das diplomatische Korps aus Nobili erlebte die Bedrohungslage aus nächster Nähe.

Zugleich sollte „Reaktion“ nicht mit „Rückschritt“ verwechselt werden. Die Beteiligten sahen sich zwar nicht als Liberale oder Progressive, jedoch als „Reformer“ im Wortsinn: nämlich als Leute, die moderne Missstände wieder in „alte, gute Formen“ überführen wollten. Aus Sicht der Reaktionäre hatte die Dritte Republik und ihr parlamentarisches System abgewirtschaftet. Die Restaurierung der Dogenmacht, des Senats, und die Zurückdrängung der Befugnisse von Dogenberatern und Parlament galt nicht als Wille zu altmodischen Bräuchen, sondern als notwendige „Erneuerung“, um Palatina auf die Zukunft vorzubereiten.

Zudem ist die Rückkehr der Nobilität zur Führungsschicht nicht auf ein einzelnes Jahr beschränkt, auch wenn das Schlagwort anderes suggeriert. Das „Interregnum“ von 1789 bis 1792 war zwar bedeutend, um die politischen ideale einer neuen Generation durchzusetzen, aber auch hier fand bereits seit Jahren Vorarbeit statt. Auch die neue Führungsclique sieht ihr Projekt als nicht abgeschlossen an: noch immer gibt es eine Vielzahl Beamter an wichtigen Schnittstellen, die dem „alten System“ entstammen, und die Zustände, wie sie in der Zweiten Republik bestanden, sind nur teilweise wiederhergestellt worden. Es handelt sich daher um einen Prozess, der mit dem Jahr 1792 noch nicht abgeschlossen ist.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Ursachen der Reaktion

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Umberto Umberti da Umberto gilt als letzter regulärer Patrizierdoge (1775-1788)

Bereits in den 1770ern war das System der Dritten Republik sichtbar an seine Grenzen gekommen. Die schwache Exekutive brauchte die Hilfe des Militärs, um Beschlüsse in die Tat umzusetzen. Zugleich nahm die liberale Agitation zu, was zeitweise nur mit einem Verbot aufklärerischer Vereinigungen unterdrückt werden konnte, allerdings nur von wenig Erfolg gekrönt war. Obwohl das Parlament der Souverän der Republik war, konnte es nicht mehr wie ein Souverän agieren und befand sich aufgrund seiner Schwäche in baldiger Abhängigkeit anderer Kräfte.

Der Abstieg Palatinas ließ aber nicht nur den Liberalen genügend Raum, um ihre eigenen Vorstellungen einer „neuen Republik“ kundzutun. In der Nobilität, die man samt Senat seit der Dritten Republik de facto entmachtet hatte, bildeten sich Kreise, die an einer Rückgewinnung der politischen Herrschaft interessiert waren.

Dazu gehörten nicht nur die Nobili selbst. Auch viele Beamte waren mit der Inkompetenz des Parlaments unzufrieden und wendeten sich an die alten palatinischen Familien. De jure hatten sie zwar nur noch Zugriff auf wenige Ämter, wie etwa das der Richter. Ihr Landbesitz, der Draht zum Militär und ihr Beziehungsnetz war jedoch de facto ein nur ruhender Machtfaktor. Auch bei den Offizieren setzte sich immer mehr die Überzeugung durch, dass die Nobili ein geeigneter Partner waren als die Parteien des Parlamento. Abgeordnete kamen und gingen, und mit ihnen Zusagen und Kompromisse; die alten Familien blieben dagegen und verfolgten generationenlang ihre Ziele.

In dieser Situation bildete sich daher nicht nur am radikalen liberalen Rand langsam eine freimaurerisch-umstürzlerische Bewegung aus, die basierend auf Menschenrechten, Demokratie und anderen Idealen eine „neue“ Republik wollten; sondern auch am konservativen Rand gärte es entsprechend. Die neue Gesinnung nannte sich „reaktionär“, weil sie eine „Reaktion“ auf das Jahr 1733 sein sollte, als die Dritte Republik die Zweite ablöste. Die Reaktionäre wollten die alte Ordnung wiederherstellen; sie waren jedoch in diesem Sinne keine Traditionalisten, weil sie durchaus zu Reformen und Modernisierungen bereit waren, wenn es dem palatinischen Staat nützte, um diesen wieder auf Vordermann zu bringen.

Bereits zu Lebzeiten beobachteten dabei insbesondere konservative Sympathisanten, dass die „Ritter von San Leone“ – die sich 1784 gebildet hatten – einige Ideen der Liberalen aufnahmen, sie aber umkehrten. So spielten sie mit der patriotischen Idee, die sie aber als höher einschätzten als die universellen Menschenrechte. Zudem empfahlen sich die Reaktionäre als „deutliche Antwort“ auf die liberale Bewegung, da sie radikaler und kompromissloser gegen diese agitierten.

Die Ritter von San Leone, ein Bund von jungen Männern aus der Nobilität, hatte dabei sehr früh ihre Forderung vorgelegt: Wiederermächtigung des Dogen zum echten Staatsoberhaupt der Republik; Zweikammersystem von Parlament und Senat; Beschneidung der Macht der Dogenberater; Modernisierung und Straffung der Verwaltung; Primat des Staates; Rückkehr zur Bedeutung des 16. Jahrhunderts.

Die bekanntesten Ritter waren bzw. sind:

- Michele di San Trovaso
- Riccardo d’Alano
- Adriano Braccioleone
- Marco Foscari
- Numitore dell’Ulivo
- Gianfranco Capuletti
- Desiderio Vargazza

Daneben gibt es noch unbekanntere oder nie offiziell aufgedeckte Cavalieri, die in Politik und Verwaltung die Fäden zogen und immer noch ziehen. Desidierio Vargazza spielte bei dieser Verflechtung eine besondere Rolle. Während die meisten Männer bei Gründung der Cavalieri di San Leone zwischen 16 und 25 Jahre alte waren, hatte der alte Vargazza noch als Kind erlebt, wie sein Vater als Senator Rückzugsgefechte für Leone Semifreddo ausfocht. Er hatte entscheidenden Anteil bei der Vernetzung der Ritter mit vielen wichtigen Persönlichkeiten. Deren erklärtes Ziel war nichts Geringeres als die Besetzung strategischer Posten im Militär, der Kirche, der Verwaltung und im Kulturbereich, um die verhasste Dritte Republik zu stürzen und die Gefahr, die vonseiten der Liberalen drohte, aufzuhalten. Paradoxerweise waren viele der Ritter von San Leone selbst Leser aufklärerischer Schriften, die sie zu ihrem Vorgehen inspiriert hatten.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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