Das Aussterben der Hermeline

Hier stehen alle wichtigen Informationen zu Kultur, Administration, Geschichte, Natur, Militär und Wirtschaft Palatinas im ausgehenden 18. Jahrhundert.
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Die Signoria
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Das Aussterben der Hermeline

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Fridolin, das letzte Hermelin

Vom letzten Hermelinpelz Palatinas 1735

Was in Frankreich der Hahn und in England der Löwe ist, war für die alten Palatiner das Hermelin. Bereits in antiken Traditionen galt dieses Tier als Symbol der Stadt. Der antike Name für Palatina war Mustela, was unzweifelhaft ein Hinweis auf die Bedeutung darstellt. Seit der Stadtkommune im Mittelalter war das weiße Hermelin auf schwarzem Grund Wappen und Gonfalon – das heißt: Ehrenflagge – der Stadt und Republik. Bedeutende Familien nahmen es in ihre Wappen auf, und jeder Doge kombinierte bei seinem Amtsantritt das eigene Schild mit dem Zeichen Palatinas. Seit der Zweiten Republik trugen die Herrscher Hermelinfell auf Schulter und Rücken. In kleinerer Form war es der Schmuck der Dogetieri, der Leibgarde und Elitekampftruppe der Republik. Es bleibt daher festzuhalten: das Hermelin war mit Palatina aufs Engste verbunden. Wie aber konnte es dann dazu kommen, dass seit dem 18. Jahrhundert keine Hermeline mehr Erwähnungen zeitgenössischer Berichte finden, und auch als Eintrag in Kochbüchern in der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts verschwanden?

Das Aussterben des maccaronischen Knusperhermelins

Die in der Republik beheimatete Spezies des maccaronischen Knusperhermelins war noch im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert weit verbreitet. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Hermelin besaß diese heute ausgestorbene Delikatesse ein exzellentes Fleisch, das zum Kochen, Backen, Braten und Grillen verwendet werden konnte. Es hatte demnach dopelte Bedeutung: einmal waren Hermelinfelle in Europa kostbar und gefragt, was den Export palatinischer Hermelinfelle zu einem wichtigen Gut der palatinischen Wirtschaft machte, andererseits konnte das Fleisch zum Essen verwendet werden. Mit dem Absinken der Handelsbilanz und dem Einbruch des Mittelmeerhandels mussten die Palatiner nach neuen Geldquellen suchen. Mit der Zerstörung des traditionellen Wirtschaftsgeflechtes nahm daher die Jagd auf Hermeline immer weiter zu. Untere Schichten der Republik, die ab der Mitte des 17. Jahrhunderts verelendeten, widmeten sich der Hermelinjagd, um über die Runden zu kommen. Die Felle wurden massenweise ins Ausland weiterverkauft, der Wildbestand der Hermeline ging insbesondere in den Weiden und Wiesen der Republik zurück. Schätzungen gehen davon aus, dass in den wenigen Jahren zwischen 1650 und 1690 rund 70% der Hermelinpopulation ausgerottet wurde, um auf den Schultern und Häuptern der Reichen und Mächtigen zu thronen. Der Naturphilosoph Silvano kritisierte bereits 1678: „Im Laubwald raschelt es nicht, in den Büschen der Hügel ist kein weißer Schimmer. Es scheint, als hätten sich die Hermeline, unsere stolzen Tiere, ins tiefste Dickicht der Wälder zurückgezogen. Und bei Schnappinos Würstchenbude kostet die Hermelinwurst bereits 7 Lire!“

Wie kontraproduktiv sich diese Entwicklung zeigen sollte, und wiederum das Gros der Bevölkerung betraf, zeigte sich in den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts. Viele Hermelinjäger waren insolvent geworden, da sie keine Tiere mehr fanden. Neben diesem Handelsausfall kamen Preissteigerungen für Hermelinfleisch dazu, welche insbesondere die Unterschicht und Mittelschicht Palatinas betraf. War früher Hermelinfleisch eine billige, leicht erhältliche Speise gewesen, so konnten ab dem 18. Jahrhundert nur noch die Oberschicht dieses beziehen. In den 1720er fand man selbst im tiefsten Mischwald keine Hermeline mehr.

Das Verschwinden der Hermeline und Palatinas Niedergang

„Wenn die Hermeline Palatina verlassen, steht der Untergang der Republik bevor“, sagt eine alte Legende aus dem Mittelalter, welche im Märchen des Silberhermelins von Cannelloni erwähnt wird. Tatsächlich war ist dies nicht sehr weit hergeholt. Heutige Historiker gehen davon aus, dass der Wegfall des Hermelinbestandes, der Einbruch des Fellexports, und der rasante Preisanstieg für Nahrungsmittel letztendlich für die vielen Krisen der Republik seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mitverantwortlich waren. Das Verschwinden der Hermeline war also tatsächlich ein Grund für den Niedergang. Vereinigung wie jene für angeknabberte und halbverzehrte Hermeline kündigten an, dass man dies schon seit Jahrhunderten angemahnt hätte, und Palatina nun für seinen ruchlosen Umgang mit den Tieren die Rechnung zahlen müsste.

Die Regierung unter Leone Semifreddo versuchte noch dagegen anzugehen. Ein Gesetzesentwurf sah vor, dass Hermelinfell in Palatina nur noch dem Dogen vorbehalten sei, und der Export auf ein Höchstmaß von 50 Fellen beschränkt werde. Allerdings dauerte es Jahre, bis dieses Gesetz durch den Rat kam, da die Patrizier in ihrem damaligen Aufstand der Cospirazione jedwede Gesetzgebung blockierten – Jahre, in denen die Population weiter dezimiert wurde. Als die Lex Erminae dann endlich 1733 mit dem Antritt des ersten Patrizierdogen verabschiedet wurde, war man sich bereits bewusst, dass man die 50 Felle nicht einmal mehr ansatzweise erreichen würde. Man hatte bereits seit drei Jahren keine Hermeline mehr in freier Wildbahn gesehen.

Fridolin, das letzte Hermelin von Palatina?

Das einzig bekannte Hermelin in den Grenzen der Republik war das Haushermelin der Familie Albizzi, Fridolin, benannt nach dem legendären Hermelin von Cannelloni. Die Albizzi hatten über Generationen den Verzehr von Hermelinfleisch gegeißelt, da sie selbst traditionsgemäß diese Tiere hielten. Fridolin befand sich in der Obhut der jüngsten Tochter der Familie, Francesca Albizzi. Die kleine Francesca und Fridolin erlangten eine gewisse Berühmtheit in Palatina, da man diese oft durch die Straße spielen, toben und streunen sah. Geldangeboten von Nobili, das Spiel- und Schmusetier des Kindes als Rarität zu ersteigern, erteilte der Vater Giuseppe stets eine Absage. Viele Bürger sahen das Hermelin als Symbol der Stadt an, und waren über die Entscheidung des Vaters erleichtert, da man befürchtete, dass ein versnobter Neureicher es vermutlich zu seinem Ziel machen könnte, den letzten Hermelinpelz für sich zu beanspruchen.

Doch im Jahr 1735 verschwand das Hermelin auf mysteriöse Weise. Die Umstände sind bis heute nicht ganz geklärt. An ihrem 10. Geburtstag wachte Francesca ohne Fridolin auf, welcher des Nachts auf ihrem Bauch nächtigte. Giuseppe Albizzi gab sofort eine Suchkommission in Auftrag und überredete mit schlagfertigen Argumenten die Stadtwache zu einer 48stündigen, pausenlosen Sonderschicht. Ein Großteil der Bevölkerung Palatinas rottete sich zu Suchtrupps zusammen, um das Hermelin zu finden. Albizzi machte aus seinem Misstrauen keinen Hehl, dass jemand das Hermelin entführt hatte, um sich mit dem letzten palatinischen Pelz einzukleiden.

Der Verbleib Fridolins: ein Rätsel der Geschichte

Tatsächlich rückt die Wissenschaft von Albizzis Argwohn seit einigen Jahren vermehrt ab. Die aufgeheizte Stimmung in Palatina hätte den Entführer wohl das Leben gekostet. Und selbst die palatinische Justiz wäre wohl nicht glimpflich mit dem Täter verfahren, da es sich immerhin um das letzte Tier jener Rasse gehalten hätte, die den Staat repräsentierte. Hätte sich also jemand des Hermelinpelzes bemächtigen wollen, wäre es ihm niemals möglich gewesen, diesen zu tragen, da er mit solchen Reaktionen rechnen musste.

Schon bald machten allerlei Gerüchte, Erzählungen und Legenden die Runde, was den Verbleib des letzten Hermelins von Palatina betraf. Während Francesca Zeit ihres Lebens dabei blieb, dass Fridolin „weggelaufen“ sei, begnügte sich der gewöhnliche Bürger nicht mit solchen einfachen Erklärungen. Schon 1738 brachte Sergio Serleone den Bestseller „Das Schweigen des Hermelins“ heraus, demnach Fridolin von Hermelinfanatikern entführt worden sei, um mit diesen ausschweifende Fortpflanzungsversuche zu unternehmen. Hermelinprotestgruppen skandierten dagegen, Fridolin habe um sein Schicksal gewusst und sei geflohen, um dem eigenen Tod zu entgehen. Geistliche in Cannelloni warben damit, Fridolin auf seiner Flucht in ihrem Ort gesehen zu haben. Mit der Zeit wurden immer waghalsigere Verschwörungstheorien laut: Fridolin sei in der Nacht auf einem Pferd gen Himmel aufgestiegen, um seine toten Verwandten zu besuchen („Fridolins Himmelsfahrt“ wurde später sogar in der Kirche von Cannelloni, San Zaccaria, verewigt). Andere skandierten, der Hermelinbund hätte das Tier in seine Obhut genommen, um dieses zu schützen, wieder andere glaubten an irgendeinen bösen Geheimorden, der damit ein Verhältnis zwischen Jesus von Nazareth und Maria Magdalena verheimlichen wollte (was auch immer Fridolin damit zu tun hatte). Populäre Legenden behaupteten wiederum, Fridolin sei entweder auf eine Insel oder in einen Berg entrückt worden, und wartete auf den Tag, an dem Palatina in größter Not steckte, um dieses dann zu retten und ein neues Goldenes Zeitalter zu bescheren. Wieder andere befürchteten, dass, sollte Fridolin zurückkehren, der Zorn der unzähligen getöteten Hermeline auf die Palatiner herabkäme und das Ende der Zeit bevorstände.

Im Nachhinein deuteten die Palatiner das Verschwinden des letzten Hermelins kurz nach dem Amtsantritt des ersten Patrizierdogen Leocorno als schlechtes Omen für den weiteren Verlauf ihrer Geschichte. Dass die 3. Republik mit dem Aussterben ihres Stadtsymbols begann, war für viele ein bedeutendes Zeichen – das sich in den nachfolgenden Jahrzehnten bewahrheiten sollte. Die nachfolgenden Dogen mussten ihren Hermelinpelz aus dem Ausland importieren.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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