Der Campo della Trinità

Das Viertel der Fischer und Arbeiter ist der dichtbewohnteste Stadtteil Palatinas. Mit dem handelspolitischen Niedergang der Republik hat das Militär und die Waffenmanufaktur hier deutlich an Einfluss gewonnen. Die Cittadella und das Arsenal sind militärisches Sperrgebiet.
Benutzeravatar
Die Signoria
Im Namen der Republik
Im Namen der Republik
Beiträge: 100
Stadtteil: Città Antica
Gesinnung: Reaktionär

Der Campo della Trinità

Beitrag von Die Signoria »

Der Campo della Trinità, der Hauptplatz der Contrade

Bild

Einst war der Campo della Trinità der zentrale Platz der Contrade "Feste Inseln". Hier lagen die gleichnamige Pfarrkirche, die Zisterne und das Haus des Pretore, des Contradenvorstehers, welcher dem Dogenberater von San Pietro unterstellt war.

Doch diese Kapitel liegen heute genauso im Dunkeln wie die Gassen dieses Distrikts. Die Schemen haben ihren Charakter verloren; doch Gesindel und Gauner suchten sich woanders ihre Bleibe. Im Zuge des Aufstiegs der Zitadella und der "Militarisierung" des Westens von San Pietro, wucherte das Elend vom Nordwesten in den Südwesten des Fischerviertels. Nicht nur Bevölkerungswachstum, grassierende Armut und Verdrängung des Gesindels aus den Schemen hat dem Abstieg von Santa Trinità den Weg bereitet, sondern auch der Bau der Manufaktur, die in dieser Contrade liegt: die Arbeiter und ihre Familie leben größtenteils hier.

Der Campo selbst gilt als verwahrlost. Dazu hat auch die Teilung der "Festen Inseln" in die Contraden Santa Trinità und Sant'Anselmo beigetragen; während der östliche Teil der einstigen "Festen Inseln" eine neue Pfarrkirche erhielt und wenigstens ein geringes Niveau behalten konnte, lebt in Santa Trinità der Bodensatz, der nicht mehr zur Erhaltung der nötigsten Grundlagen fähig war. Die Kriminalität machte diesen Bezirk so unattraktiv, dass selbst die Geistlichen sich bald nicht mehr hierher trauten. Die Pfarrkirche Santa Trinità ist heute eine Ruine, im Haus des Prätors ist ein Bordell, und der Platz wurde seit 60 Jahren nicht mehr gepflegt. Nur noch die Zisterne tut ihren Dienst wie vor 250 Jahren.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

Benutzeravatar
Luca
Beiträge: 41
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo

Re: Der Campo della Trinità

Beitrag von Luca »

Etwas benommen biegt Luca aus einer schimmeligen Gasse auf den Campo. Sein Ziel ist die örtliche Zisterne. Zum einen hofft er wenigstens das gröbste Blut aus seiner Kleidung heraus waschen zu können – denn ein anderes Hemd hat er nicht – zum anderen bemerkt er langsam auch wie durstig er sich fühlt. Genau besehen hatte er auch noch nichts gegessen. Wie vom Teufel gerufen spürt er sogleich ein Gluckern in seiner Magengrube.

Sein Blick huscht verstohlen über das schwache Licht eines nahestehenden Gebäudes. Eigentlich will er es nicht sehen, geschweige denn HINsehen, doch außer dem Licht vernimmt er auch den fettig-würzigen Geruch gehaltvoller Speisen aus dieser Taverne. Nein… er will dort nicht hin. Generell nicht. Und SO schon gar nicht!

Entschlossen wendet er das Gesicht zur Zisterne vor ihm. Das musste reichen. Außerdem war es überhaupt nicht nötig, wirklich jeden Tag etwas zu essen.

Mit der geschöpften Ladung Wasser wäscht er sich zuerst das Blut aus dem Gesicht. Die Kühle tut unglaublich gut, doch jede Berührung verursacht einen brennenden Schmerz. An ein wirkliches Schrubben ist nicht zu denken, und er hat keine Ahnung wieviel vetrocknetes Blut wohl noch in seinem Gesicht klebt.

Nein. So geht er auf keinen Fall in die Taverne!

Wieso denkt er überhaupt schon wieder daran? Er hatte sich doch bereits entschlossen diesen Ort bald möglichst wieder zu verlassen.

Auf keinen Fall wird er als Bittsteller dort aufschlagen, keine mitleidigen Nachfragen zulassen, so würde ihn niemand sehen, schon gar nicht Giacomo.

Ah verdammt! NICHT - DARAN – DENKEN!

Luca zieht sich unsacht das Hemd über den Kopf und stülpt es in den Eimer. Mit kräftigen, ärgerlichen Bewegungen schrubbt und knetet er es in der Hoffnung auch das angetrocknete Blut noch aus der Faser zu reiben und dabei nicht an gebratenes Fleisch zu denken, nicht an dampfende Kartoffeln, oder Haselnussschnaps, der sicherlich die Schmerzen in seinem Gesicht – zumindest für einen Moment – lindern würde.

Luca beißt sich auf die Unterlippe. Nein! Er wird nicht daran Denken wie Giacomo diesen an irgendwen aussschenkt, wie er ihm selbst diesen verwehren würde, oder wie sie sich so fürchterlich gestritten hatten, bevor er wutentbrannt gegangen war. Wie er Giacomo angebrüllt hatte, weil er so außer sich war, obwohl er selbst nicht wirklich wusste warum. Nicht, wie er beim Weg nach draußen das kleine Kruzifix von der Wand gerissen und auf dem Boden zerborsten hatte, und erst recht ganz und gar überhaupt nicht wie gerne er sich jetzt einfach auf eine der Holzbänke in der Ecke am Tresen setzen, und sich dort an die Wand lehnen wollte. Nein.

ER

WÜRDE

JETZT

schrubbt er das Hemd an der Eimerwand entlang

NICHT

DARAN

DENKEN!
Me ne frego!

Benutzeravatar
Luca
Beiträge: 41
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo

Re: Der Campo della Trinità

Beitrag von Luca »

Luca hebt das Hemd aus dem Kübel, betrachtet es sich im fahlen Licht das es von Sternen und Taverne herüber schafft. Natürlich ist überhaupt nichts zu erkennen. Der Stoff ist triefnass und beinahe genau so triefend schwarz. Wütend knüllt er das Kleidungsstück zusammen, wirft es mit trotzigem Nachdruck zurück in den Eimer.

Er weiß nicht was los ist, eigentlich gibt es überhaupt keinen Grund sich jetzt so aufzuregen. Gerade noch kann er sich davon abhalten auch noch den ganzen Eimer gegen den Stein der Zisterne zu schmettern.

Stattdessen fühlt er sich plötzlich unglaublich erschöpft, lässt sich über dem Kübel herab sinken, die Arme auf dessen Rand gestützt, die Stirn auf die Unterarme gelegt. Schwer atmend starrt er auf dem Boden kniend in die Schwärze vor seinen Augen, spürt die kühle Luft die aus dem Wasser aufsteigt auf seinem Gesicht. Eine einzelne Träne rinnt aus seinem Augenwinkel auf die Wange, fällt von dort herab und vergeht auf der Wasseroberfläche.

Entschlossen schluckt Luca die angestaute Frustration herunter.
Dann, unsicher, beinahe zaghaft wendet er das Gesicht zurück zu den warm scheinenden Fenstern der Taverne. Sie liegt nur wenige Schritte entfernt, beinahe zum Greifen nah doch wirkt auf ihn ebenso unendlich weit weg.

Vielleicht... wenn Giacomo nicht da ist. Manchmal stellte er eine Vertretung hinter den Tresen. Selten. Aber es kam vor. Die meisten kannte er. Er würde sich zumindest einen Moment dort ausruhen können. Er könnte durch die Fensterscheibe schauen, wer im Laden ist. Dann könnte er immer noch gehen. Vermutlich ist Giacomo da, aber was sprach dagegen wenigstens zu überprüfen, ob es vielleicht jemand anderes war?
Nein.
Egal wer da sein würde, Giacomo würde davon erfahren, dass er da gewesen war. Und wenn er nur halb so erbärmlich aussah wie er sich fühlte... Nein.

Sein Gesicht sinkt wieder auf seine Arme, den Blick in das schwarze Nichts unter ihm gerichtet.

Er würde keine Ahnung haben, was er sagen sollte. Nicht nach diesem Streit. Und vor allem könnte er niemals zugeben, dass Giacomo vermutlich wieder einmal Recht gehabt hatte... Er kann einfach nicht zurück.

Luca versteht selbst nicht warum, aber tatsächlich ist es als würde ihm seit diesem denkwürdigen Tag alles endgültig entgleiten. Es war vorher schon schlimm gewesen, aber die nächsten paar Tage hatte er nur in den Tag hinein gelebt und zornig die Zeit totgeschlagen, seine letzten paar tausend Lira für wenig Essen, viel Alkohol und ein paar Gramm Zucker verbracht und darüber beinahe einen anderen Auftrag vergeigt, was ihm nur wenig Geld und dazu eine gehörige Portion Ärger eingebracht hatte. Und jetzt diese Geschichte mit dem Schwarzpulver. Dabei sollte das doch alles wieder in Ordnung bringen!

Tatsächlich hatte er jetzt überhaupt keine Ahnung, was er noch tun sollte. Ja, nichtmals ob er noch irgendetwas tun will.

Eigentlich fühlt er sich einfach nur müde.
Müde vom Herumrennen in den Straßen, müde davon irgendwie die Tage hinter sich zu bringen, müde von den kleinen und großen Katastrophen, die sich eine an die andere reihen, müde von dem ewigen Ringen um ein Quentchen Normalität, die er doch auch so sehr hasste.

Nur für einen Moment will er die angestrengten Auge schließen, sich fünf Minuten ausruhen. Dann würde er aufstehen und... irgendetwas tun.

Doch langsam fordern die turbulenten letzten Wochen ihren Tribut und Luca versinkt ohne es zu bemerken, immer noch über den Eimer mit seinem Hemd darin gekauert, in einen tiefen Schlaf.
Me ne frego!

Benutzeravatar
Don Giacomo
Beiträge: 48
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo
Beruf: Dominikaner
Gesinnung: Liberal

Re: Der Campo della Trinità

Beitrag von Don Giacomo »

Aus der Taverne tönt mehr Lärm als sonst - für einen Moment, als sich die Türe öffnet, von Licht begleitetes Gläserstoßen, Fidelmusik und Gelächter mit warmer Luft nach draußen strömt. Dann schlägt die Türe wieder zu, der kurze Lichtschein verschwindet plötzlich, die Tavernengeräusche werden abgehackt.

Ein weißes Dominikanergewand leuchtet in der Finsternis, vor den restlichen Strahlen des Fensters. Sandalen waten durch eine Pfütze, umgehen Unrat. Die Schritte werden lauter, halten auf die Zisterne zu. Der Rand eines Kruges mit bunten Mustern liegt in der Hand des Mannes im weißen Gewand.

Sandalen aus abgewetztem Leder graben sich vor Luca in den Dreck. Bleiben stehen. Der Krug verharrt in Giacomos Hand.


So. So.

Es ist kein schnell dahergesprochenes, oberflächliches "so-so" wie man es aus manchem Akademikermund zynisch hört. Es sind zwei langsam gesprochene Wörter, die sich wie zwei Pfähle in die Erde graben. Harte Wörter, deren Betonung abfallend, dunkel wirkt. Es sind Wörter, die feststellen, statt als gewöhnliches Bindeglied oder als Lappalie ihr Schattendasein in den Schluchten weitaus bedeutender Begriffe ihr Schicksal zu fristen.

Selten hatte ein "so" derart Lucas Lebenswandel der letzten Tage beschrieben.

Giacomo richtet nicht. Aber er spricht wie ein Arzt, der eine Leberzirrhose feststellt, obwohl er den Patienten seit Jahren vor dem Bierkonsum gewarnt hat; allein für ihn ein hartes, aber lohnendes Diätprogramm ausarbeitete, das er ihm wöchentlich vorlegte; immer wieder auf den schlechter werdenden Zustand verwies; und zuletzt - als Dank für all seine Mühen - als Quacksalber verhöhnt wurde.

Es ist dunkel. Aber Giacomos Augen sind noch dunkler, und deswegen heben sie sich nicht vom Hintergrund ab, sondern der Hintergrund hebt sich von seinen Augen ab. Es ist ein schneidend-scharfer Blick.


So. So.

wiederholt er - und verzieht die Lippen.

Wen haben wir denn da.

Er fragt nicht. Giacomo fragte selten. Andere fragten ihn. Manche behaupteten, er habe deswegen das Fragen verlernt, weil er in Santa Trinità immer antworten musste. Einige meinten dagegen, er habe so viel gesehen, dass er keine Fragen mehr zu stellen brauchte. Er kannte jeden Abgrund. Er fertigte nur noch Listen an und wertete aus, wo das Fehlverhalten eines Petriners einzuordnen war.
Der Papst? Wie viele Divisionen hat der denn? - Josef Stalin

Benutzeravatar
Luca
Beiträge: 41
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo

Re: Der Campo della Trinità

Beitrag von Luca »

In Lucas traumlosen Schlaf mischt sich langsam der Hauch eines Bewusstseins. Ein Knirschen in unmittelbarer Umgebung, leichte Verwirbelungen der Luft um ihn herum, sachte Erschütterungen des Bodens. "Wen haben wir denn da?"

Mit einem missmutigen knurren beginnt er sich zu regen, noch ehe er ganz wach ist. Blinzelnd und schlaftrunken versucht er sich gegen den Widerstand des in der unnatürlichen Haltung steif gewordenen Körpers aufzurichten, wobei er an den Kanten des Zisterneneimers abrutscht.
Wenig überraschend gerät dabei ins kippen und ergießt seinen kalten Inhalt über Lucas Gesicht und Oberkörper, schwemmt das Hemd in den Staub des Campo.

Luca stellt den rechten Ellbogen auf und will sich das Wasser aus dem Gesicht reiben, was ihm seine gebrochene Nase mit einem stechenden Schmerz quittiert. Er saugt scharf die Luft ein, schlägt schließlich die Augen auf und schaut die große weiße Gestalt vor sich verschlafen an. Irgendwie hat er Kopfschmerzen, auch sein sonstiger Körper fühlt sich kalt und starr an.

Erst im nächsten Augenblick wird ihm endlich gewahr, wo er sich befindet, wie er hierher gekommen war und wen er dort vor sich hat. Luca atmet ein, als ob er zu einer Antwort ansetzen wollte, Giacomo immer noch mit großen Augen ansehend. Doch keine Worte kommen aus seinem Mund.

Er stößt die eingeatmete Luft wieder aus, wendet den Blick ab, zu Boden, auf den umgestoßenen Eimer. Er fischt sein Hemd aus der Pfütze und setzt sich dieses lose in Händen endgültig auf, einen Arm auf das angewinkelte Knie gelegt.
Sein Blick wandert wieder hinauf zu Giacomo, neben diesen ins leere, wieder nach unten auf sein eigenes Knie. Luca schluckt.
Me ne frego!

Benutzeravatar
Don Giacomo
Beiträge: 48
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo
Beruf: Dominikaner
Gesinnung: Liberal

Re: Der Campo della Trinità

Beitrag von Don Giacomo »

Rücksichtslos habe ich deinen Ruhm vergessen, oh Vater.

Giacomo zitiert einen Hymnus. Aber er spricht nicht als rezitierte er ihn in der Messe, sondern als handelte es sich um ganz gewöhnliche Sätze, die man in einer normalen, alltäglichen Konversation von sich gibt.

Und unter Sündern habe ich die Reichtümer zerstreut, die Du mir gabst.

Wasser platscht und sprudelt. Giacomo hat den Eimer in die Zisterne geworfen, schöpft das kalte Nass, während kühler Wind die Falten seines Gewandes aufwirft.
Giacomo hebt das Haupt, schaut zu den Dachrinnen und Pfannen der Häuser, wo sich oben, ganz oben die dämmrigen Züge des fernen Morgens abzeichnen.
Konzentriert fahren die nächsten Worte über seine Lippen.


Und nun schreie ich zu Dir als Verlorener ...

Wasser rauscht vom Eimer in den Krug. Letzte Tropfen tänzeln. Dann schiebt er den Eimer zurück über den Rand.
Seine Hand sucht im Dominikanerhabit.


Ich habe gesündigt, vor Dir, oh barmherziger Vater.

Er hält Luca ein Kruzifix entgegen. Ein gebrochenes. Notdürftig geflickt mit zwei Lederbändern.
Giacomo fixiert den Jungen.
"Empfange mich als Reuiger und mach mich zu Deinem Diener", fügt er in Gedanken hinzu.
Der Papst? Wie viele Divisionen hat der denn? - Josef Stalin

Benutzeravatar
Luca
Beiträge: 41
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo

Re: Der Campo della Trinità

Beitrag von Luca »

Luca starrt immer noch angestrengt auf sein Knie, die Hand mittlerweile fest in das nasse Knäuel Hemd gekrallt, sodass einige Wassertropfen daraus hervorquillen.
Eigentlich müsste ihm kalt sein, nach dieser Nacht im freien, doch tatsächlich ist ihm mittlerweile heiß. Sein Körpergefühl bewegt sich irgendwo zwischen Fluchtreflex und Schockstarre, während die Worte des Dominikaners in seinen Geist schneiden.

Tatsächlich hätte er am liebsten geschrien, doch er weiß immer noch nichteinmal was.

Ihm wird noch heißer, als Giacomo schließlich wieder auf ihn zu kommt und ihm das geflickte Kreuz unter die Nase hält. Er hatte sich nie besonders viel aus diesen Symboliken gemacht, doch jetzt gerade spürt er beim Anblick des ausgezehrten, blutenden und nun auch noch mitten durchgebrochenen Leib Christus genau, dass er es genau so gut sein könnte, der an dieses Kreuz geschlagen war. Es würde keinen Unterschied mehr machen.

Luca starrt auf das Objekt der eigenen Schande. Er hatte es nicht wirklich geplant das Cruzifix von der Wand zu reißen, nicht wirklich gewollt, doch natürlich hatte er genau gewusst welch immense Bedeutung es für Giacomo hatte, hatte gewusst was für eine besondere Grenzüberschreitung es war, seine Wut ausgerechnet an diesem Gegenstand auszulassen... und es trotzdem getan. Oder deshalb?

Luca beißt sich auf die Unterlippe und wendet den Blick noch weiter nach unten ab, weg vom Kreuz. Schwer atmet er ein.

Einmal.
Zweimal.

Dreimal.

Dann endlich:

Es ... - Es tut mir Leid.

Sein Blick wandert wieder nach oben, schaut Giacomo mit großen Augen ins Gesicht, als würde dieses gleich über sein komplettes Schicksal entscheiden.
Er fühlt sich nicht erleichtert, diese Worte ausgesprochen zu haben; nein vielmehr ist ihm, als müsse jetzt gleich, jeden Moment die ganze Welt zusammen brechen. Als würden sich nun Himmel und Erde auftun, Feuer auf ihn herab regnen und ein flammender Abgrund ihn schließlich verschlingen.

Was jetzt aus seinem Gesicht spricht ist nackte Panik.
Me ne frego!

Benutzeravatar
Don Giacomo
Beiträge: 48
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo
Beruf: Dominikaner
Gesinnung: Liberal

Re: Der Campo della Trinità

Beitrag von Don Giacomo »

Der Herr verzeiht alles.

Don Giacomo nicht. Das wusste Luca. Die Gefühle, die er in seinen Muskeln zittern sind echt; die Panik in den Augen; der bebende Leib. Giacomo war nicht dafür bekannt, ein zahmes Lamm zu sein, dass im warmen Stallgeruch Probleme kleinredete. Einem Kirchendieb, der einen Messkelch nur angefasst hatte, hatte er dazumal die Schulter ausgekugelt. Aus Versehen, natürlich, wie er immer betonte.

San Pietro verrohte. Aber es verhärtete nicht.


20 Ave Maria. Deinen Rosenkranz hast du auch in der Taverne liegen lassen.

spricht er ungerührt. Die Buße ist klar. Ob er das als Beichtsakrament gelten lassen konnte, musste er noch mit Thomas bereden. Ein Formel hatte er nicht gesprochen. Aber die Umstände waren im Grunde erfüllt.
Er fügt die nächste Auflage an, denn das Sühnemaß war immer noch zu gering angesetzt, so glaubte er.


Und morgen brauche ich einen Messdiener, wenn ich die Kapelle von Santa Maria Maddalena reinige.

macht er deutlich, dass es morgen genügend Arbeit gibt, und er nicht den Tag verschlafen darf. Darin liegt allerdings auch ein Angebot, eines, das in San Pietro, und besonders in Santa Trinità, ein verlockendes Versprechen war: Routine. Wieder aufgenommene, alte, bekannte Routine.

Er blickt in Lucas geschundenes Gesicht. Liest darin ab, was in den letzten Tagen geschehen sein mag. Offensichtliche Dinge; und unausgesprochene Dinge. Vielleicht sollte er Luca grollen, für das, was er angestellt hatte; vielleicht sollte er sich darüber freuen, dass er keinem Messer zum Opfer gefallen war, wie der unglückselige Bursche am Marienschrein. Die menschliche Ordnung war auf Sand gebaut, und Sandkörner waren sie alle.

Sein dunkler Blick weicht zur Seite.


Jetzt komm.

Etwas ruppig drückt er ihm den Krug in die Hand, der dabei kurz überschwappt. Der Dominikaner dreht sich um, wieder in Richtung Taverne. Es scheint, als wollte er losgehen - und hält dann inne.
Er schaut zu Luca. Seine Gesichtsmuskeln wirken weniger verkrampft. Kein Lächeln. Aber er presst die Lippen nachdenklich zusammen. Womöglich war das schon mehr Versöhnung, als Giacomo selbst erwartet hatte.


Bevor der Freitag beginnt, und ich dir kein Stück vom Braten mehr geben kann ...

sagt er wie nebenbei, verschränkt die Arme hinter dem Rücken - und geht voran
Der Papst? Wie viele Divisionen hat der denn? - Josef Stalin

Benutzeravatar
Luca
Beiträge: 41
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo

Re: Der Campo della Trinità

Beitrag von Luca »

Als Giacomo mit dem vergessenen Rosenkranz einen indirekte Einladung ausspricht, fällt Luca nicht nur der sprichwörtliche Stein vom Herzen, vielmehr ist es als würde sämtlicher Schutt der Cittá Antica von ihm herab rutschen.

Er atmet auf, kann es beinahe nicht fassen.
Es ist nicht wirklich so, dass er ernsthaft damit gerechnet hätte von Giacomo abgewiesen zu werden, doch... die Angst davor war einfach da gewesen. Das diffuse Gefühl, dass es gar nicht möglich sein würde, dass Giacomo noch irgendetwas von ihm, IHM, wissen wollen würde. Als sei es ein Naturgesetzt, dass der Dominikaner ihn ebenso hassen müsste wie er sich schuldig fühlte.

Eigentlich könnte es ihm egal sein was Giacomo denkt, was er in ihm sieht. Aber irgendwie ist es das nicht...

Gebannt lauscht er den weiteren Aufträgen Giacomos. Er würde so viele Ave Maria beten, wie auch immer es sich Giacomo einfallen lassen würde. Und wenn er drei Jahre lang die Kapelle schrubben müsste, so würde er jetzt Erleichterung empfinden. Er hasste es, ja! Hasste diese langwierigen Aufgaben, bei denen einfach nichts passierte, hasste es, wie die Zeit sich quälend in die Länge zog, wenn sie sich überhaupt bewegte, doch das war jetzt ganz egal, nichts konnte in irgendeinem Verhältnis zu seinem Gefühl stehen nicht mehr... alleine? zu sein.

Luca rappelt sich mit dem Krug in der Hand auf. Als Giacomo den Braten erwähnt, huscht auch über Lucas Gesicht der erste Anflug eines glücklichen Lächelns. Er wirft sich das triefende Hemd über die Schulter.

Immer noch etwas benommen von den Emotionen der letzten Tage, aber entscheiden glücklicher stapft er hinter Giacomo her.

Zumindest für diesen kurzen Augenblick, war die Welt wieder ein bisschen in Ordnung.
Me ne frego!

Benutzeravatar
Don Giacomo
Beiträge: 48
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo
Beruf: Dominikaner
Gesinnung: Liberal

Re: Der Campo della Trinità

Beitrag von Don Giacomo »

Der Dominikaner wartet einen Moment, damit Luca aufholen kann. Eine Sekunde lang dachte Giacomo daran, Luca eine Weile hinter sich herdackeln zu lassen. Doch der Junge hatte seine Rechnung bereits bekommen. Die Reue und Buße länger auszuweiten bedeutete sinnlosen Sadismus. Ein Lamm, das mit verstauchtem Bein hinter der Herde hinkte, musste nicht weiter vor dem Wolf gewarnt werden, wenn es ihn gesehen hatte; jedenfalls noch nicht. Luca hatte Schweine hüten dürfen. Und Giacomo war zu nüchtern, um auszuschließen, dass er es wieder tun würde. Lämmer vergaßen schnell, das war ihre Eigenart.

Aber das war egal. Es war egal, weil es nicht heute war. Jetzt zählten andere Dinge. Wichtigere, weil elementarere Dinge.

Er schaut zu Luca. Er braucht ihn nicht lange zu observieren, weil er schon längst bemerkt hat, dass der Junge in mehr als eine Kneipenprügelei verwickelt gewesen war. Die Blessuren sind offensichtlich. Giacomo deutet mit dem Blick daher weniger an, dass er die Verletzungen wahrnimmt - als vielmehr, dass sie ihn nun wirklich kümmerten.


Wer hat dich so zugerichtet?

In seiner Stimme liegt kein Mitgefühl. Eher ein Vorwurf. Einer, der zweideutig interpretiert werden kann. Zum einen, dass sich Luca offensichtlich in kriminelle Angelegenheiten eingemischt hatte, von denen er besser hätte wissen müssen, dass er sie nicht hätte tun dürfen.

Zum anderen liegt darin der Ton eines Mannes, der den Handlanger eines Zuckerdealers mit einem einem Weihwasserstab fast bewusstlos geschlagen hatte. Wieder aus Versehen, natürlich. Der Herr verabscheute sinnlose Gewalt. Giacomo war nur der Ansicht, dass seine Faust kein sinnloses Instrument war.
Der Papst? Wie viele Divisionen hat der denn? - Josef Stalin

Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast