Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Das Viertel der Fischer und Arbeiter ist der dichtbewohnteste Stadtteil Palatinas. Mit dem handelspolitischen Niedergang der Republik hat das Militär und die Waffenmanufaktur hier deutlich an Einfluss gewonnen. Die Cittadella und das Arsenal sind militärisches Sperrgebiet.
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Don Giacomo
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Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Die Kapelle Santa Maria Maddalena in der Contrade Santa Trinità

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Auf einer kleinen Insel, die der Hauptinsel von Santa Trinità mit ihrem Campo vorgelagert ist, liegt die Kapelle Santa Maria Maddalena am gleichnamigen Kanal und der gleichnamigen Brücke. Es handelt sich um ein eher kleines Gotteshaus, bedenkt man die hohe Bevölkerungsdichte des Viertels.

Die Ursprünge des heutigen Baus datieren auf das Ende des 17. Jahrhunderts. Die Identität der edle Spenderin, die einen großen Teil der Kapelle finanzierte, bleibt bis heute ungeklärt. Bekannt ist nur, dass es sich um eine wohlhabende Kurtisane handelte, die als "Begleiterin" von Patriziern und Nobili ein kleines Vermögen als Gegenleistung erhielt, und sich wohl erhoffte, ihr Seelenheil retten zu können, indem sie zuletzt alles aufwendete, um die Gnade Gottes zu erflehen. Der jeweilige Kaplan von Santa Maria Maddalena ist der einzige, der den wahren Namen der Frau kennt, und in der täglichen Messe für sie bitten muss. Die Identität wird in einem Modus von Kaplan zu Kaplan weitergegeben, den die Unbekannte selbst formuliert hat, sodass sicher ist, dass das Geheimnis nicht nach außen dringt.

Traditionell waren es bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts die Dominikaner, die hier die Messe hielten. Sie hatten seit der Einweihung erheblichen Teil an der Ausstattung und Ausschmückung des Gotteshauses. Bis zu dieser Zeit war die Kapelle für die Öffentlichkeit geschlossen. Erst mit dem Verfall von Santa Trinità entwickelte sich Santa Maria Maddalena de facto zur neuen Pfarrkirche der Contrade, obwohl sie dem Originalbau in Pracht und Größe deutlich nachsteht. Die meisten Bewohner haben sich so an ihre "Ersatzkirche" gewöhnt, dass die eigentliche Pfarrkirche fast vergessen ist.

Allerdings zeigt auch Santa Maria Maddalena Verfallserscheinungen. Die rosafarbene Front droht seit Jahren abzublättern. Fenster und Fassaden zeigen Rußschwärzungen, vermutlich verursacht vom Rauch aus den Schloten der Manufaktur.

Das Innere fällt durch seine unverputzten Backsteinwände auf. Allein acht große, weiße Marmorsäulen, auf denen die Decke ruht, stechen hervor. Der schlichte Altar besteht nur aus einem Marmoblock mit zwei Heiligen darauf, die den Gekreuzigten umrahmen. Große, weiße Tücher aus Damast flankieren den Chor, um die nackte Wand zu verdecken. Es hat in den letzten einhundert Jahren immer wieder Spenden gegeben, so eine hölzerne Madonna, ein Barockgemälde im Seitenschiff oder einen silbernen Leuchter. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass die wertvolleren Stücke von den kriminellen Banden der Contrade finanziert wurden; die Kapelle spielt Gerüchten zufolge eine wichtige Rolle in der Aufteilung zwischen den Gangs von Santa Trinità ...
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Don Giacomo
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Die schwere Kapellentüre dröhnt. Don Giacomo drückt sie mit beiden Händen nach innen auf. Sonnenschein dringt von außen auf den düsteren Kapellenboden, entblößt ein Muster aus rotem und weißen Stein. Er kniet vor dem Altar nieder, bekreuzigt sich, und lässt die Stille walten.

Klappern echot aus Lucas Richtung. Aber den Priester, der die Ärmel zusammengelegt hat, stört das nicht weiter. Er schaut hinauf, wo Lichtstrahlen im Chor spielen, sieht Staub darin zirkulieren. Beschaut Heiligenfiguren und die Madonna; ruht für einige Sekunden in sich selbst.

Und macht dann eine plötzliche Handbewegung zur Rechten.


Da vorn lag er.

Sein Arm geht ausgestreckt zu einer Stelle, die zu Füßen einer Figur des heiligen Antonius liegt - als zeigte er auf das corpus delicti, obwohl es längst verschwunden ist.

Mehrere Stichverletzungen. Von einem Messer. Kein Zweifel.

Giacomos Stimme ist dunkel, aber nüchtern. Es ist nicht das erste Mal, dass er die bekannten Details rekonstruiert hat. Dass er als Geistlicher die Federführung übernahm, verstand sich in Santa Trinità von selbst. Es gab schlicht niemanden, der sich genügend für die Sache interessierte; und noch weniger, die über die Geisteskräfte verfügten, sie aufzuklären. Seine Nachbarn waren nicht dumm. Aber ihnen fehlte das logische Denken, das für die richtigen Shclussfolgerungen nötig war.

Die alte Nella, die gegenüber wohnt, hat mir erzählt, dass ein Mann zur fraglichen Zeit aus der Kapelle getürmt sei.

Jeder kannte die alte Nella. Sie war der Typus jenes alten Weibes, das nach dem Auszug der eigenen Kinder und dem Tod des eigenen Gatten vor allem einer Freizeitbeschäftigung nachging: den ganzen Tag am Fenster zu hocken, rauszusehen und die Straße zu beobachten. Festverwachsen mit einem alten Lehnstuhl aus Pappelholz und den bereits faulig gewordenen Decken beobachtete die Alte aus ihrem Krähennest im dritten Stock alles, was sich auf der Hauptstraße der Magdaleneninsel tat. Sie machte sich am Sonntag Notizen darüber, wer in die Messe ging - und noch wichtiger: wer nicht. Sie schaute, wer mit wem Händchen hielt; und was die Leute in ihren Einkaufskörben trugen. Der moderne Überwachungsstaat des 21. Jahrhunderts war ein Waisenkind gegen die "Vecchia Nella", die strenges Protokoll führte. Unbeobachtet durften sich die Einwohner von Santa Trinità auf diesem Straßenstück nur fühlen, wenn die Alte ein Nickerchen hielt; aber niemand in Santa Trinità wusste, wann und wie lange sie es hielt.

Für Don Giacomo, der sich gut mit der Witwe verstand, war sie eine unerschöpfliche Informationsquelle.


Er flüchtete mit einer Gondel, ruderte Richtung Cinzia. Ich habe daher Grund zur Annahme, dass er zur Casa Nostra gehörte.

fasst Don Giacomo detektivisch zusammen, fügt in der Manier eines Franziskanermönches, der einen Mordfall in einem norditalienischen Benediktinerkloster aufklärt, kenntnisreich hinzu:

Und das Opfer demnach ein Mitglied der Sodoma war.
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Luca
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Luca »

Luca betritt hinter Giacomo die Kapelle. Eine kühle Feuchtigkeit schlägt ihm entgegen, aber kein Moder.

Außerdem ist es still.

Trotz der offenen Kapellentür klingen Geräusche von draußen nicht herein. Alles ist gedämpft, weit. Nur das Hallen der Schritte der beiden breitet sich in dem Gebäude aus wie die konzentrischen Ringe auf einer Wasseroberfläche, nachdem ein Tropfen hineingefallen war. So gut es mit einem Arm voller Behältnisse geht, geht auch Luca vor dem Altar kurz - und etwas wackelig - auf die Knie.

Nicht nur die Luft ist kühl, auch der Steinboden. Luca bemerkt, wie sein Knie beim aufkommen etwas schmerzt, vermutlich ein blauer Fleck von gestern. Er hat sich gerade wieder aufgerichtet, als Giacomo plötzlich mit dem Arm quer durch die Kapelle zeigt und mit lauter Stimme seine Beobachtungen erklärt.

Lucas Blick wandert unweigerlich auf die Stelle zu Füßen des Heiligen. Es ist ein blanker Flecken Steinboden, so wie der Raum davor, daneben und dahinter. Nichts deutet darauf hin, dass dort vor wenigen Tagen ein Toter gelegen hat; vermutlich dort sogar den Tod gefunden hatte. Ob er zum Heiligen gebetet hatte, als er überfallen wurde? Oder hatte er versucht sich in die Kapelle zu flüchten, als er bereits verletzt war?

Luca erschaudert. Egal was es war - die Umstände zeugen von einem dramatischen Tod. Es ist eine bittere Erinnerung an das, was einem in Santa Trintá widerfahren konnte. Selbst in diesen heiligen Mauern. Selbst - und das war für Luca das viel erschütterndere daran - unter dem Schutze Don Giacomos, der für ihn immer ein Fels des Vertrauens, der Sicherheit und - sofern Luca das von irgendeinem Kontext überhaupt behaupten würde - Geborgenheit war. Egal welche Zwistigkeiten es zwischen den beiden je gegeben hatte, ungeachtet jeden kritischen Blicks, und jeder unangenehmen Aufgabe. Bei Don Giacomo war die Welt immer irgendwie in Ordnung. Oder zumindest war sie es gewesen.
Luca versteht erst in diesem Moment, die besondere Erschütterung des Dominikaners, dass ein Mann in seiner Kapelle abgestochen worden war.

Luca hält einen Moment inne.

Auf der anderen Seite: Don Giacomo folgerte, dass es sich um eine Mafia Auseinandersetzung gehandelt hatte. Wenn es eine Möglichkeit gab in Santa Trinitá ein gewaltsames Ende zu finden, dann war es eine Verstrickung in Mafia-Aktivitäten. Luca hatte sich immer davor gehütet, zu sehr in das Netzwerk einer der Familien einzutauchen. Einmal in Ungnade gefallen oder als Ziel irgendeiner Racheaktion auserkoren, war es beinahe unmöglich dem zu entkommen. Und war es dann am Ende nicht gleich, wo man starb?

Dass die Casa Nostra sich an ihren Opfer in einer Kapelle vergriff war trotzdem neu und ein deutliches Zeichen dafür, wie sehr es zwischen den beiden Familien gerade brodelte. Luca hatte davon bisher nicht allzu viel mitbekommen, weil er zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt war. Doch dass er darauf angesetzt gewesen war das Gespräch dieser drei Männer gar nicht weit von hier zu belauschen, war bereits auffällig gewesen. Da er zu spät gekommen war, hatte er nicht mehr mitbekommen worum es geht, und nur noch eine Personenbeschreibung abgeben können. Nun fragt er sich, ob der Mord irgendetwas damit zu tun hatte. Vielleicht wusste Davide mehr.

Davide war eine dieser Bekanntschaften außerhalb der Sphäre Don Giacomos. Vor einigen Tagen hatte Davide irgendwoher etwas Zucker und eine Flasche Caporotto aufgetrieben und die beiden hatten sich diese Nachts durch die Straßen Santa Trinitás streunend genehmigt. Das war auch die Ursache, warum Luca danach seinen Beschattungs-Auftrag so in den Sand gesetzt hatte. Sein Freund aber war schon vor Jahren ziemlich eindeutig Richtung Sodoma abgebogen, und es war gut möglich, dass er etwas über den Vorfall wusste. Vielleicht konnte Luca auch etwas erfahren, was Don Giacomo weiter half.
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Don Giacomo
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Es wäre vermutlich an der Zeit gewesen, dass Don Giacomo nun etwas sagte. Etwas Weises, wie man es von Priestern an dieser Stelle erwartete; etwas Versöhnliches, was mit der Bibel übereinstimmte; ein Appell vielleicht, dass Gewalt immer ein schlechtes Mittel war, dass es hier sinnloses Blutvergießen gegeben hatte.

Doch Giacomo gehörte nicht zu einem solchen Typus. Mord war verwerflich; übermäßige Gewalt war verwerflich; aber sie als sinnlos oder als dummes Mittel einzustufen wäre töricht gewesen. Aus der Sicht der Sodoma und der Casa Nostra waren sie es eben nicht. Wäre Gewalt in Santa Trinità kein geeignetes Mittel gewesen, dann würden die Mafiaclans diese nicht anwenden. Gewalt war in den Gassen der Contraden eines der wenigen Mittel, die überhaupt fruchteten. Gewalt war nicht gut, aber sie war nützlich. Und er konnte verurteilen und analysieren wie er wollte, wenn er nicht die pragmatische Einsicht hatte, dass Sonntagspredigten vielleicht eine moralische Läuterung, aber keine praktische Veränderung brachte. Und genau das wäre es gewesen, hätte Giacomo das Geschehen an dieser Stelle weiter bewertet: eine sinnlose, selbstbeweihräuchernde Sonntagsrede. Er musste keine banalen Gedanken verbreiten, die andere schon weitaus klüger formuliert hatten.

Stattdessen konzentriert er sich auf die Handlung.


Das Weihwasser und das Aspergill. sagt er, meint anschließend Füll das Weihrauchfass auf. Und hol das Messbuch aus der Sakristei. Ich bereite den Altar vor.

Luca hatte Fragen. Das sah er ihm an. Aber wenn sie dringlich waren, würde er ihm antworten. Solange konnten sie mit den Vorbereitungen beginnen.
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Luca
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Luca »

Luca wird von Don Giacomo wieder aus seinen Gedanken geholt. Vorsichtig bugsiert er Weihrauchfass und -schiffchen in den Linken Arm, um Giacomo mit der Rechten den Weihwasserkessel und das Aspergill zu reichen.

Verstanden.

Antwortet er leise, und flitz dann durch die Seitentüre in die Sakristei.
Der Raum ist nicht groß und Luca kennt sich immer noch aus, wo Weihrauch und Buch zu finden sind. Seitdem er das letzte mal in einer Messe gedient hatte, hatte sich hier nichts geändert. Überhaupt hatte sich daran noch nie etwas geändert. Auch die Handgriffe waren demnach immer wieder die gleichen.

Er stellt die Behälter auf einem kleinen Tisch ab und füllt schnell einige Körner Weihrauch von einer kleinen Dose in Fass und Schiffchen. Schnellen Schrittes geht er um den Tisch herum, um das Messbuch aus einem nahen Schränkchen zu nehmen. Zu spät merkt er dabei, wie er mit dem Fuß in der vom Tisch hängenden Kette des Weihrauchfasses hängen bleibt, und es mit dem nächsten Schritt schwungvoll Tisch reißt.

Luca, eine Hand schon an der Tür des Schränkchens, bleibt wie angewurzelt stehen und kneift die Augen zusammen, als das Metallgefäß scheppernd auf den Boden kracht, seinen kostbaren Inhalt über die Fliesen ergießt und klackernd weiter rollt.

Verdammt.
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Don Giacomo
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Der Don hat indes den Altar soweit vorbereitet, dass nur noch das Messbuch fehlt. Behutsam legt er das Altartuch aus, glättet die Falten. Er prüft das Weihwasser, prüft das Aspergill. Leise beginnt er:

Asperges me, Domine, hyssopo et mundabor ...

Für eine Sekunde glaubt der Padre, etwas gehört zu haben; er geht dem aber nicht weiter nach. An diesem Ort hatte der Teufel gewütet, und mit Sicherheit hatte er sich noch nicht zurückgezogen. Er streckte seine Hände und Füße aus, zückte die Zunge. Er tat alles, um die Menschen von ihrem Werk abzulenken. So war es nur logisch, dass die große Ablenkung ein Versuch war, ihn von seinem Dienst abzuhalten. Wie oft blieb etwas unvollendet, weil man sich dachte: das ist gerade wichtiger; wie oft tat man etwas Untugendhaftes, weil es flüsterte: dich sieht gerade keiner. Die Krallen des Leibhaftigen rüttelten und zerrten, aber einen Felsen des Glaubens konnten sie nicht verschieben. Der Heilige Antonius in der Wüste hatte sich ebenso erwehren müssen; da waren ein paar perlende Kürner in der Ferne nichts Besonderes!

Moment - perlende Körner?

Giacomo hat so einen Verdacht. Aber Luca käme zurecht. Er kannte zumindest das übliche Prozedere. Bisher hatte er ihm nichts anderes abverlangt als sonst auch. Was könnte schon in einer Sakristei schiefgehen? Er musste für einige Sekunden blind vertrauen.


Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto ...

summt er das Asperges me weiter, auch, wenn er nun ganz deutlich einen metallischen Klang glaubt vernommen zu haben.

Offensichtlich haben die Nachbarn kein Gespür für die Heiligkeit dieses Raumes.

spricht der Dominikaner verärgert, putzt mit einem Tuch den Kelch. Ganz offensichtlich ist er davon überzeugt, dass Luca sich nicht ansatzweise so dumm anstellen konnte, wie er es tatsächlich tat ...
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Luca
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Luca »

Luca hat immer noch eine Hand am Schrankgriff. Das Fässchen ist mittlerweile ruhig liegen geblieben und Stille eingekehrt. Eine Stille, in der Luca weder die Stimme, noch Schritte Don Giacomos hört. Sollte er es wirklich nicht mitbekommen haben?
Warum musste ihm das ausgerechnet jetzt passieren? Er hat sowieso schon Kopfschmerzen und fühlt sich alles andere als wohl.

Langsam senkt er die Hand und dreht sich vorsichtig um. Irgendwie erwartet er, im nächsten Moment den Dominikaner hinter sich zu finden, doch die Sakristei ist leer. Alles was sich seinem Blick darbietet ist das auf dem Boden liegende Weihrauchfässchen daneben eine Spur von Körnern des kostbaren Harzes. Luca atmet tief durch. Er musste sich jetzt nur zusammen reißen, noch kurz diese Weihe durchhalten und dann würde er irgendwo einen Schnaps trinken um wach zu werden, bevor er sich aufmachte um Dom zu finden. Wie er es sich vorher schon vorgenommen hatte: Einfach durchhalten.

Luca kniet sich auf den Boden und sammelt den verlorenen Weihrauch ein, füllt ihn wieder in das Gefäß und hängt es sich an der Kette über die Schulter. Nachdem er behutsam das Buch aus dem Schränkchen entnommen hat, stellt er das ebenfalls befüllte Schiffchen zum Transport darauf. Langsam und bedächtig um nichts fallen zu lassen, geht er zurück in die Kapelle.

Jetzt in der Ruhe merkt er erst wieder wie schlapp und fast schon schwindelig er sich eigentlich fühlt. Egal. Einfach durchhalten...
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Don Giacomo
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Ja, so lob ich mir das.

Vielleicht ist es das allererste Mal, dass Giacomo ihn seit gestern Nacht anlächelt. Er wirkt zumindest zufrieden, als er sieht, dass alles vorbereitet ist, und dann auch noch wie Luca ganz bei der Sache ist! Vielleicht würde er doch noch den richtigen Weg finden, vielleicht doch noch etwas mehr werden, als die nackte Existenz, die sich nur durchsschlug, nicht weiter als bis zur nächsten Mahlzeit, zur nächsten Gelegenheit schaute ...

Dann fallen Giacomos Knie auf die Steinplatte. Vor dem Altar spricht er ein "Ehre sei dem Vater", bekreuzigt sich, erhebt sich wieder, wendet sich zu Luca.


Wir beginnen mit dem Asperges. Denn was wäre sinnvoller bei einer Reinigung, als mit geheiligtem Wasser den Ort zu besprengen? "Wasche mich, und ich werde weißer als Schnee! Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen!"

Waschen wir also die Schuld, die schreckliche Schuld, die das Haus von Santa Maria Maddalena benetzt.

Er nimmt das Aspergil in die Hand, taucht es ins Wasser, segnet die Umgebung. Den Eimer in der einen, das Aspergil in der anderen Hand, wandert er über die Steinplatten, und benetzt es mit Weihwasser. Seine Stimme hebt zum Gesang an. Giacomos Worte klingen wie im Choral innerhalb der Wände des Gotteshauses.

Asperges me, Domine, hyssopo, et mundabor;
lavabis me, et super nivem dealbabor.
Miserere mei, Deus,
secundum magnam misericordiam tuam.

Luca ist natürlich eingeladen wenigstens so zu tun, als sänge er mit, indem er die Lippen bewegt. Aber der Priester ist so sehr in seinem Element, dass er das sowieso nicht mitbekäme. Vielleicht geschieht es bewusst, vielleicht unterbewusst, dass der Junge besonders viel Weihwasser abbekommt.
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Luca
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Luca »

Luca erwidert das Lob Don Giacomos mit einem - möglichst nicht - gequälten Lächeln. Möglicherweise hatte der Dominikaner wirklich nichts von dem Missgeschick in der Sakristei mitbekommen, womöglich sah er ihm auch einfach nur an, wie fertig er sich fühlte und zeigte Milde. Das kam selten vor, aber es passierte. Dabei war dies gar nicht so gut, denn es könnte irgendwann zu weiteren unangenehmen Fragen führen. Fragen, die Luca lieber nicht beantworten wollte, vor allem auch deshalb, weil er nicht im Stande war sich auszumalen wie Don Giacomo auf diese Antworten wirklich reagieren würde. Und was das für ihn bedeutete...

Er ist froh sich abwenden zu können, um Buch und Schiffchen abzustellen. Das Weihrauchfässchen streift er von der Schulter, hält es nun fest in beiden Händen wobei seine Finger kaum merklich mit den Kettengliedern spielen, daran herumwackeln, ihren Zwischenraum und ihre Beweglichkeit erspüren.

Einfach nur durchhalten...

Luca versucht ein nicht missmutiges Gesicht aufzusetzen, nach wie vor ist es ihm wichtig, dass Giacomo deutlich wird, dass er seine Buße und Don Giacomo selbst ernst nahm. Das gilt auch für jene Momente, in denen Luca die kalten, feinen Wassertropfen ins Gesicht spritzen. Nicht zu blinzeln ist praktisch unmöglich, aber man konnte versuchen nicht zu sehr das Gesicht zu verziehen. Er versucht sich abzulenken, indem er sich auf den Gesang Don Giacomos konzentriert, und darauf, wie dieser den Kapellenraum ausfüllt.
Etwas steif steht er dort und harrt der Dinge die da kommen.
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Don Giacomo
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Weihwassertropfen benetzen Holzfiguren, verfärben die Säulen dunkel, tränken den Boden. Hätte der Eimer nicht seine Grnezen, Giacomo würde in der Tour, in der er gerade ist, nicht aufhören, bis zwischen dem Kanal nebenan und dem Innenraum der Kapelle kein Unterschied mehr auszumachen ist. Der Aspergil mit seinen winzigen Löchern wird bis ins letzte Extrem ausgereizt, und der Priester hat keine Probleme, das "Asperges me" immer wieder neu anzufangen.

Erst, als der Eimer leer ist, gibt ein metallischer Klang zu erkennen, dass der Sprengel in trockentrockener Umgebung aufkommt. Wie viel Zeit seitdem vergangen ist? War das wirklich so wichtig?


Amen.

Er reicht Luca den Eimer, setzt dann neuerlich an:

Großer Gott, wir treten voller Sühne vor dich, hier an diesem Ort, der von der Sünde der Menschen entweiht worden ist: in einer blasphemischen Tat, einem Sakrileg. Hier hat sich das Böse selbst gezeigt, es war eine Tat des Bösen selbst.

Darum bitten wir dich, allmächtiger Gott, dass du uns zu Hilfe kommst mit deinem Erbarmen und wir zu dir umkehren. Wir rufen die Heiligen und vor allem die Gottesmutter Maria an, um für uns zu beten. Und wir bitten für uns und für die ganze Stadt, dass wir unsere Herzen wieder auf dich ganz allein richten.

Er streckt die Hand aus, Richtung Luca.

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