Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Das Viertel der Fischer und Arbeiter ist der dichtbewohnteste Stadtteil Palatinas. Mit dem handelspolitischen Niedergang der Republik hat das Militär und die Waffenmanufaktur hier deutlich an Einfluss gewonnen. Die Cittadella und das Arsenal sind militärisches Sperrgebiet.
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Luca
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Luca »

Luca kommt es wie eine Ewigkeit vor, in der der Pater jeden Flecken segnet, dessen er angesichtig wird. Oder war es wirklich eine Ewigkeit? Luca hatte überhaupt kein Zeitgefühl. Nie gehabt und in solchen Situationen ohnehin nicht. Er könnte schwören Don Giacomo hätte die Prozedur einfach mehrfach wiederholt, doch es könnte auch einfach daran liegen, dass es ihm schwer fällt nicht an sein Bett, oder Zucker zu denken. Und Hunger bekam er auch langsam wieder.

Erleichtert nimmt er den Eimer entgegen, als Don Giacomo ihm diesen reicht. Offensichtlich war er jetzt mit der eigentlichen Segnung fertig. Vielleicht würde er noch etwas beten, ihn zu einem Ave Maria verdonnern, dann könnte man vermutlich gehen. Doch als Giacomo die Heiligenanrufung anspricht, macht sich ein leichtes Entsetzen auf Lucas Gesicht breit. Das konnte ja noch ewig dauern! Tausend Gedanken schießen Luca plötzlich durch den Kopf. Wieviel Zeit würde ihm heute noch bleiben um Dom zu finden und vor allem: Wie lange musste er noch in der Kapelle ausharren? Er hatte jetzt schon Hunger und er ist sich sicher, dass auch sein sonstiger Zustand sich nicht durch Herumstehen und warten verbessern würde. Wenn er noch irgendeine Chance haben wollte etwas Zucker aufzutreiben, sollte er damit nicht erst am Abend beginnen. Um diese Uhrzeit waren die meisten zwielichtigen Gestalten mitten im Geschäft und würden keine Zeit haben sich mit einem Jungen mit wenig Geld herumzuschlagen. Überhaupt würde das Geld ein Problem sein. Das für den Zucker. Aber... muss Luca schließlich gedanklich hinzufügen - aber natürlich auch das Geld für das Schwarzpulver...

Er unterdrückt gerade ein Seufzen, als Don Giacomo ihm plötzlich die Hand entgegen streckt. Verwirrt schaut er zu ihm auf, und erst im Nachklang dringen die Worte in seinen Kopf. Der Weihrauch! Die verwunderte Verwirrung weicht einem Ausdruck von Schreck, als ihm bewusst wird, dass er immer noch mit dem Eimer in der Hand mitten in der Kapelle steht und die Kohlen des Fässchens nichtmals angezündet hat.


Oh.. äh... ja...
sofort!

stammelt er, und wendet sich dann abrupt ab, um den Eimer an der Sakristei abzustellen. Zügig läuft er hinüber zum Schiffchen und entzündet mit einem Span die Kohlen. Ob das leichte Zittern seiner Hände am ganz aktuellen Stress, oder doch an den Auswirkungen der letzten Tage liegt, vermag er nicht zu beurteilen. Jedenfalls beeilt er sich den Auftrag umzusetzen und keine Fehler zu machen.
Zurückgelangt öffnet er das Gefäß mit ausweichender Miene und hält es Don Giacomo entgegen, sodass dieser es mit Weihrauch befüllen kann.
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Don Giacomo
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Mit dem winzigen Löffelchen im Schiffchen schippt Giacomo eine ganze Fuhre von dem wertvollen Harz aus Arabien in das silberne gefäß. Er meint es gut. Sehr gut. Und erst, als die ersten Körner schon auf die Steinplatten fallen, steckt er den Löffel wieder zurück, tauscht mit Luca das Turibulum gegen das Naviculum. Als der Decke zurückgerasselt ist, stellt sich der Priester mitten in die Kapelle, schaut, als stellte er sich einem unbekanntem Feind entgegen.

Sicher ist sicher.

Klappern. Rauch. Nebel. Undurchdringlciher Nebel. Es wirkt, als hätte jemand mitten im haus ein Feuer entzündet, die Schwaden verdecken das Gesicht beider Männer. Was zurückbleibt ist der überwältigende, fast berauschende Geruch yemenitsicher prägung. In so einem Rauch musste Moses wahrhaft Gott gesehen haben! Ihm musste das Volk Israel als Wolkensäule nachgegangen sein!

Giacomo musste kurz an Giulio denken. Dem armen Jungen wurde immer shclecht bei der Messe, wenn er das Weihrauchfass halten msuste. Ihm wurde so übel, dass er sogar eines Sonntagsmorgens nachd raußen gehen musste, weil er schrecklich speien musste. Was sie heute in Santa Maria Maddalena täten, hätte ihn wzanzigmal mehr herausgefordert.

Doch zwanzigmal mehr war das Mindeste. Giacomo verweihräuchert mehrere Sonntage, ach was, Feste, Monate! Hochkonzentriert und verschwenderich, dass jeder Dämon aus den Ecken weichen, jede Sünde ersticken musste. Bald sieht er nicht einmal mehr die eigene Hand vor Augen ...
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Luca
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Luca »

Luca schaut skeptisch vom Fässchen zu Giacomo, als dieser immer mehr Weihrauchkörner hineinschaufelt. Gut... wenn er meinte...

Schon wenige Augenblicke später finden sich beide in einem dichten Nebel wieder. Don Giacomo scheint verschwunden, nur das leise knarzende Geräusch des Gefäßes verrät, dass der Dominikaner überhaupt noch da ist. Der süßlich-herbe Geruch des Harzes steigt nicht nur, er sticht beinahe in seine Nase. Luca versucht nicht zu tief einzuatmen, doch die schwere, feuchte Luft trägt nicht gerade dazu bei, sein ohnehin vorhandenes Schwächegefühl zu verbessern. Angestrengt steht er neben Don Giacomo, presst unruhig seine Finger gegen die Ballen der jeweiligen Hand und versucht an irgendetwas anderes zu denken.

Luca schluckt.
Das, besser der erste der ihm in dieser Situation einfällt, und dem es unabhängig aller Prädisposition in diesem Moment noch schlechter gehen würde als ihm war Giulio. Unweigerlich drängt sich Luca das Bild seines im Wasser treibenden Körpers auf, als sie ihn an einem Herbsttag gefunden hatten, der ungefähr genau so trübe gewesen war, wie der Blick in den Weihrauch-Nebel der Kapelle.
Ungefähr genau so trübe, wie die Aussichten, die Luca sonst noch vor seinem inneren Auge sieht.

Giulios Tod war damals ein Einschnitt für alle gewesen. Matteo und Luca waren plötzlich nur noch zu zweit gewesen. Während Luca versucht hatte den Vorfall durch Ablenkung zu vergessen, hatte Matteo sich in eine nochmal deutlich pflichtbewusstere Richtung entwickelt, offenbar fest entschlossen nicht so zu Enden wie der junge Freund. Das Verhältnis der beiden war seitdem angespannter gewesen und Differenzen über die Wichtigkeit vorbildlichen Verhaltens hatten zu teilweise sogar heftigen Streits geführt. Wie damals jenem in der Kapelle, in Folge dessen Don Giacomo sie beide achtkantig herausgeworfen hatte. Dabei hatte eigentlich alles damit begonnen, dass Matteo Luca ermahnen wollte sorgsamer bei den Vorbereitungen zum Gottesdienst zu sein. Sie hatten beide auch danach noch Zeit miteinander verbracht, aber es schien als schwebte dieses Ereignis immer noch ein wenig über ihnen. Don Giacomo wiederum schien der Tod und vor allem dessen Umstände auch getroffen zu haben. Giulio war seitdem ein schwieriges Thema...

Dementsprechend versucht Luca auch diesen Gedanken beiseite zu schieben.

So war es nunmal in Santa Trinitá. Und ging der eine Freund verloren, musste man eben einen anderen auftreiben... Es war nutzlos, ja gefährlich, sich zu sehr an einzelne Menschen zu hängen. Das war Luca nur allzu sehr bewusst.
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Don Giacomo
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Das Weihrauchfass klackert nicht mehr, liegt jetzt in Giacomos Hand, der es an einem Haken aufhängt - doch die Schwaden sind imme rnoch so dicht wie der Nebel in San Pietro im Oktober und Februar, wenn die Feuchtigkeit der Kanäle hochsteigt und alles in grauen Schleier hüllt.

Wie aus der Ferne schallt seine Stimme. Man kann das weiße Gewand kaum erahnen, nur seine Hände sind kurz zu sehen, wie sie sich zum Gebet falten.


Großer, allmächtiger Gott, wir bitten dich um Vergebung für die Sünden, die in deinem heiligen Haus geschehen sind. Erbarme dich unser, erbarme dich jener, die nicht wissen, was sie tun und erbarme dich der armen Seele Davide Torellis, der hier sein Blut vergossen hat.

Dann wird seine Stimme lauter.

Kyrie, eléison
Christe, eléison
Kyrie, eléison
Christe, audi nos
Christe, exáudi nos


geht das Kyrie eleison durch die Kapelle, mit welcher der Padre die Allerheiligenlitanei einleitet.

Pater de caelis Deus, miserére nobis
Fili, Redémptor mundi, Deus, miserére nobis
Spíritus Sancte, Deus, miserére nobis
Sancta Trínitas, unus Deus, miserére nobis
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Luca
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Luca »

Endlich geht Don Giacomo zum nächsten Abschnitt weiter. Unglücklicher Weise klingt es nicht so, als ob es sich dabei um einen Abschluss handeln würde. Dann fällt der Name des Opfers.

Für einen Moment ist Luca verwirrt. Wieso sprach Don Giacomo nun plötzlich von Davide? Er hatte ihm doch überhaupt nichts von ihm erzählt! Dann, erst einige Zeilen später, wird Luca der Bedeutung des Gesagten wirklich gewahr.

Mit einem Mal ist es nicht mehr Giulio, dem schlecht wird, sondern Luca, der kurz das Gefühl hat als müsse er sich direkt vor seine Füße übergeben, statt dessen aber doch nur geradeaus in den Weihrauchschleier starrt. Er kann weder glauben, dass Don Giacomo gerade gesagt hat, was er gehört hat, noch kann er dessen Bedeutung wirklich erfassen. Schwer atmend inhaliert er die mit den ätherischen Ölen angereicherte Luft, sämtliche Atembeschwerden, sämtliche schwäche Gefühle oder Schmerzen sind vergessen. Luca spürt weder seine Füße, noch seine Hände oder seinen Kopf. Auch seine angelaufenen Knie spürt er nicht, als er ansonsten völlig regungslos auf den Steinboden sackt, schließlich noch mit dem Gesäß auf den Boden, den Blick immer noch in die wabernden Schwaden gerichtet.

Davide.
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Don Giacomo
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Re: Die Kapelle Santa Maria Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Sancte Michael,
Ora pro nobis.

Sancte Gabriel,
Ora pro nobis.

Sancte Raphael,
Ora pro nobis.

Omnes sancti Angeli et Archangeli,
Ora pro nobis.

Omnes sancti beatórum Spírituum ordines,
Ora pro nobis.


Die Allerheiligenlitanei bahnt sich ihren Weg. Durch die Schwaden. Durch den Raum. Durch Ritzen und Steinfurchen. In sein Gehör, in seinen Geist; aus der Halle, aus der Kirche, in die Welt hinaus. Das Gebet ist allem Weltlichen enthoben. Es strahlt über allen Dingen. Und Giacomo glaubt, er glaubt in diesem Augenblick mehr, als das Wort hergibt, denn er weiß, dass der Herr präsent war. Immer, und überall. Aber das Gefühl und das Wissen, das war nicht immer da. Diese Stimmung. Diese Atmosphäre. In der Vertiefung der Worte erfährt er einen fast aquinischen Moment, in dem er einsieht, wie alles, was er bisher getan hat, bloßer Abglanz war, nichts an das Gottesreich gereichen wollte, dass er für eine Zehntel Sekunde erspähte.

Sein Körper, seine Stimme, sein Atem geht mit. In Momenten wie diesen war kein Priester in der Kapelle allein. um ihn herum standen die Engel und Heiligen, die Propheten und Märtyrer, die Kirchenlehrer und Evangelisten. Die Gemeinschaft der Heiligen war ein Band, das Diesseits mit Jenseits verband. Wer an Christus glaubte, der sehnte sich danach: keine bloße, materielle Existenz zu führen, sondern Teil dieses Bundes zu sein, der in alle Ewigkeiten fortbestand. Kein dreckiges, tierisches Leben, das dem Teufel diente; sondern eines, bei dem am Ende nichts vergebens, nichts vergessen war. Eines, das bereits auf Erden einen mit dem Himmel verband. Was konnte es für eine schönere Aussicht geben, als diesem Gottesvolk anzugehören? Dieser Aufzählung von Kriegern, von Bekennern, von Gelehrten des Christentums über Jahrhunderte hinweg.

Er glaubt für Sekunden zu levitieren wie der Heilige Giuseppe von Copertino.


Sancte Matthæe,
Ora pro nobis.

Sancte Simon,
Ora pro nobis.

Sancte Thaddæ,
Ora pro nobis.

Sancte Matthia,
Ora pro nobis.

Sancte Barnaba,
Ora pro nobis.

Sancte Luca,
Ora pro no ...


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