Der Ponte Maddalena

Das Viertel der Fischer und Arbeiter ist der dichtbewohnteste Stadtteil Palatinas. Mit dem handelspolitischen Niedergang der Republik hat das Militär und die Waffenmanufaktur hier deutlich an Einfluss gewonnen. Die Cittadella und das Arsenal sind militärisches Sperrgebiet.
Antworten
Benutzeravatar
Don Giacomo
Beiträge: 48
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo
Beruf: Dominikaner
Gesinnung: Liberal

Der Ponte Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Der Ponte Maddalena

Bild

Der Ponte Maddalena ist eine Holzbrücke, welche die Hauptinsel Trinità mit der nördlichen Nebeninsel Maddalena in der Contrade Santa Trinità verbindet. Auf der Seite von Trinità befindet sich die Taverne, auf der Seite Maddalenas die Kapelle Santa Maria Maddalena.

Die Brücke hat schon bessere Zeiten gesehen und wurde seit dem 17. Jahrhundert nur noch mit billiger Flickschusterei erneuert. Da sie den Campo als Zentrum der Contrade im weiteren Straßenverlauf mit dem Hafen und dem Fischmarkt verbindet, gehört sie zu den meistgenutzten Verkehrspunkten der Contrade. Abgewetzte Stufen und abgebrochene Balustradenstützen geben Zeugnis davon ab. Die Anwohner bezweifeln, dass die Brücke noch in der Lage ist, um ein Pferd aushalten zu können - der Mindeststandard, den eine öffentliche palatinische Brücke erfüllen sollte - andererseits wurde das letzte Pferd, dass man in Santa Trinità im Jahr 1765 gesichtet hatte, nach nur wenigen Minuten von der örtlichen Bevölkerung verspeist. Eine solche Belastungsprobe steht also noch aus.

Von der Brücke hat man einen guten Blick auf die Spitze der Nachbarinsel Cinzia, sowie die Schlote der Waffenmanufaktur. Oft verheddern sich Abfälle aus der Manufaktur zwischen den Pfählen der Brücke, weswegen das Wasser in Richtung Isola dei Cani etwas klarer ist. Einige behaupten auch, der Dominikanerpadre Giacomo hätte dort ein Fischernetz gespannt, um das Wasser in der Nähe seiner Taverne sauberer zu halten ...
Der Papst? Wie viele Divisionen hat der denn? - Josef Stalin

Benutzeravatar
Don Giacomo
Beiträge: 48
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo
Beruf: Dominikaner
Gesinnung: Liberal

Re: Der Ponte Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Luca und Giacomo haben gerade die Mitte der Brücke erreicht, als der Junge die Frage nach dem Verbleib des Mörders aufbringt. Der Padre nimmt kurz Luft. Er faltet die Hände, sodass seine Dominikanerärmel zu einer Einheit verschmelzen. Von der Brücke schaut er den Kanal Richtung Westen. Zur Insel Cinzia mit ihren verschachtelten, überfrachteten und baufälligen Hochbauten, die halb im Wasser mit Stelzen stehen. Dahinter erheben sich die Schlote der Manufaktur, feuern Ruß in den Himmel, formen dunkle Wolken, die den Horizont trüben.

Ich habe den Schrei aus der Kapelle bis in die Taverne gehört. Aber bevor ich wusste, was passiert war, und reagierte, war es natürlich lange zu spät. Keiner weiß, wer der Täter war; und die es wissen, decken ihn.

Sein Blick Richtung Cinzia bleibt nicht ohne Grund. Dort hatte die Casa Nostra ihren Sitz. Eine von zwei Großen Banden, die Santa Trinità zu ihrem Spielfeld gemacht hatten. Militär, Justiz - sie hatten alle keine Bedeutung. So paradox es war: einzig die beiden Gangs von Snata Trinità brachten eine gewisse Stabilität, weil sie Struktur brachten. Sie verfolgten den, der die Ruhe störte. Ihre Ruhe störte. Ungecshoren kam jemand davon, wen die schützende Hand eines Bandenoberhauptes über dem Deliquenten schwebte.

Es scheint, dass selbst die wenigen Regeln in dieser Contrade zur Disposition stehen. Dass selbst die alte Grenze zwischen Casa Nostra und Sodoma keine Geltung haben. Der Krieg wird ausgeweitet. Brutaler geführt. Und je erbärmlicher die Verhältnisse werden, umso mehr Zulauf haben sie.

spricht er leiser, fast wie zu sich selbst
Der Papst? Wie viele Divisionen hat der denn? - Josef Stalin

Benutzeravatar
Luca
Beiträge: 41
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo

Re: Der Ponte Maddalena

Beitrag von Luca »

Ein Mafiamord also.

Luca schluckt. Er hatte mit irgendeinem dahergelaufenen Mörder gerechnet, irgendeinem Streit zwischen Bekannten, oder einem Irren. Dass Sodoma und Casa Nostra sich auf Maddalena bekriegten war neu. Und dann auch noch in der Kapelle.

Allerdings ergab es Sinn. Luca hatte sich bereits gewundert, warum er auf der selben Insel die Männer hatte auskundschaften sollen, obwohl dort üblicherweise niemand von der Casa Nostra agierte.

Für Luca war es gewisser Weise einerlei, er wandelte ohnehin zwischen den Welten und gefährlich war es immer, sich mit oder gegen eine der Familien einzulassen, egal wo. Auch deshalb hatte er das Geschäft mit Dom für eine gute Idee gehalten. Dom schien alleine zu agieren, das Risiko sich unangenehme Feinde zu machen hatte gering auf ihn gewirkt. Offenbar hatte er sich geirrt...

Um Giacomo allerdings machte er sich nun beinahe Sorgen. Einen Dieb zu schlagen war das eine. Eine Handfeste Fehde mit der Mafia etwas ganz anderes. Und Don Giacomo war es zuzutrauen eine derartige vom Zaun zu brechen, wenn es um seine geliebte Kapelle ging.

Luca schaut den Dominikaner besorgt an.
Me ne frego!

Benutzeravatar
Don Giacomo
Beiträge: 48
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo
Beruf: Dominikaner
Gesinnung: Liberal

Re: Der Ponte Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Giacomo verharrt einige Zeit wortlos an der steinernen Brückenbalustrade. Er sieht auf die Fenster, die im Licht der Nachmittagssonne stehen. Davor wippen kleine Boote im Wasser. Nussschalen, die in der moddrigen, grünen Masse nur deswegen nicht versanken, weil sie schon mehr aus Algen denn aus Wasser bestand.

Aber ich versichere dir ...

beginnt der Padre, hebt das Haupt

... ich werde dem nachspüren. Ich kenne noch nicht die Umstände. Vielleicht war es sogar Notwehr? Keiner weiß, wer den Streit begonnen hat; keiner weiß, um was es genau ging. Aber spielt es eine Rolle? Es geht immer um Geld, um Zucker, um Schutzgeld, um Einfluss. Dinge, die schon zu vielen Menschen in diesem Stadtteil das Leben geraubt haben.

Er dreht sich wieder nach Norden, zur Kapelle. Langsam geht er los.

Das ist der Lohn einer gottlosen Welt.

Er schließt eine Sekunde die Augen, geht dann wieder im normalen Tempo weiter. Ein Handkarren mit abgestandemen Salzwasser und Flusskrebsen darin kreuzt ihren Weg, während der Dominikaner sich mit seinem weißen Gewand vor dem Panorama der schmutzigen Häuser von Maddalena abhebt.

Jetzt komm. Bringen wir etwas Schönes in dieses Jammertal.
Der Papst? Wie viele Divisionen hat der denn? - Josef Stalin

Benutzeravatar
Luca
Beiträge: 41
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo

Re: Der Ponte Maddalena

Beitrag von Luca »

Die Worte Giacomos hallen in Lucas Kopf nach, als sie beide weiter gehen.

Zwar hatte sich der Don in einer Taverne im schäbigsten Viertel inmitten von Zuckerhändlern, anderen Hehlern und Mafiosi eingerichtet, doch lehnte er diese Welt nach wie vor entschieden ab. Es war für ihn immer wichtig gewesen, dass Luca und die anderen Jungs möglichst wenig damit zu tun bekamen, auch wenn es in Santa Trinitá unvermeidlich war. So oft hatte er deutlich gemacht, dass die Lage zwar aussichtslos schien, mit einer Verwicklung in solche Angelegenheiten - welcher Art auch immer - aber niemals besser wurde.

Doch Luca hatte schon als kleiner Junge immer wieder Kleinigkeiten für genau diese Einwohner Santa Trinitás erledigt. Nicht selten auch, weil seine Mutter Geld gebraucht hatte. Das hatte nie wirklich aufgehört. Giacomo wusste das - und er wusste es nicht. Luca ist sich unsicher, wieviel sich der Dominikaner zusammen reimte, er ist sich aber genau so sicher, dass es ihm mehr als missfiel, wenn Luca wieder in zwielichtige Geschäfte verwickelt war. Auch deshalb hatte es ihn so überrascht, wie ruhig der Padre auf die Geschichte vom missglückten Schwarzpulver-Handel reagiert hatte. Luca war in dieser Geschichte der Leidtragende gewesen, doch er hatte auch schon ganz andere Dinge erledigt. Nichts dramatisches, aber doch Kleinigkeiten für Personen und im Zusammenhang mit anderem, gegen das Don Giacomo nun vorgehen wollte.

Es beschleicht ihn das schlechte Gewissen Don Giacomo so zu enttäuschen. Er wollte nicht der Feind des Padre sein, - und auch niemand den er verachtete. Andererseits gehörte das einfach zu seinem Leben. Genau wie ein bisschen Zucker dann und wann, in letzter Zeit vielleicht öfters mal ein wenig mehr, aber die Zeiten waren nunmal schlecht.

Lucas Finger krallen sich fest um die Metallbehälter, nachdenklich geht er neben dem Dominikaner her.


Nach Santa Maria Maddalena
Me ne frego!

Benutzeravatar
Don Giacomo
Beiträge: 48
Stadtteil: San Pietro
Schicht: Popolo
Beruf: Dominikaner
Gesinnung: Liberal

Re: Der Ponte Maddalena

Beitrag von Don Giacomo »

Warum, mein San Pietro, bist du so leise geworden?

Das Abendrot mischt sich mit dem schwarzen Rauch der Waffenmanufaktur. Im Himmel ringen die Farben miteinander und verlieren sich in einem undurchdringlichen Gemisch, das keinen Blick darauf zulässt, ob die Sonne noch am Himmel steht oder schon der Mond.

Don Giacomo steht alleine auf der Magdalenenbrücke, hat seine auf der hölzernen Balustrade überkreuzt. Sein Blick geht über die schlammigen Wasser zu den Barraken und Manufakturen. Es ist alles merkwürdig einsam, obwohl er weiß, dass in den Werkstätten die Arbeiter schuften und woanders die Menschen in die Gasthäuser strömen. Aber es ist eine unangenehme Stimmung.

Ein dutzend tote Fische unterstreichen die Atmosphäre mit ihrem Geruch, als sie vom Dreck unter der Brücke davongespült werden. Der Dominikaner sieht ihnen mit skeptischen Augen nach.

Er war kein Urgestein in Santa Trinità. Aber er wusste, was es bedeutete, hier zu leben, die Leute zu kennen und ein Teil dieses Viertels zu sein. Die Waffenmanufaktur hatte schon damals bestanden. Schon damals waren neue Gesichter aufgetaucht. Schon damals hatten sich die Dinge verändert. Doch es gab etwas, das Don Giacomo in den letzten Jahren kennengelernt hatte, etwas, das man paradoxerweise gar nicht kennenlernen konnte, weil man von seiner Existenz wusste, wenn man es nicht kannte.

Anonymität.

Palatina war eine Stadt der Pfarreien, der Plätze und der Treffpunkte. Jeder Pfarrer kannte seinen Sprengel, jeder Steuereintreiber seine Parzelle, jeder Wirt seine Gäste. Kannte. Irgendwann - er wusste nicht wann - war es geschehen, dass er Gesichter nicht mehr zuordnen konnte. Priester waren dazu da, um Anonymität zu brechen. Die Schafe sammelten sich am Sonntag, man zählte sie. Aber es gab Schafe, die kamen nie zur Messe; und es gab welche, die wollten auch nicht. Nicht weil sie nicht an Gott glaubten. Sondern weil sie schlicht im Verborgenen blieben.

Der Niedergang der Zünfte hatte eine Welt geschaffen, die dem Wesen dieser Stadt zutiefst fremd war. Die Diebe, die sich einst öffentlich in Schale warfen und man sofort erkannte, die mit Lizenz ihrem Geschäft nachgingen - waren zur Ausnahme geworden. In den Schatten der Stadt wuchs etwas heran, das nichts mit dem Geist der Renaissance oder des Mittelalters zu tun hatte. Es war das zeitalter stetig wachsender Mietskasernen, wo sich hunderte Seelen auf engstem Raum zusammenpferchten; es war das Zeitalter krimineller Elemente, die sich staatlicher Aufsicht gänzlich entzogen und sich dadurch definierten, dass man nicht mehr Namen und Personen kannte. Früher wollten Meuchelmörder und Diebe bekannt sein. Es war nichts mehr laut, nichts mehr offen, nichts mehr richtig ausgesprochen; es war eine Zeit, in der die Manufakturen rumorten, Schaufelräder ruderten und Rauch dampfte oder zischte; aber es war eine Zeit, in denen die Menschen zu schweigen begannen.

Es war eine Zeit, die nicht mehr nach Gott, nicht mehr nach dem Menschen rief - sondern nach dem Staat, weil sich die Probleme bis zum Himmel türmten. Die Anonymität rief nach der Anonymität. Er konnte als Priester einzelne Schicksale beeinflussen. Als Katholik war dies das Große: es nämlich im Kleinen zu tun, statt die Welt verändern zu wollen. Aber das war keine Idee mehr, die heute wirkte; die Menschen wollten die Welt jetzt, sofort und ganz verändern. Dafür reichte kein katholischer Glaube aus, der nicht in Tagen oder Wochen dachte, sondern in Jahrhunderten. Das machte den Glauben so schwach in dieser Zeit: er lieferte nicht sofort, er befriedigte nicht sofort, er löste die Probleme nicht sofort. Weil der Katholizismus keine Revolution machte - in der festen Überzeugung, dass die Revolution schon vor 2.000 Jahren stattgefunden hatte.

Es war genug für ihn. Es war genug für einige. Doch im tiefsten Herzen nagte das Wissen darum, dass es für viele Seelen nicht genug sein würde - und im Strom von Fortschritt, Hedonismus und Revolution für immer verloren gehen würden. Verschlungen von einer Anonymität, die Kader, Nummern und Kategorien über das menschliche Sein als solches stellte.

Don Giacomo wendet sich von der Szenerie ab. In der sich ausbreitenden Dunkelheit fällt sein gewand über die hölzernen Brückenstufen.

Er fasst die Taverne ins Auge.


Zurück in der Taverne „Arsinoë“
Der Papst? Wie viele Divisionen hat der denn? - Josef Stalin

Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast