Die Bocca Lupini, Sitz der Casa Nostra
Der Sitz der Casa Nostra ist gleichzusetzen mit dem Sitz der Famija Lupini. Früher wechselte der Sitz der Gesellschaft mit dem jeweiligen Capo. Da die Bocca Lupini zu den größten erhaltenen Hauskomplexen der Contrade gehört, hat es sich eingebürgert, dass auch Capi aus anderen Familien im Zweifel hier residieren. Mit der langjährigen Herrschaft von Luciano Lupini haben sich aber solche Details sowieso erledigt.
Das Gebäude stammt in seinen Ursprüngen aus dem frühen 16. Jahrhundert und gilt als eines der ältesten erhaltenen Häuser des Viertels. Erhaltene Fresken bezeugen die ursprüngliche Funktion als Kaufmannshaus mit einem repräsentativen Innenhof und einem Lager im Erdgeschoss. Die eigentlichen Besitzer überließen das Gebäude Ende des 17. Jahrhunderts sich selbst. Die bekannteste Legende über die Gemäuer lautet, dass der letzte Kaufmann an Leib und Leben bedroht und seine Frau als Geisel genommen wurde; um beider Leben zu retten wurde er dazu erpresst, das Haus und alle Güter darin aufzugeben.
Traditionell gilt die Famija Barbaresco als jener Clan, der sich dieses einstigen Kaufmannshauses und aller seiner Reichtümer bemächtigte. Die Barbaresco waren einst der mächtigste Clan auf der Insel Cinzia und terrorisierte die Einwohner auf brutalste Weise. Die Lupini wanderten etwa um 1700 von den Schemen nach Santa Trinità ein, ließen sich zuerst auf der heutigen Manufakturinsel nieder und sahen sich aufgrund des Expansionsdrucks des Militärs neuerlich dazu gezwungen, nach Cinzia überzusiedeln. Die Lupini ordneten sich als Mitglieder der Barbaresco-Familie zuerst unter, bevor sie diese in langjährigem Machtkampf zurückdrängten und schließlich besiegten. Seitdem ist der Unterschlupf der Familie als „Wolfsmaul“ berüchtigt.
Die Stellung der Lupini begründete sich in den Folgejahren auch durch diesen Familiensitz, der festungsartig ausgebaut wurde. So ist das Gebäude nur über eine Treppe im Innenhof betretbar, die in den ersten Stock führt. Dafür muss man jedoch erst in den Innenhof gelangen – der mit einer eisenverstärkten Türe aus der Manufaktur abgesperrt werden kann. In den einstigen Kaufmannslagern sollen Vorräte für mehrere Wochen, wenn nicht Monate liegen, und neue Außenbauten bieten hervorragende Möglichkeiten als Schussanlagen. Ein fehlgeschlagener Angriff der Sacra Catena auf die Bocca im Ersten Mafiakrieg sollte sich später als kriegsentscheidend erweisen. Eine Flankenfassade zieht sich am Wasser entlang und bietet einen kleinen Steg zur Ankunft oder Abfahrt über die Kanäle.
Wie viele Menschen in diesem Gebäude leben und arbeiten – ist unbekannt. Die Bocca soll jedoch groß genug sein, um allen Colitì Schutz zu gewähren. Es wäre aber falsch anzunehmen, dass hier nur Bandenmitglieder ihr Unwesen trieben. Die Bocca ist ein großer Komplex, in der Köche, Bedienstete, Wäscher oder Schmiede arbeiten. Diejenigen, die an den Wachposten am Tor vorbeikommen, sehen bereits im Innenhof die Frauen, die Wäsche waschen, Wasser aus der Zisterne holen oder kleinere Handwerker, die Holzarbeiten reparieren oder Waffen schleifen. An der Zisterne warten zudem immer wieder Bittsteller oder Soci auf Einlass, um dem Padrino ihr Anliegen vorzulegen. Colitì und höherrangige Mitglieder der Gesellschaft warten dagegen in einem Foyer mit dunklen Vorhängen, die nahezu jedes Licht ersticken.
Im Gegensatz zum heruntergekommenen Äußeren ist das Innere überraschend vornehm eingerichtet, wird vorbildlich instandgehalten und hat die Atmosphäre eines feudalen Anwesens. Von allen Familien gelten die Lupini als jene mit dem größten Hang zu Eleganz und Stil, allerdings ohne in Prunksucht zu verfallen. Lange Teppiche und Vorhänge kühlen den Bau ab und schützen zudem vor fremden Einblicken, Gerüchen oder dem Rauch aus der nahen Manufaktur. Die prägenden Farben sind Schwarz, Weiß und Rot, die Farben der Familie Lupini. Die Bocca unterteilt sich grob in drei Teile: einmal die privaten Räumlichkeiten der engeren Familie des Padrino bzw. Capo, die nur engsten Vertrauten zugänglich und schwer erreichbar sind; dann die Räume der Famija Lupini im weiteren Sinne mit Vorratsräumen, Küchen, Speiseräumen, Versammlungsräumen und Schlafsälen für mehrere Personen; zuletzt der Bereich, der als Gebiet der Casa Nostra als Ganzes verstanden wird, so der Saal des Vangelo, die Schatzkammer, die Übungsräume, die Schmuggellager und Waffenarsenale.
Die Bocca ist ein mit Geheimgängen, Irrwegen und irritierenden Pfaden ausgestatteter Komplex und Fremde, die nicht zur Famija gehören, gehen hier hoffnungslos verloren. Eine genauere Beschreibung der Stockwerke und Räumlichkeiten ist daher an dieser Stelle nicht möglich.