Die Straßen von San Pietro

Das Viertel der Fischer und Arbeiter ist der dichtbewohnteste Stadtteil Palatinas. Mit dem handelspolitischen Niedergang der Republik hat das Militär und die Waffenmanufaktur hier deutlich an Einfluss gewonnen. Die Cittadella und das Arsenal sind militärisches Sperrgebiet.
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Die Signoria
Im Namen der Republik
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Die Straßen von San Pietro

Beitrag von Die Signoria »

Die Straßen von San Pietro

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Fischgeruch, mal von frischen Forellen und Lachs, mal von ranzigem Schuppenfisch in öligem Extrakt, beherrscht das Viertel der Fischer, der Matrosen, Soldaten und Arbeiter. Dazwischen mischt sich der Brandgeruch der Essen, das Surren von Spinnrädern in Textilbetrieben und der Gestank aus Gerbereien. Zwischen den bröckelnden Hausfassaden und den Erkern mehrstöckiger Wohntürme mischt sich der Rauch von Schloten. Etwas passiert in diesem Viertel, etwas, das nichts mit der Revolution des gediegenen Mittelstands in seinen bürgerlichen Wohnungen von San Paolo zu tun hat, sondern eine, die das gemeine Volk betrifft, das Schicksal hunderter Familien bestimmt. Die Tage der Seefahrt, zumindest der palatinischen, scheinen gezählt zu sein; und damit alles, was an der alten Kaufmannsrepublik hängt. Stattdessen mischt sich etwas Neues, etwas Umwälzendes hinein, das man in den Straßen sieht, riecht, spürt: die Soldaten merken es, die Fischpuhlerinnen, die Lastenträger. Kutschen, voll beladen mit Kohle, Stahlerzeugnissen und anderen Produkten der neuen Manufakturen beherrschen das Bild eines dynamischen Stadtteils, in dem der Geruch von etwas in der Luft liegt, das man in vorigen Jahrhunderten nicht kannte: es ist der Geruch der industriellen Revolution, dessen feine Nuancen sich zwischen die verschlafenen Kanäle mischen.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Luca
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Re: Die Straßen von San Pietro

Beitrag von Luca »

Ich hab dir gerade schon gesagt, dass...

Ahh, lass mich los!!!

Die Hände eines grobschlächtigen Mannes in zerrissener Kleidung haben sich unsanft in Lucas Kragen gekrallt und heben seinen Körper mühelos in die Höhe, pressen ihn an eine modrige Wand irgendwo in den Tiefen des Gassengewirrs San Pietros. Gestank von ranzigem Fisch weht Luca entgegen, und zwar in einem Ausmaß, dass noch deutlich über den üblichen Geruch in den Kanälen hinausgeht.

Und ich hab' dir gesagt, dass mich deine beschissenen Ausreden nich' interessieren! Ich will das Geld! Und zwar...

Lucas Handballen klatschen in das breite Gesicht des Mannes und unterbrechen dessen Redefluss, während der rechte Fuß des Jugendlichen nur knapp die Kniescheibe seines Kontrahenten verfehlt.


Du sollst mich runter lassen!!!

Tatsächlich lösen sich die Hände um seinen Kragen und Luca rutscht an der Wand herunter. Doch noch bevor seine Knie den Aufprall vollkommen abfedern, trifft die rechte Faust des Mannes Lucas Gesicht wie ein Panzerhandschuh. Zuerst mit den Knöcheln, dann gräbt sie sich tiefer, bis er spürt wie sein Gesicht plötzlich nachgibt. Ein stechender Schmerz durchzuckt seine Nase, die sich kurz darauf so heiß anfühlt, als wäre dieser Handschuh nicht nur eisern, sondern glühend gewesen.

Luca schlägt sich die Hände vor's Gesicht und spürt, wie ihm sofort Blut in die Handfllächen rinnt.


ahhh...

Tränen schießen ihm in die Augen und er beugt sich wankend und um Fasung ringend nach vorne. Doch schon spürt er, wie sich wieder Finger in seine Kleidung krallen, ihn aufrichten und abermals gegen die Wand pressen.

Jetz' hör mir mal zu du Kroppzeuch! Ich geb' dir noch genau EINE WOCHE. EINE WOCHE auf den Tag genau. Und wenn ich bis dahin nich' mein Geld hab', dann brech' ich dir jeden Knochen einzeln!

Luca blinzelt ein paar Tränen weg und schnieft etwas Blut aus seinen Atemwegen. Dann funkelt er den Mann so zornig es geht an.

Und wenn du mich totschlägst! Davon bekommst du dein Geld auch nicht schneller!

In seiner Stimme ist nicht so viel Entshclossenheit, wie er es sich gewünscht hätte. Trotzdem! Er würde sich nicht einfach von diesem Bastard so fertig machen lassen.

Dom hat gesagt deine Ware war scheiße und er kann sie kaum verkaufen! Daran kann ich nichts ändern! Und ich habe kein Geld! blafft er ihn an

Lucas Hände krallen sich in die Handgelenke des Mannes, versuchen ein wenig den Druck von seinen Schlüsselbeinen zu nehmen.

Red' ich Französisch?

Der Mann greift mit der Linken in Lucas Gesicht, Daumen und Zeigefinger bohren sich schmerzhaft in seine Wangen. Als die ölige, mit eitrigen Flecken besetze Nase des Mannes sich seiner nähert, versucht er angewidert das Gesicht abzuwenden, doch die Hand des Gegenübers hält seinen Kopf wie ein Schraubstock. Wie kann man in einer einzigen Hand so viel Kraft haben?

Eine Woche!
Dann sehen wir uns wieder!
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Luca
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Re: Die Straßen von San Pietro

Beitrag von Luca »

Endlich lässt der Mann von ihm ab und stapft durch die Gasse von dannen. Wäre es Tag, würde er nun vermutlich das klägliche Licht blockieren, dass die modrigen Wände von Zeit zu Zeit ein wenig aufhellte, doch so verschwindet er einfach in der Dunkelheit.

Luca sinkt an der Mauer herab, eine Hand das pochende Gesicht haltend, bis sein Gesäß den kalten Steinboden berührt. Er kneift die Augen zusammen, lehnt den Hinterkopf an die ebenso Kühle Wand.


ah-hhh...

Schwer atmend versucht er dem Schmerz Herr zu werden, der sich pulsierend immer wieder vom Nasenrücken unter die Augen und bis in die Stirn ausbreitet. Mit dem Mann ist auch der penetrante Fischgestank verschwunden, doch alles was Luca momentan riecht und schmeckt ist sein eigenes Blut, welches immer noch unaufhörlich aus seiner Nase rinnt. Es fließt über sein Lippen, das Kinn hinab und tränkt dann die Vorderseite seines einfachen dunklen Hemdes, dass an der Brust schon ganz klamm und schwer ist.

Er neigt den Kopf etwas weiter nach hinten, presst vorsichtig seine rechte Armbeuge unter die Nase in der Hoffnung den Blutfluss ein wenig zu stoppen.

Niemals hätte er sich auf dieses Geschäft einlassen sollen. Das ganze Konzept war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Aber Dom war entschlossen gewesen und sympatisch, und Luca brauchte das Geld. Außerdem schuldete er ihm einen Gefallen.

Luca beschleicht langsam das Gefühl, er könnte das alles von Anfang an so geplant haben.


VERDAMMT!

platzt es aus ihm heraus und er schlägt mit der rechten Faust auf den Boden, nur um es zugleich zu bereuen, als ein weiterer Schwall Blut aus seiner Nase rinnt. Schnell hält er sich wieder den Unterarm davor.

Was soll er denn jetzt machen?!

Mit dem Mann ist offenbar nicht zu scherzen und einfach irgendwo zu verschwinden, das kann er sich gerade nicht leisten. Er muss unterwegs sein, zumindest um ein wenig Geld für Essen zu verdienen und den ein oder anderen Auftrag zu erledigen. Aber so lange Dom weiter behauptete, dass er die Ware noch nicht verkaufen konnte, hat er keine Chance das Geld zu erhalten mit dem er den Kerl auszahlen sollte.

Resigniert rutscht er noch ein Stückchen weiter die Wand hinab, und blinzelt vorsichtig in den Himmel, der sich als schmales Band zwischen den eng beieinander stehenden Dächern zeigt. Ein paar Wolken lassen sich erahnen, verdecken hier und dort die Sterne, die andernorts gleichgültig auf ihn herab funkeln.

Einen Moment lang bleibt er so liegen, versucht mühsam atmend ein wenig Luft durch seine geschwollene Nase zu bekommen.

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Luca
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Re: Die Straßen von San Pietro

Beitrag von Luca »

Dann aber richtet er sich mühsam auf. Sein Kopf fühlt sich schwer an. Vielmehr als sei er mit Blut voll gelaufen, als dass er welches verloren hätte. Wenn er sich selbiges allerdings nicht bald aus den Klamotten waschen würde, bekäme er das nie wieder heraus.

Der Schmerz in seinem Gesicht ist von einem pulsierenden Stechen, zu einem dumpfen, beständigen Ziehen abgeflaut, auch die Blutung hat nachgelassen, wenngleich er mit jedem Schritt die Erschütterung bis in den Haaransatz zu spüren scheint.

Langsam macht er sich auf zum nächsten Brunnen.
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Don Giacomo
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Re: Die Straßen von San Pietro

Beitrag von Don Giacomo »

Die Seitentüre der Taverne schlägt zu. Gicaomo geht im prächtigen Priestergewand über die Straße, stapft voran. Eine Wasserträgerin schaut in seine Richtung, überrascht vom Messgewand an diesem Freitag.
Freitag, dachte sich der Dominikaner - Freitag war ein guter Tag zur Sühne. Gab es einen besseren als den, an dem man den Herrn gekreuzigt hatte, um an Sühne und Reue zu appellieren?

Hinter ihm klappern Weihwasserkessel und Weihrauchfass in Lucas Hand. Giacomo geht voraus, spricht dann, ohne sich umzudrehen.


Eine Kirche ist ein geweihter Ort, Luca. Er ist seit seiner Weihe geheiligter Boden. Kirchenboden ist kein einfacher Boden, wo du alles tun oder lassen kannst. Es ist das Haus Gottes, das von Menschen verwaltet wird. Das Haus gehört uns nicht. Wenn man in einer Kirche etwas anstellt, ist es, wie wenn du als Gast in einem fremden Haus die Blumen aus der Vase reißt und die Katze des Hausherrn darin ersäufst.

Sie erreichen den Ponte Maddalena, die Brücke, die sich zwischen Trinità und Maddalena spannt. Die abblätternde Fassade des Kirchengebäudes strahlt in der Nachmittagssonne.

So etwas ist geschehen. Ein heiliger Ort wurde buchstäblich entweiht, weil an ihm ein Mord geschah. Mord ist ein allzu menschliches Ding. Profan wie Vandalismus. Das einzige Blut, das früher einen geheiligten Ort benetzen durfte, war das von Tieropfern im Tempel von Jerusalem. Unser Opfer, das wir Christen darbringen, sind Blut und Wein Jesu Christi. Das ist der Sinn der Messe. Es ist ein Dienst an Gott in seinem Haus.

Seine Miene verfinstert sich.

Das Blut von Menschen in einem Gotteshaus zu vergießen hingegen ... ist nichts anderes als eine Entweihung, eine Schändung - ein Sakrileg. Reinigung heißt, das Haus wieder in seinen geweihten Zustand zurückzuführen. Das älteste Verbrechen der Menschheit war der Verrat im Garten Eden. Das zweitälteste war die Ermordung Abels durch seinen Bruder Kain. Der Mord ist so alt wie die Menschheit. Die erste Waffe des Teufels ist die Anstiftung zur Gotteslästerung; die zweite ist die Anstiftung zum Mord.

Der Priester betritt die Brücke. Schaut auf den Schlamm, den das Wasser durch den Kanal wälzt. Wie heute Morgen hängt ein übelriechender, schwefliger Geruch in der Luft, der aus der Tiefe nach oben quillt.

Das Böse selbst hat in Santa Maria Maddalena gewaltet.
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Luca
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Re: Die Straßen von San Pietro

Beitrag von Luca »

Luca stapft hinter Don Giacomo her, bemüht weder etwas von den Utensilien aus seinem Arm zu verlieren, noch in irgendeine besonders dreckige Pfütze oder anderen Unrat zu treten.

Hatte er gerade wirklich Mord gesagt?

Luca brauchte keine theologische Erklärung um zu verstehen, dass Gewalt in der Kirche ein Unding war. Luca hatte sich vor Ewigkeiten einmal mit Matteo während einer Vorbereitung zur Messe gestritten und möglicher Weise war dieser Streit ein wenig heftiger geworden. Allerdings nicht ansatzweise so heftig wie Giacomos Reaktion darauf, als er es mitbekommen hatte...

Ein Mord in Santa Trinita war keine außerordentliche Sache. Aber ein Mord in der Kapelle sicherlich. Allemale für den Dominikaner.


Habt Ihr den Mörder erwischt?

fragt Luca neugierig, mindestens genau so neugierig darauf zu hören, wie es mit diesem weiter gegangen war, sollte Don Giacomo ihn tatsächlich in die Finger bekommen haben. Die Geschichten wie der Pater mit Kriminellen die sich an seinem Kirchengut vergriffen umging, waren legendär.

Außerdem ist er ein wenig erleichtert, dass Don Giacomos düstere Stimmung offenbar lediglich auf diesen Frevel zurückzuführen war. Vermutlich wollte er die Kapelle jetzt einfach nur neu einsegnen...


Auf der Brücke
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Don Giacomo
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Re: Die Straßen von San Pietro

Beitrag von Don Giacomo »

Der Campanile von San Pietro läutet. Vier Schläge zur vollen Stunde. Sechs Schläge für die sechste Stunde. Dann ertönt ein Glockenspiel. Sie tönen über die Dächer des ganzen Stadtviertels, schallen auch über den Bruchbuden von Santa Trinità. Klingen in der Dämmerung, deren rötlicher Schimmer auf den Dächern spielt.

Im Grunde ist es ja schon wieder Zeit für die Messe.

bemerkt Giacomo, der die Kapelle für heute abschließt. Zweieinhalb Stunden hatten sie nun im Gotteshaus verbracht, und vermutlich würde selbst ein päpstlicher Exorzist nach den hier abgeschlossenen Ritualen vor Neid erblassen und ein Diplom ausstellen, dass dieser Ort mindestens so rein und unbefleckt war wie das Petrusgrab selbst.

Mach dir nichts aus der Sache mit dem Weihrauch. Du bist immer noch deutlich härter im Nehmen als Giulio.

Klicken. Der Padre zieht den Schlüssel aus der Tür und steckt ihn ein. Er wendet sich nun ganz an Luca.

Und ich meine, wir hatten danach doch immer noch eine schöne Zermeonie. Auch, wenn wir natürlich wegen der Unterbrechung die Allerheiligenlitanei wiederholen mussten. Und einen Exorzismus sollten wir in Zukunft viel häufiger aufsagen. Der Psalm, das Vaterunser und die ganzen Rosenkränze - ich weiß gar nicht mehr, wie viele das waren - waren ebenfalls sehr erhebend.

Ja, es war wirklich eine ganz und gar prächtige Reinigung gewesen, daran bestand kein Zweifel. Natürlich hatte es sich Giacomo nicht nehmen lassen, bei der Allerheiligenlitanei auch noch ein paar Heilige hinzuzufügen, von denen er glaubte, sie erhielten zu wenig Beachtung.
Er legt die Ärmel zusammen, geht über die Treppe voraus auf die Straße. Seine Stimme wird wieder etwas ernster.


Bei der Eucharistievorbereitung habe ich allerdings gemerkt, dass du etwas aus der Übung bist. Ich schiebe es mal auf die Nachwehen und die etwas wackligen Knie.
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Luca
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Re: Die Straßen von San Pietro

Beitrag von Luca »

Luca hatte schon vor der Reinigung nichts sehnlicher gewollt als die Kapelle verlassen zu können. Doch jetzt ist es ihm einerlei. Weder die frische Luft noch das Rot des Abends dringen zu ihm vor. Auch die Glocken, erscheinen als hätten sie nichts mit seiner Welt zu tun. Ausdruckslos wandelt er hinter Don Giacomo aus der Kapelle, bleibt an einer kleinen Mauer stehen und starrt in den Kanal. Erst als Don Giacomo die Tür abgeschlossen hat und ihn nun ganz direkt anspricht, wendet auch Luca seinen Blick langsam zum Padre.

Ganz im Gegenteil zu Luca, ist Don Giacomo voller Leben. Er kommt Luca beinahe fremd vor, wie er so überschwänglich, so begeistert von der Zeremonie berichtet. Wenn jemand sonst etwas aufgedrehter war, dann war es eigentlich Luca, und Don Giacomo war ruhig. Dieses mal war es umgekehrt. Würde er es nicht besser wissen, er würde meinen der Dominikaner stünde unter Drogen. Lucas Teilnahmslosigkeit, weicht Irritation die schließlich in Fassungslosigkeit umschlägt, als der Padre darüber sinniert, wie schön es doch war, und dass man dieses Ritual öfter wiederholen müsste, eben weil es so schön war. War er gerade noch Ausdruckslos, so verfinstert sich nun sein Blick.


Dieses verdammte Ritual hatte nur statt gefunden, weil in der Kapelle ein Mensch gestorben war. Weil Davide gestorben war. Hinterrücks niedergestochen vor einer Statue des Heiligen Antonius. Luca kann der ganzen Situation kein bisschen Begeisterndes abgewinnen. Nein, er will das Ritual nicht wiederholen. Vielmehr würde er alles ungeschehen machen wollen, die Zeit zurück drehen, oder wenigstens endlich aus diesem Albtraum aufwachen.

Mit einer Mischung aus Abscheu und Ärger starrt Luca den Dominikaner an. Es liegt keinerlei Provokation in seinem Blick, vermutlich ist sich Luca seines Ausdrucks selbst nicht einmal bewusst. Es vergeht ein merkwürdig stiller Moment, in dem nur die Glocken klingen und der Kanal leise neben den beiden gluckert, bis Luca endlich antwortet.


Vielleicht sollte häufiger jemand in der Kapelle abgestochen werden. sagt er vollkommen tonlos.

Dann habt Ihr öfter eine erhebendes Erlebnis und ich komme wieder in Übung.

Luca spürt wie nach diesen Worten Wut in ihm aufsteigt. Sie kriecht von seinen Füßen die Beine hinauf, in seinen Bauch, beginnt ihm die Brust abzuschnüren. Auf einer gewissen Weise wollte er am liebsten Don Giacomo am Kragen packen und anschreien, ihm alles entgegen schreien, was ihn gerade aufbrachte. Dabei sind es lange nicht nur Dinge, die den Dominikaner betreffen, es ist vielmehr eine Diffuse Wut auf alles, die der Padre leidglich durch seine ausgelassene Fröhlichkeit provoziert hat, indem er ihr dadurch einen Kontrapunkt bot. Einen Kontrapunkt, zu allem was gerade in Luca vorging.

Luca funkelt Don Giacomo für einen winzigen Moment zornig an, strafft sich dann abrupt.


Ich muss dann jetzt noch etwas erledigen. sagt er mit harter Stimme.
Auf Wiedersehen Don Giacomo.

wendet er sich ab, und geht mit festen Schritten die Straße hinab.
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Don Giacomo
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Re: Die Straßen von San Pietro

Beitrag von Don Giacomo »

Einem anderen die Freude an einem Mord zu unterstellen, der eine Messe zum Wohl des Ermordeten spendet, ist so niederträchtig wie diabolisch, dass es für dich in der Tat besser ist, das Weite zu suchen.

Mit einem Mal kippt die Stimmung. Es braucht beim Dominikaner keinen Wandel. Luca hat sich schon abgewendet, da hört er die Worte nur noch dunkel hinter seinem Rücken. Offensichtlich hat Giacomo dasselbe getan. Seine Stimme bleibt dabei merkwürdig tonlos. Nicht wütend, sondern scholastisch rational. Als hätte er gerade eine Analyse getroffen, dass es der Junge nicht einmal verdient hatte, diesen Gegenstand näher zu betrachten. Die Conclusio stand. Und damit das Urteil der Inquisition.

Luca hatte Glück. Glück, dass Giacomo Prinzipien hatte. Luca hatte vielleicht das Gefühl, den Padre am Kragen packen zu müssen - aber Giacomo hätte ohne Probleme genau das tun können, und ihn mit einem Faustschlag in den nächsten Kanal boxen können. Die Kraft dazu hatte er. Ansonsten hätten sich schon mehr Leute mit ihm in Santa Trinità angelegt. Doch nichts davon passiert; vor allem, weil der Don nicht daran denkt. Er hielt keine Sonntagspredigten über die Gewalt, das stimmte. Das änderte aber nichts an seinen eigenen Vorsätzen. Der Vorsatz lautete dabei weniger, dass man vorlaute Rabauken nicht in den Kanal werfen sollte; er lautete vielmehr, dass Gewalt tatsächlich nicht das beste Mittel war.

Es gab schlimmere.

Don Giacomo machte seinen Punkt klar, indem er nichts sagt. Seinerseits gab es keine Verabschiedung. Ein "Addio" war aus mannigfaltigen Gründen fehl am Platz.

Er ging zurück über den Ponte Maddalena - und ließ Luca im Ungefähren, Ungesagten, Unbekannten zurück.


Weiter auf dem Ponte Maddalena
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