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Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Mittwoch 13. Mai 2020, 20:54
von Marco Foscari
Oder: eine Sammlung.

Die letzten fünf Jahre war ich - das ist wohl niemandem entgangen - eher abgängig, und ich vermute, dass das anderen nicht anders geht. Aber neben persönlichen Gründen, neben Veränderungen, neben dem Alltag erklärt das natürlich nicht, warum Foren-RPGs allgemein sterben. Auch die Erklärung, die "Ideen" gingen aus, ist eher vorgeschobener Natur, denn im Grunde bietet die Phantasie immer eine Ekrlärung; ganz abgesehen davon, dass dasselbe eben nicht ermüdet, sonst wären Sitcoms und andere Formate, die im Grunde nur auf Wiederholung abheben, nicht so beliebt.

Ich habe mir zu diesem Thema in den letzten Wochen erhebliche Gedanken gemacht, da jeder, der mal in Auriana oder Palatina war, bis heute diese Zeit im Kopf "nachfühlt". Und das hat nicht nur mit Nostalgie zu tun, oder weil es für einige ein haupthobby war, sondern auch mit sehr extremen Erfahrungen, die etwas mit der menschlichen Psyche anstellen. Ich kann dabei nach einer intensiven Zeit des Forenrollenspiels von 2003 bis etwa 2013 (machen wir es der Schönheit wegen rund) zusammenfassen, dass die schönen und positiven Momente deutlich überwogen haben - auch, wenn es sich um einen unsäglichen Zeitfresser gehandelt hat, immer wieder.

Mir fällt nämlich jetzt auf, dass die Balance doch keine schlechte war. Durch die Neuerungen in der Kommunikatuionstechnologie verliert man teilweise genauso viel Zeit - ohne es zu merken. Der Unterschied zu einem großen Teil der Sozialen Medien, Whatsapp und wie der ganze Anhang heißt: man fühlt sich in einem Forum nicht halb so sehr unter Stress gesetzt. Und das ist eine äußerst interessante Sache. Im Grunde wäre so eine Entschleunigung eine ganz positive Sache angesichts dieser hysterischen Verwerfungen, die sich seit der Facebookisierung Bahn gebrochen haben. Aber: entweder ist es nicht gewollt, oder die Leute sind nicht mehr imstande.

Ich sehe daher mittlerweile ganz strukturelle Probleme, für die auch das beste Foren-RPG nichts mehr kann. Tablet und Smartphone sind der Erzfeind längerer Texte. Der Dopaminausschuss von Likes und immer neuen Mitteilungen fehlt - und damit auch der Belohnungsfaktor, für jede gepostete Sache gleich irgendetwas nachgeworfen zu bekommen. Die Kommunikationsnetzwerke sind in ihrer Art mittlerweile Browserspiele geworden. Ich glaube, man kann das erst verstehen, wenn man drei Jahre auf der Hure Twitter verbracht hat, wo wirklich alles im Sekundentakt geht. Es macht - auf Dauer - krank und nervös.

Das Internet hat für die Generation, die schon vor 2008 unterwegs war, mittlerweile einen großen Teil seiner Faszination verloren, weil es keine Erholung und Rückzug, sondern Dauerbeschallung und Entblößung geworden ist. Einen Text dieser größe würde jetzt bereits mit tl;dr bekrittelt. Ich merke aber immer mehr: ja, das war immer meine Welt. Und im Grunde ist es schrecklich, dass das heute nicht mehr Normalität, sondern Absurdität geworden ist, das Leute sich in dieser Art und Weise unterhalten.

Da liegt ein Knackpunkt. Forenrollenspiele fordern einen selbst heraus. Sie befriedigen keine kurzzeitigen Bedürfnisse. Sie sind manchmal sogar Arbeit. Aber es beruhigt alles ungemein auf Dauer. Es ist - paradoxerweise - dem normalen Leben viel ähnlicher, als man beim Eskapismusvorwurf denkt: denn im Gegensatz zu den neuen Medien gibt es keine sofortige Belohnung, keine sofortige Lustbefrieidgung, keine sofortige Reaktion. Mann muss was aufbauen und erntet dann über Zeit. Die Mentalität hat sich soweit geändert, dass man nicht einmal mehr diesen Gedanken nachvollziehen kann.

Man sollte sich daher nichts vormachen. Es wird keine junge Generation mehr geben, weil das Angebot an Berieselung gewaltig da ist; und nicht nur das, es ist "einfachere" Berieselung. Ich spreche dabei nicht einmal von PC-Spielen, die es bei mir auch früher schon neben dem RPG gab. Das Internet ist zu einem reinen Hort der Ablenkung geworden, die Aufmerksamkeitsspannen mittlerweile gering. Es ist Wahnsinn, dass einige mehrmals auf Facebook posten, tweeten oder Bilder bei Instagramm hochladen kann, aber nicht mehr in der Lage sind, zwei RPG-Postings am Tag abzusenden. Der reinste Wahnsinn.

Re: Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Freitag 22. Mai 2020, 00:39
von Enrico Albizzi
Wir haben ja schonmal darüber gesprochen, deswegen spare ich mir die Zustimmung.

Was ich denke was eine große Rolle spielt, ist dass sich im allgemeinen, also in der Gesellschaft, die PC Nutzung stark verändert hat. Wer sich vor einigen Jahren noch erstmals einen kleinen PC oder Laptop gekauft hat um am Abend mal eine Weile zu "surfen", der nutzt heute oft überhaupt keinen PC mehr. Die Verkaufszahlen sind seit Smartphone und Tablet massiv rückläufig und wie du selbst sagst: Dort schreibt man keine Texte. Der Otto-Normal-Verbraucher setzt sich nicht mehr bewusst und stationär an sein Gerät, er schaut Netflix oder sonstetwas und chattet nebenbei mit seinem Handy.

Ich glaube aber auch, dass was Palatina konkret angeht, eine große Portion konkret an uns selbst gelegen hat/liegt. Und da sehe ich viel weniger die berufliche Komponente, denn wie du richtig sagst hätte man dennoch genug Zeit, sondern vor allem eine soziale als einschneidend. Ich für meinen Teil habe in den letzten Jahren deutlich weniger Zeit alleine vor dem PC verbracht. Das war rückblickend betrachtet vielleicht gar nicht immer so gut, aber es war so. Aber (Foren)rollenspiel ist eben etwas, für das man sich auch Zeit nehmen muss, etwas, dass man nicht mal eben in Anwesenheit andere zwischen Tür und Angel abspult. Ich denke wir haben es ein Stück weit versäumt, das RPG als aktives Hobby wahrzunehmen und ihm genau so Zeit einzuräumen, wie man es bei einem Sportverein tun würde. Jahrelang war es bei uns vielmehr selbstverständlicher Teil unseres Lebens, so wie andere vielleicht mit Schulfreunden "herumhängen". Irgendwann verliert man sich dann aus den Augen, wenn die äußeren Umstände sich ändern, man sich daran aber nicht adaptiert, immer öfter jemand keine Zeit hat und "die alten Gesichter aus der Stammkneipe" nach und nach verschwinden.

Ich habe gerade als du mit der Idee um die Ecke kamst wie du gemerkt hast feststellen müssen, dass es für mich lange nicht nur eine organisatorische Grätsche zwischen dem Leben jetzt und damals ist. Ich halte andere Aspekte für beinahe noch schwieriger. Wie sich das vereinbaren lässt wird sich in den nächsten Monaten, vor allem auch ab Herbst zeigen.

Unser aller Schicksal eben...

Re: Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Donnerstag 17. September 2020, 12:16
von Marco Foscari
Spinnen wir "nach ein paar Monaten" die Fäden mal fort.

Auf den ersten Blick könnte man sagen: Juli und August hat sich nichts getan, das Forum ist der Beweis, dass das Foren-RPG sich überlebt hat. Die Skype-Gespräche und das RPG seit dem 1. September zeigen wiederum das komplette Gegenteil.

Bei mir bewahrheitet es sich schon: bei mir gibt es wegen RL manchmal "erhebliche Ausfälle". Aber es bewahrheitet sich auch: das Spiel hat seinen Reiz. Im Mai war es für mich noch persönlich schwierig, wieder in das "flüssige Spiel" einzusteigen, vielleicht auch, weil die Konzeption und der "Bau" der Stadt sehr viel Aktivität und Kreativität gefordert hat.

Was auch definitiv stimmt: wir müssen mehr planen, wann man wie viel Zeit hat und was man wie wo spielt. Das hat sich in den letzten Tagen als äußerst ertragreich gezeigt. Das hat auch nichts mit verkopfter Planung zu tun wie in anderen RPGs zu Palatinas Zeiten, sondern ist leider aufgrund des RL gar nicht mehr anders zu regeln. Es ist auch sehr interessant, wie sich gerade sehr viele Charaktere, Ereignisse und Hintergründe ganz "organisch" ergeben, ohne große Planung. Man muss eben auch akzeptieren, dass das hier ein ganz anderes Forum ist, mit einer anderen Atmosphäre, und dass sich ein anderes Spielgefühl einstellt. Aber so, wie es jetzt geht, klappt es doch ganz gut.

Re: Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Montag 21. September 2020, 22:19
von Marco Foscari
Woran man merkt, dass man wieder im "Palatina-Flow" ist: man bleibt mehrere Abende lange in einem leeren Forum, hoffend darauf, dass doch noch wer kommt. :orso:

(Und werkelt solange im Hintergrund oder schreibt lange Posts)

Re: Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Donnerstag 24. September 2020, 18:09
von Enrico Albizzi
:knuddel:
:bayonet:

Re: Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Donnerstag 24. September 2020, 19:26
von Marco Foscari
Noch einer:

Letztens davon geträumt, Simon Silberling kehrte unter irgendeinem italianisierten Pseudonym zurück und spielte plötzlich in Caduta. Das war der Sohn von Grethe/Heidi, der sehr engagiert in Auriana war. Warum ich ausgerechnet auf den komme - keine Ahnung. 0:)

Re: Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Donnerstag 24. September 2020, 19:34
von Enrico Albizzi
Marco Foscari hat geschrieben:
Donnerstag 24. September 2020, 19:26
Warum ich ausgerechnet auf den komme - keine Ahnung. 0:)
Vielleicht sollten wir Dr. Gioia dazu mal befragen. :D :prost:

Re: Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Donnerstag 24. September 2020, 19:37
von Marco Foscari
Die Drohungen, diesen Charakter einzusetzen, nehmen deutlich zu. 0:)

Re: Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Donnerstag 24. September 2020, 19:38
von Enrico Albizzi
Ich - und Dr. Gioia - finden es viel interessanter, dass du diesen Charakter grundsätzlich als Bedrohung wahrnimmst. :D :whisky:

Re: Warum sind Forenrollenspiele de facto ausgestorben?

Verfasst: Donnerstag 24. September 2020, 19:44
von Marco Foscari
Leute, die Sätze mit "Ich und mein anderes fiktives Ich" beginnen, sind definitiv die richtigen Leute, um psychologische Studien anzuberaumen :wein: