Das schmucke Kanalviertel beherbergt den selbstbewussten Mittelstand der Stadt, in dem aufklärerische und jakobinische Ideen Fuß gefasst haben. Das Kaffeehaus, die Akademie und die Freimaurerloge gelten als intellektueller Treffpunkt und politischer Unruheherd.
San Paolo hat anders als die Città Nuova und San Pietro trotz des Baubooms der letzten Jahre versucht, seine Promenade mehrheitlich freizuhalten. Das ist nicht immer gelungen: manches Angebot eines Patriziers, der sich den Weg zum Opernhaus sparen wollte, konnte der Stadtvorsteher dann doch nicht ablehnen. Doch hat der Wildwuchs nie dasselbe Ausmaß angenommen wie in den Nachbarvierteln. San Paolo legt Wert auf die Kulisse; andererseits möchte es den Bootsverkehr nicht mehr beeinträchtigen als nötig. Schließlich strömen am Abend hunderte Nicht-Pauliner in das Viertel, um Oper, Theater und Casino aufzusuchen, andere möchten ins Kaffeehaus, wieder andere in die Galerie. Das hat den Nebeneffekt, dass man von diesem Ort nicht nur schnell alle anderen Orte am Wasser erreicht, sondern auch, dass der Blick auf Palatina frei ist. Ähnlich wie bei der Kupferbrücke sind Vedutenmaler zahlreich, Genremaler suchen derweil nach einer passenden Szene.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés
Ein helles und etwas schrilles Kichern hallt die Promenade San Paolos entlang.
Hast du sein Gesicht gesehen als ich ihm das Ding einfach mitten auf's Fenster geklebt habe?
Leonora wirbelt strahlend um ihren Begleiter herum, fasst ihn an beiden Händen und lässt sich nach hinten fallen. Hihihi! Gut, dass du die Idee mit den Masken hattest! Er hat mich direkt angestarrt, locker hätte der mich erkannt!Neckisch wirft sie den Bommel ihrer Mütze nach hinten, lässt sich gefallen das der junge Mann neben ihr seinen Arm um ihre Schulter legt und sie zu sich heranzieht während sie weiter spazieren.
Schhh.... versucht er sie dazu zu bewegen ihre Stimme etwas zu senken.Du bist zu leichtsinnig.sagt er dann ruhig.Wenn er uns erwischt hätte wären wir dran gewesen. Wir können froh sein, dass er das Holzbein hat.
Hah! Holzbein oder nicht, diese ganzen alten Säcke sind... Psssst!
Die beiden werden von einem älteren Ehepaar passiert, dem der junge Mann freundlich zunickt. Um diese Uhrzeit ist an der Promenade nicht viel los. Die Leute bleiben entweder zu Hause, oder sind bereits in einer der abendlichen Veranstaltungen, die aber noch nicht geendet haben. Es ist die perfekte Zeit um unauffällig in den Straßen unterwegs zu sein. Weder wird man von einer großen Zahl an Menschen gesehen, noch erweckt man Argwohn wenn es doch passiert.
... ich meine ja nur. flüstert Leonora verschwörerisch.