Das „Caffè degli Specchi“ (Café der Spiegel) ist weder das erste noch das einzige Kaffeehaus von Palatina, steht aber im Ruf, das renommierteste und schönste der Stadt zu sein. 1719 gegründet, befindet es sich im Besitz der Familie Squark. Seine Fassade, deren wunderschönen Glasfenster und zierlichen Säulen von Figurenschmuck eingerahmt werden, erhebt sich über dem Paulusplatz und wird auf der Rückseite von einem Kanal mit Anlegestelle begrenzt. Auf der Front verzieren Marmorreliefs die reiche kulinarische Geschichte Palatinas, darunter auch das Bildnis eines steinernen Papageis mit eleganter Weste, reichhaltig-übertriebenen Rüschen und Dreispitz, der eine Tasse Kaffee zum Schnabel führt – dahinter eine Gruppe wehleidiger Türken, deren ausgepickte Augen einen Tavernenboden schmücken.*
Betritt man das Kaffeehaus, so beantwortet das Interieur bereits die Frage nach der Namensgebung: die Wände nehmen mannshohen Spiegel ein, umgeben von goldenen Barockrahmen vor kaffeebrauner Tapete mit goldenen Wappenmustern und Lilien. Zierliche Rokokotischchen mit weißen Granitplatten und einem vergoldeten Wappen San Paolos in der Mitte stehen vor den Fenstern und geben den Blick auf die Piazza frei, größere Tische schließen sich im Inneren an, wo unter blattgoldgetunkten Kronleuchtern elfenbeinerne Kerzen zur Abendstunde flackern. Schränke mit kostbarem Service aus Porzellan und Glas wechseln sich mit Portraits von Philosophen, Schriftstellern und Musikern ab. Die Herren unter der Bedienung tragen geschmackvolle Westen und Perücken, die Damen perlenbesetztes Mieder und Röcke mit Silber- und Goldfäden.
Der Duft von Kaffee füllt dabei den Raum im Variationenreichtum einer Parfümerie: herbe Noten schwarzen Afrikaners, milchige Varianten französischer Meister, schokoladig angehauchte Rezepte aus der Neuen Welt mit scharfen Gewürzen – der Cafetier legt Wert auf ein reiches Angebot. Die guten Kontakte in die neue Welt bereichern die Fülle, und das Haus besitzt einen exklusiven Zugang zu einem Reservoir an Edelschokolade. Früchte- und Sahnekuchen, sowie Gebäck aus der Albizzi-Bäckerei, mit der das Caffé einen Vertrag unterhält, runden den Eindruck eines feinen Lokals an einer der besten Adressen Palatinas ab. Auch für Zeitungen und Violinmusik ist gesorgt. Persönlichkeiten wie der Romancier Giacomino Pomodoro, der Philosoph Largo Pisolino oder die Frauenrechtlerin Valburga Fisimatenta haben schon ihre wichtigsten Stunden in diesem Etablissement verschwendet verbracht.
Während das Erdgeschoss in einen vorderen Saal Richtung Fenster, und einem größeren Saal hinter der Theke besteht, weist das Obergeschoss eine kreisrunde Bar auf, um die Stühle und Billardtische angeordnet sind. Zusätzlich gibt es drei Salons, die auch für Veranstaltungen jedweder Art reserviert werden können, sowie einen Lesesaal. Die großen Rokokofenster ermöglichen einen formidablen Blick auf den nördlichen Teil San Paolos, den Rio mit Kupferbrücke, sowie den südlichen Bereich der Città Nuova. In der zweiten Etage liegt die Wohnung des Cafetiers.
Das Kaffeehaus gilt als einer der kulturellen und intellektuellen Mittelpunkte San Paolos und ganz Palatinas. Es ist zugleich der Treffpunkt vieler liberaler und aufgeklärter Geister der Stadt. Es ist ein offenes Geheimnis, das hier revolutionäre Schriften ausgetauscht und verbreitet, radikale Ideen debattiert und vertieft werden. Philosophen treffen sich zum Plausch mit Gleichgesinnten, Journalisten schnappen die neuesten Gerüchte auf, und der Hausherr selbst soll in intensivem Kontakt mit der Freimaurerloge stehen. Die Stadtautoritäten sehen das Caffé deshalb als einen Schlüsselpunkt rebellischer Ambitionen. Es wurde deswegen sogar für kurze Zeit während des Doganats von Piero Partefreddo – zusammen mit anderen liberalen Institutionen – geschlossen. Das kurze Intermezzo hat aber umso mehr dazu beigetragen, das Kaffeehaus zum Nexus revolutionärer Ambitionen zu machen. Nicht selten finden auch die ersten Kontakte zwischen Sympathisanten und Jakobinern in diesen Räumlichkeiten statt – und angeblich werden in den Salons Verschwörungen und Komplotte geplant …
Orientierung
Erdgeschoss: Theke, Kaffeetische
1. Etage: Zusätzliche Kaffeetische und Bar, Salons, Leseraum
2. Etage: Camparis Räumlichkeiten
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* Die wundersame Anekdote, wie Camparis Vorfahr Lepanto in den Besitz der ersten Kaffeebohnen kam, ist ebenso haarsträubend wie unbelegt, hat sich aber als Gründungslegende des Hauses eingebürgert.