Das Kloster der Klarissen
Die Heilige Klara (auf it.: Santa Chiara) war die Begleiterin des Heiligen Franziskus von Assisi. Nach ihren Regeln – und somit denen des Franziskus – leben die Klarissen. Das heißt: ein Leben in Armut, Bedürfnislosigkeit, Besitzlosigkeit. Einst waren die Klarissen von Palatina für ihre Strenge berühmt; doch in den letzten beiden Jahrhunderten hat ein langsamer Prozess der Lockerung stattgefunden, bis sich die Klarissen der Regel Urbans IV. anschlossen. Verachteten die Klarissen früher jeden Ausdruck von „überflüssigem weltlichen Tand“, so hat das Kloster eine ganze Fülle von Schenkungen und Schmuck im Barockzeitalter erhalten. Besonders die Familie Foscari tat sich als Spenderin hervor.
Zwar begrenzt immer noch eine Mauer das Territorium der Ordensschwestern auf der Ostspitze. Doch bereits am Eingangstor zeigt sich ein offensichtlicher Wandel. Zur Straße geöffnet sind zwei zweigeschossige Gebäude: einerseits die Musikschule für junge Mädchen und andererseits das Hospiz. Während andere Orden seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts einen Niedergang erlebten – die Dominikaner sind der bekannteste Fall – erweiterten die Klarissen dank starker Finanzierung ihren Einfluss in Stadt und Republik. Die Musikschule gilt als wichtigstes geistliches Institut für spirituelle Musik, nachdem sich das Konservatorium von San Paolo vornehmlich auf säkulare Musik konzentriert. Die Klarissen nehmen nicht nur Schüler, sondern auch Waisenmädchen auf, die sie an Instrumenten und im Chor unterrichten.
Das Hospiz dagegen bietet Obdach für Pilger, Geistliche auf der Durchreise oder Asylanten. Schon früh waren die Klarissen dafür bekannt, dass sie Glaubensflüchtlinge aus anderen Ländern beherbergten. Das galt für die Zeit der Reformation, wie es auch heute für die Revolution gilt: wieder sind gläubige Katholiken in Europa auf der Flucht.
Beide Gebäude haben zwar einen separaten Eingang zur Straße, jedoch keinen direkten Zugang zum Kloster selbst. Es gibt stattdessen eine Türe zum Innenhof, wo auch der Kiesweg vom Mauertor zum Hauptgebäude führt. Auch das Hauptgebäude besteht nun aus einem Ober- und Untergeschoss, besteht aus einem Kreuzgang mit Küche, Vorratskammern, einem Speisesaal, Versammlungsräumen, sowie Verwaltungszimmern. Auch die Vorsteherin hat hier ihr Offizium. Das Dormitorium (Schlafsaal) und die Weberei sind ebenfalls über diesen Gebäudeteil erreichbar. Die beiden Nebengebäude sind eingeschossig, das Dormitorium im vorletzten Jahrhundert allerdings erweitert worden.
Die Klarissen versorgen sich über den Ertrag des eigenen Klostergartens, der den größten Teil des Territoriums ausmacht: hier bauen die Frauen Obst und Gemüse an, es gibt auch eine kleine Imkerei und einen Fischteich. Berühmt sind die Klarissen auch für ihre Stoffe, die sie in der Weberei aus Campioneser Wolle weben. Bei den Schneidern der Stadt ist das Klarissentuch sehr beliebt. Einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Einnahmen bekommen die Klarissen durch Spenden zugewiesen. In den letzten Jahrzehnten hat das das einst strenge Kloster eher den Charakter eines Damenstiftes angenommen, in dem die Töchter reicher Nobili unterkommen, um diese wohl versichert zu wissen. Die Klarissen, die eigentlich als Bettelorden gelten, haben seit zweihundert Jahren nicht mehr betteln müssen.
Trotz dieser beinahe liberalen Entwicklungen haben die Klarissen dennoch ihren Charakter als christlicher Frauenorden, der auf Fleiß und Einkehr beruht, behalten. So dürfen weiterhin nur die älteren Schwestern die Mauern verlassen, und das auch nur in dringenden Fällen. Kunden, Zulieferer und andere Bittsteller werden zwar nicht mehr an der Pforte abgewiesen, sondern im Innenhof erwartet; weiter kommt man aber meistens nicht.
Das hängt nicht nur mit der Klausur der Schwestern zusammen. Die Kapelle Sant’Anna, die in den letzten beiden Jahrhunderten erweitert, und innen prächtig ausgestattet wurde, bewahrt bis heute die wertvollsten Reliquien der ganzen Republik. Der Doge Piero Semifreddo hatte sie bei der Gründung des Klosters einst aus Rom erbeten; seine Nachfolger haben den Schatz als Alliierte des Papstes gemehrt. Das Prestige als Wahrerin der Republikreliquien ist enorm. Aber auch der stetig gemehrte Wohlstand, die Verbindungen zu den wichtigsten Familien der Stadt und die kulturelle Verflechtung über die Musikschule – die als inoffizielle Ausbildungsstätte der Organisten, Sänger und Musiker des Domes von Santa Maria gilt – haben die Klarissen mittlerweile zu einem nicht unbedeutenden Machtfaktor in der Republik Palatina gemacht. Die Äbtissin gilt als wichtigste Ratgeberin und Stütze des Bischofs und als Herrin über diesen abgesteckten Bereich de facto als kleine Regentin.
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