Das Kloster der Klarissen

Die Insel in der Mitte Palatinas ist die Heimat des vermögenden Bürgertums und niederen Nobili. Geographisch immer noch der Kern Palatinas, hat die Neustadt ihre Bedeutung als Stadtzentrum verloren. Anders als die übrigen Viertel ist es keiner Ideologie zuzuordnen und gilt noch am ehesten als Refugium des normalen Stadtlebens.
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Maria Foscari
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Das Kloster der Klarissen

Beitrag von Maria Foscari »

Das Kloster der Klarissen

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Die Heilige Klara (auf it.: Santa Chiara) war die Begleiterin des Heiligen Franziskus von Assisi. Nach ihren Regeln – und somit denen des Franziskus – leben die Klarissen. Das heißt: ein Leben in Armut, Bedürfnislosigkeit, Besitzlosigkeit. Einst waren die Klarissen von Palatina für ihre Strenge berühmt; doch in den letzten beiden Jahrhunderten hat ein langsamer Prozess der Lockerung stattgefunden, bis sich die Klarissen der Regel Urbans IV. anschlossen. Verachteten die Klarissen früher jeden Ausdruck von „überflüssigem weltlichen Tand“, so hat das Kloster eine ganze Fülle von Schenkungen und Schmuck im Barockzeitalter erhalten. Besonders die Familie Foscari tat sich als Spenderin hervor.

Zwar begrenzt immer noch eine Mauer das Territorium der Ordensschwestern auf der Ostspitze. Doch bereits am Eingangstor zeigt sich ein offensichtlicher Wandel. Zur Straße geöffnet sind zwei zweigeschossige Gebäude: einerseits die Musikschule für junge Mädchen und andererseits das Hospiz. Während andere Orden seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts einen Niedergang erlebten – die Dominikaner sind der bekannteste Fall – erweiterten die Klarissen dank starker Finanzierung ihren Einfluss in Stadt und Republik. Die Musikschule gilt als wichtigstes geistliches Institut für spirituelle Musik, nachdem sich das Konservatorium von San Paolo vornehmlich auf säkulare Musik konzentriert. Die Klarissen nehmen nicht nur Schüler, sondern auch Waisenmädchen auf, die sie an Instrumenten und im Chor unterrichten.

Das Hospiz dagegen bietet Obdach für Pilger, Geistliche auf der Durchreise oder Asylanten. Schon früh waren die Klarissen dafür bekannt, dass sie Glaubensflüchtlinge aus anderen Ländern beherbergten. Das galt für die Zeit der Reformation, wie es auch heute für die Revolution gilt: wieder sind gläubige Katholiken in Europa auf der Flucht.

Beide Gebäude haben zwar einen separaten Eingang zur Straße, jedoch keinen direkten Zugang zum Kloster selbst. Es gibt stattdessen eine Türe zum Innenhof, wo auch der Kiesweg vom Mauertor zum Hauptgebäude führt. Auch das Hauptgebäude besteht nun aus einem Ober- und Untergeschoss, besteht aus einem Kreuzgang mit Küche, Vorratskammern, einem Speisesaal, Versammlungsräumen, sowie Verwaltungszimmern. Auch die Vorsteherin hat hier ihr Offizium. Das Dormitorium (Schlafsaal) und die Weberei sind ebenfalls über diesen Gebäudeteil erreichbar. Die beiden Nebengebäude sind eingeschossig, das Dormitorium im vorletzten Jahrhundert allerdings erweitert worden.

Die Klarissen versorgen sich über den Ertrag des eigenen Klostergartens, der den größten Teil des Territoriums ausmacht: hier bauen die Frauen Obst und Gemüse an, es gibt auch eine kleine Imkerei und einen Fischteich. Berühmt sind die Klarissen auch für ihre Stoffe, die sie in der Weberei aus Campioneser Wolle weben. Bei den Schneidern der Stadt ist das Klarissentuch sehr beliebt. Einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Einnahmen bekommen die Klarissen durch Spenden zugewiesen. In den letzten Jahrzehnten hat das das einst strenge Kloster eher den Charakter eines Damenstiftes angenommen, in dem die Töchter reicher Nobili unterkommen, um diese wohl versichert zu wissen. Die Klarissen, die eigentlich als Bettelorden gelten, haben seit zweihundert Jahren nicht mehr betteln müssen.

Trotz dieser beinahe liberalen Entwicklungen haben die Klarissen dennoch ihren Charakter als christlicher Frauenorden, der auf Fleiß und Einkehr beruht, behalten. So dürfen weiterhin nur die älteren Schwestern die Mauern verlassen, und das auch nur in dringenden Fällen. Kunden, Zulieferer und andere Bittsteller werden zwar nicht mehr an der Pforte abgewiesen, sondern im Innenhof erwartet; weiter kommt man aber meistens nicht.

Das hängt nicht nur mit der Klausur der Schwestern zusammen. Die Kapelle Sant’Anna, die in den letzten beiden Jahrhunderten erweitert, und innen prächtig ausgestattet wurde, bewahrt bis heute die wertvollsten Reliquien der ganzen Republik. Der Doge Piero Semifreddo hatte sie bei der Gründung des Klosters einst aus Rom erbeten; seine Nachfolger haben den Schatz als Alliierte des Papstes gemehrt. Das Prestige als Wahrerin der Republikreliquien ist enorm. Aber auch der stetig gemehrte Wohlstand, die Verbindungen zu den wichtigsten Familien der Stadt und die kulturelle Verflechtung über die Musikschule – die als inoffizielle Ausbildungsstätte der Organisten, Sänger und Musiker des Domes von Santa Maria gilt – haben die Klarissen mittlerweile zu einem nicht unbedeutenden Machtfaktor in der Republik Palatina gemacht. Die Äbtissin gilt als wichtigste Ratgeberin und Stütze des Bischofs und als Herrin über diesen abgesteckten Bereich de facto als kleine Regentin.

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Maria Foscari
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Re: Das Kloster der Klarissen

Beitrag von Maria Foscari »

Flüchtlinge?

Ja, Seniorissa.

Woher?

Frankreich. Schwestern von Saint Claire aus Montfavet. Sie suchen seit drei Jahren nach einer neuen Heimat.

Die Klarissenschwester neigt ihr Haupt. Maria sitzt an ihrem Schreibtisch, stützt sich nachdenklich ab. Klarissen aus dem Ausland mussten Vorrang haben. Doch beide wissen, dass solche noblen Vorsätze auch mit der Realität übereinstimmen mussten. Seit der Auflösung der Klöster, seit der Verfolgung der katholischen Kirche, seit dem Krieg, der von der Französischen Republik ausging - mehrte sich die Zahl derjenigen, die Zuflucht suchten. Das war nicht nur eine Frage von Hospizkapazitäten.

Denn unter den Flüchtenden tummelten sich auch ganz andere Subjekte.


Empfehlungsschreiben?

Hier, Seniorissa.

Die Schwester reicht der Äbtissin einen versiegelten Umschlag.

Ich werde noch vor der Vesper darüber entscheiden.

Es war für Klarissenverhältnisse schon eine viel zu lange und geschwätzige Diskussion. Die Klarissin entfernt sich, und schließt die Türe hinter sich.

Indes ritzt die Oberin des Konventes den Brief mit einem Messerchen so fein auf, als wollte sie das Papier nicht mehr zerbrechen als nötig.

Leise Musik übertönt den Schnitt. Aus der Musikschule klingt eine Kirchensonate. Es war ein musikalischer Takt. Während außerhalb der Mauern die Technik den Schritt der Zeit auf mathematische Rechnungen von Sekunden und Millisekunden verkürzte, verschanzte sich der Konvent in seiner eigenen Zeitrechnung. Es war jene, die seit Jahrhunderten galt, mit der Geburt Christi begann und von Hochfesten, Heiligengedenken und Märtyrertagen geprägt wurde. Es war eine himmlische, eine göttliche Zeit. Die Menschen brauchten eine himmlische Zeit, weil eine menschliche sie knechtete.

Die Äbtissin geht mit den Daumen über die Seiten. Dabei kommt sie kaum zum Text durch. Ihre Augen bleiben auf der oberen Zeile haften.

Brumaire. Fructidor. Prairial.

Die Monatsnamen des Französischen Revolutionskalenders. Die Daten sind in der "neuen Weise" verfasst. Der Revolutionskalender war nicht nur eine Auflehnung gegen Gott, weil er die Geburt der Republik an die Stelle Christi Geburt setzte; er war zugleich eine Auflehnung gegen das menschliche Wesen. Eine theoretische, eine mechanische, eine numerische Einkesselung des Geistes in eine Ordnung, die nicht "war", sondern die man sich ausdachte.

100 Sekunden für eine Minute. 100 Minuten für eine Stunde. Zehn Stunden pro Tag. Zehn Tage pro Woche (die man Dekade nannte).

Das war kein menschenwürdiges System, aber man war so von der Vernunft besessen, dass man sogar die Uhren umbaute, damit man die Menschen in ein selbst gebautes Gefängnis sperrte. Alles, was man gelernt hatte, musste man verlernen. Man würde frei von allem sein.

Für die Klarisse ein Beleg, dass diese Revolution vor allem frei von jener Vernunft war, die sie vorgab zu verteidigen und zu verbreiten.

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