Die Promenaden der Città Nuova

Die Insel in der Mitte Palatinas ist die Heimat des vermögenden Bürgertums und niederen Nobili. Geographisch immer noch der Kern Palatinas, hat die Neustadt ihre Bedeutung als Stadtzentrum verloren. Anders als die übrigen Viertel ist es keiner Ideologie zuzuordnen und gilt noch am ehesten als Refugium des normalen Stadtlebens.
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Die Signoria
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Die Promenaden der Città Nuova

Beitrag von Die Signoria »

Die Promenaden der Città Nuova

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Einst umgaben die ganze Insel Promenaden; man könnte überall eine Gondel nehmen, ausladen, bepacken oder umsteigen. Doch der begrenzte Platz in der Città Nuova hat ihren Tribut gefordert. Fast überall ragen heute Häuser in das Wasser – oder verengen die Uferstraßen auf enge Gassen. Woanders überragen Bögen die einstigen Promenaden, die an ein Haus auf Holzpfählen ins Wasser anschließen. Mit dem Niedergang der Markthalle ist auch der Warenverkehr zurückgegangen, Transporte finden heute fast nur noch auf Karren statt. Einzig an den Fährenstationen, im Bereich der Brücken und im Westen des Stadtteils gibt es noch unverbaute Fläche, wo man das Stadtpanorama genießen, eine Gondel mieten oder eine Fähre nehmen kann. Die Versandung hat zusätzlich die Ufer geweitet, der Rio berührt an vielen Stellen die Wege nicht mehr.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Salomè Albizzi
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Re: Die Promenaden der Città Nuova

Beitrag von Salomè Albizzi »

Es glimmen die ersten Lichter in den Fenstern am Wasser auf. Auf dem Vargazza-Turm widmen sich die Astronomen dem Sternenhimmel. Gondelfeuer erhellen die Wasserfläche im Westen der Stadt.

Salomè flaniert an den Hausfassaden entlang. Es gibt nur einige Spaziergänger, die dasselbe tun. Sie analyisiert die Ruhe. Hört ganz genau zu; denn eigentliche Ruhe gab es nie, selbst um diese Zeit nicht.

Es schwappen die Wasser gegen die Promenade. Tappen die Schritte im Takt über Paviment. Knarrt ein Tavernenschild im zarten Frühlingswind. Schmettert eine Nachtigall Töne zwischen den Ästen eines Kirschbaums.Miaut eine Katze auf einem Balkon. Tropft Wasser in einen Abfluss zum Rio. Brutzelt der Braten in einer Pfanne im Nebenhaus.

Überall war Musik, waren Noten. Nicht gleichwertige, nicht harmonische, nicht vollendete Musik. Aber es waren Töne und Muster, die aufeinander trafen. Manche ergänzten sich; manche standen lose in der Luft. Man musste sie verbinden oder trennen. Das entfernen, was störte, das weiterdenken, was als Rohmaterial taugte. Sie gewöhnte sich nach dem Hören an, was sie weiter hören wollte und was nicht. Musik beherrschte keine Gleichheit, sondern Hierarchie. Es gab Ordnung, ja, Unterordnung und Ausmusterung.

Musik war eine elitäre Angelegenheit. Tonleiter, Tonstufen, in Wirklichkeit: Tonränge, ohne dass es heute noch jemand wagte, das auszusprechen. Salomè hatte kein Interesse daran, die Musik zu politisieren; dafür war sie einfach viel zu unpolitisch. Aber es war eine Binsenweisheit, dass man aus einem Tonchaos keine Musik machen konnte, sondern nur durch Auswahl. Chaotische Musik war existent. Hatte sie deswegen Daseinsberehctigung? Womöglich. Aber war sie Kunst? Mit Sicherheit nicht. Ein Koch, der alle möglichen Zutaten zusammenwarf, machte kein Gericht, sondern Eintopf. Für Eintopf brauchte es kein Genie, kein Handwerk, keinen Geschmack. Jede Hausfrau konnte Eintopf machen, und demnach konnte auch jede Hausfrau Klavier spielen. Die Zahl der Hausfrauen in Konzertsälen war jedoch überraschenderweise gering. Und natürlich gab es Leute, denen Eintopf schmeckte, kein Zweifel; Preise, Drucklegung oder gar posthumes Andenken gab es deswegen jedoch nicht.

Aus Gründen.

Ordnen, interpretieren, neu zusammensetzen, ergänzen, variieren, expandieren, repetieren, kürzen, verbessern, vollenden - das war ein anderer Vorgang. Es war nicht genug, die Singstimme eines Vogels wiederzugeben. Die Singstimme eines Vogels war bereits vollendet. Was für eine Arbeit, was für eine Leistung war es, auf dem Klavier ein Rotkehlchen nachzuahmen? Hätte das Rotkehlchen besser singen können, dann hätte ihm Gott von Anfang an eine bessere Stimme gegeben. Es war müßig, nur zu wiederholen und kleingeistig, darauf stolz sein zu wollen. Simple Wiedergabe beherrschte auch ein Papagei.

Salomè sucht. Sie sucht Töne. Sie sucht Noten. Es war eine pausenlose, eine anstrengende, aber keine ermüdende Suche. Inspiration bedeutete, nicht etwas zu kopieren. Es bedeutete, etwas Eigenes, etwas Neues zu schaffen, durch einen Gedankenblitz, eine schöne Erfahrung, eine angenehme Erscheinung - und einen frischen Entwurf in die Welt zu werfen.


Lorenzos Geheimnis
Weil Geld etwas Sündiges ist, muss es verschleudert werden. - Coco Chanel

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