Der Palatinische Golf
- Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf
“Piraten sind frei“. Der Satz kommt Ventura mit einer unnatürlichen Klarheit über die Lippen.
Tino war jung. Die politischen Ereignisse nicht sein Alltag. Aber er hatte lange genug an der Militärakademie studiert, um zu wissen, dass solch ein Satz den Stolfi, wäre er nicht Schiffsarzt, sondern Offizier gewesen, Probleme bereitet hätte. Es war eine bewusst gesetzte Provokation. Vielleicht erwartete er den Widerspruch des jungen Mascarpone. Und kurz ist er geneigt, genau dieses Wort aufzunehmen; lässt es dann aber fallen, als sein Gegenüber den Gedanken ausführt.
Tino verstand es schlicht nicht. Wie konnte man zur See fahren und wollen, das nichts passierte? Das war doch der Anlass, die Heimat zu verlassen. Hinausfahren! In die Welt! Etwas erleben! Abenteuer!
Doch so, wie Stolfi sprach, schien er die Bedrohung der alltäglichen Langeweile als das eigentliche Problem aufzufassen. Der Zynismus in seinen letzten Silben entgeht Tino nicht.
Zum Leben auf See gehört das Opfer, gehört der Tod.
antwortet er pflichtbewusst
Schiffe mit Ankerrecht dürfen in der Republik ankern; die anderen nicht. Solange sie nur durchfahren, soll es uns nicht weiter stören.
Und dann kommt es ihm doch über die Lippen, vielleicht, weil er den ersten Gedanken doch nicht zurückhalten kann.
Der Rest wird wie Piraten behandelt.
Tino war jung. Die politischen Ereignisse nicht sein Alltag. Aber er hatte lange genug an der Militärakademie studiert, um zu wissen, dass solch ein Satz den Stolfi, wäre er nicht Schiffsarzt, sondern Offizier gewesen, Probleme bereitet hätte. Es war eine bewusst gesetzte Provokation. Vielleicht erwartete er den Widerspruch des jungen Mascarpone. Und kurz ist er geneigt, genau dieses Wort aufzunehmen; lässt es dann aber fallen, als sein Gegenüber den Gedanken ausführt.
Tino verstand es schlicht nicht. Wie konnte man zur See fahren und wollen, das nichts passierte? Das war doch der Anlass, die Heimat zu verlassen. Hinausfahren! In die Welt! Etwas erleben! Abenteuer!
Doch so, wie Stolfi sprach, schien er die Bedrohung der alltäglichen Langeweile als das eigentliche Problem aufzufassen. Der Zynismus in seinen letzten Silben entgeht Tino nicht.
Zum Leben auf See gehört das Opfer, gehört der Tod.
antwortet er pflichtbewusst
Schiffe mit Ankerrecht dürfen in der Republik ankern; die anderen nicht. Solange sie nur durchfahren, soll es uns nicht weiter stören.
Und dann kommt es ihm doch über die Lippen, vielleicht, weil er den ersten Gedanken doch nicht zurückhalten kann.
Der Rest wird wie Piraten behandelt.
Palatina erwartet, dass jeder Mann seine Pflicht tun wird. - Unbekannt
- Ventura Stolfi
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Re: Der Palatinische Golf
Ah. Die Pflicht.
Ventura muss aufpassen, dass ihm der Rauch nicht in die falsche Körperpartie weicht. Der junge Mascarpone war kein Klischee. Aber er wollte einem Klischee entsprechen. Das Schicksal war selbstgewählt. Ventura konnte derlei nicht verstehen, warum sich das Individuum in eine Ordnung, einen Körper einreihte, als wäre es der eigene. Er hatte eine Stellung erworben, auf der man ihn wohl oder übel tolerieren musste. Deswegen konnte er etwas freier sprechen als Gleichgesinnte auf niedriger Stufe. Junge Männer wie Mascarpone hätten frei handeln, frei denken und frei sprechen können – aber stellten sich in die Worte und Ordnungen von alten Greisen.
Immer wieder die Pflicht. Nie geht es um den Vorteil eines bestimmten Kapitäns, der aus Ruhmsucht das Leben seiner Mannschaft aufs Spiel setzt. Nie geht es um den Vorteil eines Fürsten, der sein Volk zur Landnahme verheizt. Es ist immer die Pflicht.
Ventura bleibt in einem so deutlichen Ton, dass er zweideutig wirkt. Und dennoch bleibt etwas unausgesprochen klar: Dass er sehr genau wusste, wovon er sprach. Nicht theoretisierte, keine politische Abhandlung hielt, sondern biografisch erfahren hatte, wie viel auf diese Worte zu geben war.
Ihr redet so schlecht von Piraten.
Er wartet einen Moment. Genießt den Tabak. Und dann: ein ehrliches Lächeln.
Dabei ist mir ein freier Pirat lieber als ein angeblich edler Freibeuter. Beim ersten weiß man, woran man ist. Er macht aus seiner Profession keine Messe. Und er klebt keine Siegel an ein Stück Papier, um seine Verbrechen zu adeln.
So, wie wir viele Dinge adeln, damit sie nicht als das Verbrechen erscheinen – obwohl sie es sind.
Nicht nur Piraten und Räuber plünderten. Es gab Diebstahl, der sich nicht nur auf ein paar Fässer Wein oder Kisten mit Gewürznelken belief. Sondern Diebstahl an unveräußerlichen Rechten. Politischen Rechten. Juristischen Rechten. Menschenrechten. War es nicht bereits Diebstahl, ein Stück Land einzupferchen und dann zu behaupten, es sei sein eigenes? Mit welchem Recht verfügte der Baron nach Jahrhunderten über seine Bauern – war es nicht deren Land? Und wer konnte sagen, dass ein Pirat stahl – hatte nicht der Händler seinen vermeintlichen Geschäftspartner betrogen, weil er ihm die Ware günstig abkaufte, woanders zu horrenden Preis vergab?
Der Schiffsarzt stopft sich die Hände in die Taschen.
Ich bin sicher, dass sich Euer Wunsch nach Abenteuer bald erfüllen wird, Ser Mascarpone. Aber schon so mancher hat bereut, was er sich gewünscht hat.
Er grüßt ihn zum Abschied ostentativ, gilt der Alfiere jedoch – gleich wie jung – deutlich höher als ein Medico, der auf der auf der Höhe des Nostromo rangiert.
Ich muss nun meinen Pflichten nachkommen.
Ventura muss aufpassen, dass ihm der Rauch nicht in die falsche Körperpartie weicht. Der junge Mascarpone war kein Klischee. Aber er wollte einem Klischee entsprechen. Das Schicksal war selbstgewählt. Ventura konnte derlei nicht verstehen, warum sich das Individuum in eine Ordnung, einen Körper einreihte, als wäre es der eigene. Er hatte eine Stellung erworben, auf der man ihn wohl oder übel tolerieren musste. Deswegen konnte er etwas freier sprechen als Gleichgesinnte auf niedriger Stufe. Junge Männer wie Mascarpone hätten frei handeln, frei denken und frei sprechen können – aber stellten sich in die Worte und Ordnungen von alten Greisen.
Immer wieder die Pflicht. Nie geht es um den Vorteil eines bestimmten Kapitäns, der aus Ruhmsucht das Leben seiner Mannschaft aufs Spiel setzt. Nie geht es um den Vorteil eines Fürsten, der sein Volk zur Landnahme verheizt. Es ist immer die Pflicht.
Ventura bleibt in einem so deutlichen Ton, dass er zweideutig wirkt. Und dennoch bleibt etwas unausgesprochen klar: Dass er sehr genau wusste, wovon er sprach. Nicht theoretisierte, keine politische Abhandlung hielt, sondern biografisch erfahren hatte, wie viel auf diese Worte zu geben war.
Ihr redet so schlecht von Piraten.
Er wartet einen Moment. Genießt den Tabak. Und dann: ein ehrliches Lächeln.
Dabei ist mir ein freier Pirat lieber als ein angeblich edler Freibeuter. Beim ersten weiß man, woran man ist. Er macht aus seiner Profession keine Messe. Und er klebt keine Siegel an ein Stück Papier, um seine Verbrechen zu adeln.
So, wie wir viele Dinge adeln, damit sie nicht als das Verbrechen erscheinen – obwohl sie es sind.
Nicht nur Piraten und Räuber plünderten. Es gab Diebstahl, der sich nicht nur auf ein paar Fässer Wein oder Kisten mit Gewürznelken belief. Sondern Diebstahl an unveräußerlichen Rechten. Politischen Rechten. Juristischen Rechten. Menschenrechten. War es nicht bereits Diebstahl, ein Stück Land einzupferchen und dann zu behaupten, es sei sein eigenes? Mit welchem Recht verfügte der Baron nach Jahrhunderten über seine Bauern – war es nicht deren Land? Und wer konnte sagen, dass ein Pirat stahl – hatte nicht der Händler seinen vermeintlichen Geschäftspartner betrogen, weil er ihm die Ware günstig abkaufte, woanders zu horrenden Preis vergab?
Der Schiffsarzt stopft sich die Hände in die Taschen.
Ich bin sicher, dass sich Euer Wunsch nach Abenteuer bald erfüllen wird, Ser Mascarpone. Aber schon so mancher hat bereut, was er sich gewünscht hat.
Er grüßt ihn zum Abschied ostentativ, gilt der Alfiere jedoch – gleich wie jung – deutlich höher als ein Medico, der auf der auf der Höhe des Nostromo rangiert.
Ich muss nun meinen Pflichten nachkommen.
- Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf
Tino sieht dem Schiffsarzt eine Weile lang nach. Hatte er ihn gerade gewarnt? Wie einen Schuljungen abqualifiziert, der nichts von der Welt verstand? Oder war da ein ehrlicher Kern drin?
Stolfi glich einem Phantom. Er gehörte zu den Leuten, deren Zynismus dazu führte, dass man nicht wusste, ob er es gut oder schlecht mit einem meinte. Er hatte sehr offen die Werte der Marine in wenigen Sekunden fundamental untergraben und ging rauchend davon, als handelte es sich um das Üblichste auf der Welt.
Diese nonchalante Beiläufigkeit irritierte den jungen Mascarpone zutiefst. In seinem Umfeld war alles von der morgendlichen Trinkschokolade bis zum Bettgang durchexerziert. Sein Vater war ein Vorbild an Ordnung und Autorität. Die Militärakademie kannte vielleicht nicht mehr den exzessiven körperlichen Drill, sehr wohl aber die geistigen Herausforderungen. Jeder war ein Glied in der Kette, jeder Teil eines großen Ganzen.
Stolfi dagegen trug nicht einmal eine richtige Uniform. Zumindest verdeckte er sie unter dem grauen, funktionalen Schiffsarztmantel. Auch das war ein deutliches Zeichen.
Pflichten …
Aber was für Pflichten hatte ein Arzt, der keine Patienten hatte – und seine Kritik an Hierachien so offen zur Schau stellte?
Stolfi glich einem Phantom. Er gehörte zu den Leuten, deren Zynismus dazu führte, dass man nicht wusste, ob er es gut oder schlecht mit einem meinte. Er hatte sehr offen die Werte der Marine in wenigen Sekunden fundamental untergraben und ging rauchend davon, als handelte es sich um das Üblichste auf der Welt.
Diese nonchalante Beiläufigkeit irritierte den jungen Mascarpone zutiefst. In seinem Umfeld war alles von der morgendlichen Trinkschokolade bis zum Bettgang durchexerziert. Sein Vater war ein Vorbild an Ordnung und Autorität. Die Militärakademie kannte vielleicht nicht mehr den exzessiven körperlichen Drill, sehr wohl aber die geistigen Herausforderungen. Jeder war ein Glied in der Kette, jeder Teil eines großen Ganzen.
Stolfi dagegen trug nicht einmal eine richtige Uniform. Zumindest verdeckte er sie unter dem grauen, funktionalen Schiffsarztmantel. Auch das war ein deutliches Zeichen.
Pflichten …
Aber was für Pflichten hatte ein Arzt, der keine Patienten hatte – und seine Kritik an Hierachien so offen zur Schau stellte?
Palatina erwartet, dass jeder Mann seine Pflicht tun wird. - Unbekannt
Re: Der Palatinische Golf
Es vergeht einige Zeit. Die "Semifreddo" hält Kurs auf Pistacchio. Bei klarem Wetter und gutem Wind erreicht das Schiff bald die offene See. Nur sporadisch ragt ein Felsen oder ein winziges Eiland aus dem Meer und deutet auf das in der Ferne liegende Mandragola-Archipel hin.
Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und einem doch das Kostbarste stehlen: die Zeit. - Napoleon Bonaparte
- Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf
Eine ungewohnte Unruhe geht plötzlich durch das Schiff; eine, wie Tino sie nicht deuten kann. An der Backbordseite des Castello sammeln sich Matrosen, bilden eine Traube, suchen dann einen Platz an der Reling. Der angehende Alfiere kann den Grund für den Tumult nicht erkennen, da ihm die Matrosen die Sicht versperren.
Er sieht nur ihre starr nach vorne gerichteten Blicke.
Die Unruhe weicht Totenstille. Mehrere Matrosen machen ein dreifaches Kreuzzeichen. Ein Comito fasst nach Eisen. Der Questore verschüttet Wein.
Es gelingt Tino, sich etwas Platz zwischen den Männern zu verschaffen – wenn auch nicht viel. Irgendwo in der Ferne kann er nur ein zaghaftes Glitzern erkennen. Nicht mehr als das Schimmern einer Münze. Eine karge Insel, nicht mehr als ein Felsen der aus dem Wasser ragt und den ein dünner Sandstrand umgibt, zeichnet sich ab. Das Blitzen verebbt wieder.
Die Matrosen sehen sich einander an. Murmeln. Einer nach dem anderen versucht Abstand zu gewinnen. Wieder macht jemand ein Kreuzzeichen. Es ist immer noch still; aber auch Stille konnte aufgewühlt sein. Tino schaut unschlüssig zur Mannschaft.
Ein schlechtes Omen.
Das dunkle Raunen gehört einem grantig dreinblickenden Alten. Es ist der Nostromo Nicola Tamburro, der aber von den meisten nur „der alte Nicchio“ genannt wird. Der Name kommt nicht von ungefähr. Der Nostromo, welcher den Matrosen am Bug vorsteht, ist der vermutlich älteste Seemann an Bord. Niemand weiß so recht, wie lange er bereits in der palatinischen Marine dient; er war bereits auf mehreren Schiffen im Einsatz, manche sagen auch, er sei mit den Schiffen anderer Länder zur See gefahren. Der alte Nicchio gehört zu dem Schlag Seebären, die weitaus mehr gesehen hatten als die üblichen Grenzen des palatinischen Golfes.
Eine Narbe zeichnet seine linke Gesichtshälfte, die sein voller, allerdings zerfranster Bart bedeckt. Daraus gehen grobe Gesichtszüge hervor, die dicke Nase ist mindestens einmal gebrochen. Seine großen, dunkelgrauen Augen sehen finster zur Insel.
Ein sehr schlechtes Omen.
Tino kommt näher. Der Nostromo zu seiner Seite reibt sich die Hände, putzt sie dann nervös an seiner Kleidung ab. Er dreht die zwei zusätzlichen Knöpfe an seiner Uniform in einem bestimmten Rhythmus. Tino glaubt, dass es sich um eine Art Abwehrritual handelt.
Was soll das heißen?
Er sieht nur ihre starr nach vorne gerichteten Blicke.
Die Unruhe weicht Totenstille. Mehrere Matrosen machen ein dreifaches Kreuzzeichen. Ein Comito fasst nach Eisen. Der Questore verschüttet Wein.
Es gelingt Tino, sich etwas Platz zwischen den Männern zu verschaffen – wenn auch nicht viel. Irgendwo in der Ferne kann er nur ein zaghaftes Glitzern erkennen. Nicht mehr als das Schimmern einer Münze. Eine karge Insel, nicht mehr als ein Felsen der aus dem Wasser ragt und den ein dünner Sandstrand umgibt, zeichnet sich ab. Das Blitzen verebbt wieder.
Die Matrosen sehen sich einander an. Murmeln. Einer nach dem anderen versucht Abstand zu gewinnen. Wieder macht jemand ein Kreuzzeichen. Es ist immer noch still; aber auch Stille konnte aufgewühlt sein. Tino schaut unschlüssig zur Mannschaft.
Ein schlechtes Omen.
Das dunkle Raunen gehört einem grantig dreinblickenden Alten. Es ist der Nostromo Nicola Tamburro, der aber von den meisten nur „der alte Nicchio“ genannt wird. Der Name kommt nicht von ungefähr. Der Nostromo, welcher den Matrosen am Bug vorsteht, ist der vermutlich älteste Seemann an Bord. Niemand weiß so recht, wie lange er bereits in der palatinischen Marine dient; er war bereits auf mehreren Schiffen im Einsatz, manche sagen auch, er sei mit den Schiffen anderer Länder zur See gefahren. Der alte Nicchio gehört zu dem Schlag Seebären, die weitaus mehr gesehen hatten als die üblichen Grenzen des palatinischen Golfes.
Eine Narbe zeichnet seine linke Gesichtshälfte, die sein voller, allerdings zerfranster Bart bedeckt. Daraus gehen grobe Gesichtszüge hervor, die dicke Nase ist mindestens einmal gebrochen. Seine großen, dunkelgrauen Augen sehen finster zur Insel.
Ein sehr schlechtes Omen.
Tino kommt näher. Der Nostromo zu seiner Seite reibt sich die Hände, putzt sie dann nervös an seiner Kleidung ab. Er dreht die zwei zusätzlichen Knöpfe an seiner Uniform in einem bestimmten Rhythmus. Tino glaubt, dass es sich um eine Art Abwehrritual handelt.
Was soll das heißen?
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Re: Der Palatinische Golf
Nicchio schnaubt aus. Mit beiden Armen stützt er sich auf die Reling. Der Wind fährt über seine blaugestreifte Nostromo-Mütze.
Es ist eine Geisterinsel.
Der Nostromo weiß, wie man Worte betonen muss. Der schauerliche Ton fährt für zwei Sekunden durch Tinos Leib, der sich dann aber selbst diszipliniert. Dass die einfachen Seeleute abergläubig waren, das hatte er gehört. Wie tief der Aberglauben jedoch in ihnen steckte, das konnte er nun erst beobachten. Die Abwehrzeichen, die die Matrosen vollführt hatten beim Anblick der Insel, waren deutlich. Offenbar war jeder davon überzeugt.
Aber nur Nicchio sagte, was die anderen dachten. Das war wohl eine Chiffre unter den Seemännern. Man sprach nicht über ein Unglück, um es nicht herbeizuführen.
Die Insel glitzerte wieder.
Sie taucht immer wieder auf – und verschwindet erneut. verzog Nicchio das Gesicht, kaute auf imaginärem Tabak, senkte den Ton neuerlich, wie man es bei jedem guten Seemannsgarn tat.
Bei den Matrosen hat sie viele Namen. Dolchinsel. Abbas-Insel. Korsarentodinsel.
Nicchio setzt nach jeder Namensnennung eine dramatische Pause. Er weitet dabei jedes Mal die Augen.
Dann schaut er zu Tino.
Aber am bekanntesten ist sie unter dem Namen … Dragorosso-Insel.
Es ist eine Geisterinsel.
Der Nostromo weiß, wie man Worte betonen muss. Der schauerliche Ton fährt für zwei Sekunden durch Tinos Leib, der sich dann aber selbst diszipliniert. Dass die einfachen Seeleute abergläubig waren, das hatte er gehört. Wie tief der Aberglauben jedoch in ihnen steckte, das konnte er nun erst beobachten. Die Abwehrzeichen, die die Matrosen vollführt hatten beim Anblick der Insel, waren deutlich. Offenbar war jeder davon überzeugt.
Aber nur Nicchio sagte, was die anderen dachten. Das war wohl eine Chiffre unter den Seemännern. Man sprach nicht über ein Unglück, um es nicht herbeizuführen.
Die Insel glitzerte wieder.
Sie taucht immer wieder auf – und verschwindet erneut. verzog Nicchio das Gesicht, kaute auf imaginärem Tabak, senkte den Ton neuerlich, wie man es bei jedem guten Seemannsgarn tat.
Bei den Matrosen hat sie viele Namen. Dolchinsel. Abbas-Insel. Korsarentodinsel.
Nicchio setzt nach jeder Namensnennung eine dramatische Pause. Er weitet dabei jedes Mal die Augen.
Dann schaut er zu Tino.
Aber am bekanntesten ist sie unter dem Namen … Dragorosso-Insel.
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Re: Der Palatinische Golf
Es gab vielleicht nicht mehr viele Dinge, die ein alter Seemann wie der Nostromo Nicchio hatte. Er wirkte wie jemand, der schon zu lange auf See lebte, als je wieder an Land zurückkehren zu können. Er hatte dort nichts, er kannte niemanden, und das Alltagsleben dort war ihm fremd geworden. Er blieb auf See, weil es dieselben Abläufe waren. Weil er sich nicht umstellen musste. Und vermutlich mangelte es ihm auch an Geld, um sich zur Ruhe zu setzen, und ein kleines Häuschen am Strand zu erwerben, wo er mit Fischfang seinen Lebensabend bestritt. Solche Szenarien waren für den alten Nicchio sämtlich zu spät.
Er hatte sich an Bord der Semifreddo eingerichtet. Und er lebte in einer Kontinuität, die Traditionen weitergab, die sich nicht um Fortschritt, wissenschaftliche Errungenschaften oder Entmystifizierung scherten. Das war ein sonderbarer Kontrast: obwohl der Fortschritt die Schifffahrt so viel sicherer und komfortabler gemacht hatte, man mit Präzisionsinstrumenten und fortschrittlicher Kartographie und Navigation den Elementen deutlich weniger ausgeliefert war als in der Vergangenheit – die einfachen Matrosen scherte es nicht. An Eisen fassen brachte Glück. Punkt. Das war eine viel simplere Weisheit als die korrekte Berechnung der Position mit einem modernen Sextanten.
Nicchio war der Behüter einer Weltsicht, die einfache Seefahrer gesponnen hatten und die er konservierte. Es war eine Ordnung, die inhärent war, und gegen die sich die Theorie der Naturwissenschaften durchsetzen musste. In dieser Welt bedeutete ein Omen mehr als die nautische Messung.
Umso mehr fühlte sich Tino dazu berufen, die Aussagen in Zweifel zu ziehen.
Inseln tauchen nicht auf und verschwinden nicht einfach.
Diese schon. bekräftigte Nicchio
Alle Inseln des Mandragola-Archipels sind bestens erkundet und von der kartographischen Abteilung der Marine-Akademie verzeichnet worden. Die größte Insel ist Mandragola selbst – manchmal fälschlicherweise als Pistacchio bezeichnet, weil der Name des Ortes sich auf die Insel ausgeweitet hat – mit einer Länge von 5 Meilen und einer Breite von 3 Meilen. Weitere bedeutende Inseln sind San Bernardino, mit einer Länge von 4 Meilen und einer Breite von 3,5 Meilen, Alcazaro mit …
Nicchio räuspert sich. Tino bricht seinen Lexikonschwall von alleine ab.
Sie ist nicht verzeichnet. Schaut Eure Karten nach.
Der angehende Alfiere salutiert gegenüber dem Unteroffizier, der im Rang eigentlich unter ihm steht, macht sich schleunig auf den Weg zum Tisch, an dem er heute Morgen studiert hatte. Er bestimmt nach einigen Messungen die Position, geht mit dem Finger über die Karte, sucht die Inseln des Archipels in der Nähe ab.
Die Fingerkuppe bleibt über blauer Farbe stehen. Seine Augen verformen sich, ungläubig geworden. Zweifeln. Er misst neuerlich, sicher, sich vertan zu haben.
Wieder blaues Wasser im palatinischen Golf.
Das ist unmöglich …
Er hatte sich an Bord der Semifreddo eingerichtet. Und er lebte in einer Kontinuität, die Traditionen weitergab, die sich nicht um Fortschritt, wissenschaftliche Errungenschaften oder Entmystifizierung scherten. Das war ein sonderbarer Kontrast: obwohl der Fortschritt die Schifffahrt so viel sicherer und komfortabler gemacht hatte, man mit Präzisionsinstrumenten und fortschrittlicher Kartographie und Navigation den Elementen deutlich weniger ausgeliefert war als in der Vergangenheit – die einfachen Matrosen scherte es nicht. An Eisen fassen brachte Glück. Punkt. Das war eine viel simplere Weisheit als die korrekte Berechnung der Position mit einem modernen Sextanten.
Nicchio war der Behüter einer Weltsicht, die einfache Seefahrer gesponnen hatten und die er konservierte. Es war eine Ordnung, die inhärent war, und gegen die sich die Theorie der Naturwissenschaften durchsetzen musste. In dieser Welt bedeutete ein Omen mehr als die nautische Messung.
Umso mehr fühlte sich Tino dazu berufen, die Aussagen in Zweifel zu ziehen.
Inseln tauchen nicht auf und verschwinden nicht einfach.
Diese schon. bekräftigte Nicchio
Alle Inseln des Mandragola-Archipels sind bestens erkundet und von der kartographischen Abteilung der Marine-Akademie verzeichnet worden. Die größte Insel ist Mandragola selbst – manchmal fälschlicherweise als Pistacchio bezeichnet, weil der Name des Ortes sich auf die Insel ausgeweitet hat – mit einer Länge von 5 Meilen und einer Breite von 3 Meilen. Weitere bedeutende Inseln sind San Bernardino, mit einer Länge von 4 Meilen und einer Breite von 3,5 Meilen, Alcazaro mit …
Nicchio räuspert sich. Tino bricht seinen Lexikonschwall von alleine ab.
Sie ist nicht verzeichnet. Schaut Eure Karten nach.
Der angehende Alfiere salutiert gegenüber dem Unteroffizier, der im Rang eigentlich unter ihm steht, macht sich schleunig auf den Weg zum Tisch, an dem er heute Morgen studiert hatte. Er bestimmt nach einigen Messungen die Position, geht mit dem Finger über die Karte, sucht die Inseln des Archipels in der Nähe ab.
Die Fingerkuppe bleibt über blauer Farbe stehen. Seine Augen verformen sich, ungläubig geworden. Zweifeln. Er misst neuerlich, sicher, sich vertan zu haben.
Wieder blaues Wasser im palatinischen Golf.
Das ist unmöglich …
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Re: Der Palatinische Golf
Unsicher geworden tapst Tino zum alten Nicchio zurück. Der hat sich kaum geregt. Selbstbewusst, weil er mit seiner Aussage Recht behalten hatte, dennoch demütig, angesichts des Glitzerns, das wie zum Trotz neuerlich auf der Insel aufscheint.
Ich bin sicher: morgen schon ist sie wieder verschwunden.
Der junge Mascarpone schaut zu der winzigen Insel. Er versucht eine Lösung für das Funkeln zu finden; kennt aber keine. Er denkt nach, weshalb die Insel nicht eingezeichnet ist; findet aber keine Antwort. Für einen Moment liegt eine unheimliche Stimmung in der Luft – wie konnte etwas, das so klar vor der Nase lag, und das ein bekanntes Phänomen unter Seeleuten war, ein so großes Geheimnis bergen?
Dragorosso-Insel, sagtet Ihr?
Arr. gibt Nicchio ein piratenesques Geräusch von sich
Hat sie mit dem Kapitän Dragorosso zu tun, der im 17. Jahrhundert für die palatinische Armada kämpfte?
In Nicchios grobem, grantigem Gesicht zeichnet sich so etwas wie ein Lächeln ab. Der Junge, so glaubte er, war schneller von Begriff als gedacht.
Was wisst Ihr über Dragorosso?
Ein bekannter Kapitän seiner Zeit. Führte einige Reformen ein, die dabei halfen, die Korsarengefahr einzuschränken. Außerdem gab er den Bau neuer Wachtürme auf den Inseln in Auftrag. Er hat auch einige Aufgaben der Ränge modifiziert. Später …
Nein, nein, nein! schüttelt Nicchio erregt den Kopf, fuchtelt mit den Händen in der Luft Das sind doch alles dumme Geschichten ohne Inhalt!
Tino wirkt neuerlich unschlüssig. Sein Mund formt sich zu einem kleinen O.
So?
Ich meine die echte Geschichte von Dragorosso. betont er umso deutlicher Die Wahrheit über den Kapitän. Nicht verstaubtes Akademikergeschwätz.
Nun funkelt es nicht nur auf der Insel. Sondern auch in Nicchios Augen.
Die LEGENDE holt er aus von Dragorosso …
Ich bin sicher: morgen schon ist sie wieder verschwunden.
Der junge Mascarpone schaut zu der winzigen Insel. Er versucht eine Lösung für das Funkeln zu finden; kennt aber keine. Er denkt nach, weshalb die Insel nicht eingezeichnet ist; findet aber keine Antwort. Für einen Moment liegt eine unheimliche Stimmung in der Luft – wie konnte etwas, das so klar vor der Nase lag, und das ein bekanntes Phänomen unter Seeleuten war, ein so großes Geheimnis bergen?
Dragorosso-Insel, sagtet Ihr?
Arr. gibt Nicchio ein piratenesques Geräusch von sich
Hat sie mit dem Kapitän Dragorosso zu tun, der im 17. Jahrhundert für die palatinische Armada kämpfte?
In Nicchios grobem, grantigem Gesicht zeichnet sich so etwas wie ein Lächeln ab. Der Junge, so glaubte er, war schneller von Begriff als gedacht.
Was wisst Ihr über Dragorosso?
Ein bekannter Kapitän seiner Zeit. Führte einige Reformen ein, die dabei halfen, die Korsarengefahr einzuschränken. Außerdem gab er den Bau neuer Wachtürme auf den Inseln in Auftrag. Er hat auch einige Aufgaben der Ränge modifiziert. Später …
Nein, nein, nein! schüttelt Nicchio erregt den Kopf, fuchtelt mit den Händen in der Luft Das sind doch alles dumme Geschichten ohne Inhalt!
Tino wirkt neuerlich unschlüssig. Sein Mund formt sich zu einem kleinen O.
So?
Ich meine die echte Geschichte von Dragorosso. betont er umso deutlicher Die Wahrheit über den Kapitän. Nicht verstaubtes Akademikergeschwätz.
Nun funkelt es nicht nur auf der Insel. Sondern auch in Nicchios Augen.
Die LEGENDE holt er aus von Dragorosso …
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Re: Der Palatinische Golf
Tino mag zuerst nichts sagen. Dann merkt er, dass sein Schweigen als Zustimmung gilt – eine Zustimmung dazu, von Nicchio zu erfahren, was es genau mit der Insel auf sich hat. Es ist nicht so sehr die Neugierde, die ihn treibt. Es kommt eher das eine zum anderen: er kann keine sinnvolle Erklärung geben, warum die Insel schimmert, und die Matrosen glauben, dass ihnen ein großes Unglück bevorsteht. Selbst wenn er den Aberglauben der Mannschaft nicht teilt, so war es zumindest klug, herauszufinden, wovor sie sich ängstigten.
So jedenfalls formte sich Tino das Geschehen im Nachhinein zurecht. In Wirklichkeit konnte es der alte Nostromo nur nicht abwarten, aus seinem reichhaltigen Fundus von Schauergeschichten eine Erzählung herauszufischen. Ungefragt beginnt er in einer dunklen Erzählstimme fortzufahren; jene Art von Erzählstimme, die man unter Deck in völliger Dunkelheit von sich gab, um die ängstlichen Matrosen dritter Klasse beim ersten Seegang zu erschrecken.
Pasquale Drago war eigentlich ein Kaufmann aus Porto Vecchio. Eines Tages enterten Korsaren sein Schiff, das sein halbes Vermögen trug. Nachdem sie die Mannschaft überwältigt und sich seiner Fracht bemächtigt hatten, fesselten sie die überlebenden Männer, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Drago überlebte nur, weil er einem heranstürmenden Barbaresken in den Dolch griff, der ihn dabei verstümmelte. Drago konnte sich retten, verlor dabei aber zwei Finger. Seine Hand war verkrüppelt und verformte sich krallenartig.
Der Nostromo krümmt seine Finger vor Tinos Nase, bis nur noch drei übrigbleiben. Die ungewaschenen, lang gewachsenen Fingernägel des Alten, an denen sich Risse und verwachsene Wunden zeigen, tun das Übrige, um die richtige Stimmung zu erzeugen.
Nach so viel Pech war das Glück mit ihm. Er konnte zu einem winzigen Eiland schwimmen, das im Mandragola-Archipel lag. Den Korsarendolch hatte er als einziges Hab und Gut neben seinen Kleidern gerettet. Es gelang ihm, einen Baum zu fällen und ein Feuer zu machen, um ein vorbeifahrendes palatinisches Schiff auf sich aufmerksam zu machen. Der Kapitän, der ihn an Bord nahm, zeigte sich verwundert: denn die Insel, von welcher der Rauch aufstieg, war auf keiner Karte verzeichnet.
Der Alte sieht bedeutungsschwanger zu der Insel. Verschränkt die Arme hinter dem Rücken.
Drago merkte sich die Stelle. Und als er nach Porto Vecchio zurückkehrte, entlohnte er zuerst den Kapitän, der ihn gefunden hatte – und gab dann den Rest seines Vermögens für ein neues Schiff, eine neue Mannschaft und Waffen aus. Er machte anschließend von einem alten Privileg Gebrauch: nämlich, dass er als Privatmann der Serenissima ein Schiff zur Verfügung stellte. Von da an operierte er gemeinsam mit der Marine gegen Korsarenschiffe. Die Insel aber, die er sich gemerkt hatte, und er von Neuem anfuhr, war wieder verschwunden.
Nicchio hätte seine Einkaufliste vorlesen können, nur, um die Anzahl von Eiern und Mehlpfund vorzulesen - und jeder Mann am Lagerfeuer hätte mit den Zähnen geklappert. Alte Matrosen waren wie Schiffswracks: nur noch zu wenig Nutze, aber für Schauergeschichten reichte es allemal.
Schon bald nahm er Rache für das, was ihm angetan wurde. Er wollte den Korsaren, der ihn beraubt hatte, persönlich stellen. Wie zur Abschreckung färbte er seine verstümmelte rechte Hand mit rotem Saft. Sie glich damit wahrhaft roten Drachenkrallen – und der Name „Dragorosso“ eilte ihm nun voraus.
So jedenfalls formte sich Tino das Geschehen im Nachhinein zurecht. In Wirklichkeit konnte es der alte Nostromo nur nicht abwarten, aus seinem reichhaltigen Fundus von Schauergeschichten eine Erzählung herauszufischen. Ungefragt beginnt er in einer dunklen Erzählstimme fortzufahren; jene Art von Erzählstimme, die man unter Deck in völliger Dunkelheit von sich gab, um die ängstlichen Matrosen dritter Klasse beim ersten Seegang zu erschrecken.
Pasquale Drago war eigentlich ein Kaufmann aus Porto Vecchio. Eines Tages enterten Korsaren sein Schiff, das sein halbes Vermögen trug. Nachdem sie die Mannschaft überwältigt und sich seiner Fracht bemächtigt hatten, fesselten sie die überlebenden Männer, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Drago überlebte nur, weil er einem heranstürmenden Barbaresken in den Dolch griff, der ihn dabei verstümmelte. Drago konnte sich retten, verlor dabei aber zwei Finger. Seine Hand war verkrüppelt und verformte sich krallenartig.
Der Nostromo krümmt seine Finger vor Tinos Nase, bis nur noch drei übrigbleiben. Die ungewaschenen, lang gewachsenen Fingernägel des Alten, an denen sich Risse und verwachsene Wunden zeigen, tun das Übrige, um die richtige Stimmung zu erzeugen.
Nach so viel Pech war das Glück mit ihm. Er konnte zu einem winzigen Eiland schwimmen, das im Mandragola-Archipel lag. Den Korsarendolch hatte er als einziges Hab und Gut neben seinen Kleidern gerettet. Es gelang ihm, einen Baum zu fällen und ein Feuer zu machen, um ein vorbeifahrendes palatinisches Schiff auf sich aufmerksam zu machen. Der Kapitän, der ihn an Bord nahm, zeigte sich verwundert: denn die Insel, von welcher der Rauch aufstieg, war auf keiner Karte verzeichnet.
Der Alte sieht bedeutungsschwanger zu der Insel. Verschränkt die Arme hinter dem Rücken.
Drago merkte sich die Stelle. Und als er nach Porto Vecchio zurückkehrte, entlohnte er zuerst den Kapitän, der ihn gefunden hatte – und gab dann den Rest seines Vermögens für ein neues Schiff, eine neue Mannschaft und Waffen aus. Er machte anschließend von einem alten Privileg Gebrauch: nämlich, dass er als Privatmann der Serenissima ein Schiff zur Verfügung stellte. Von da an operierte er gemeinsam mit der Marine gegen Korsarenschiffe. Die Insel aber, die er sich gemerkt hatte, und er von Neuem anfuhr, war wieder verschwunden.
Nicchio hätte seine Einkaufliste vorlesen können, nur, um die Anzahl von Eiern und Mehlpfund vorzulesen - und jeder Mann am Lagerfeuer hätte mit den Zähnen geklappert. Alte Matrosen waren wie Schiffswracks: nur noch zu wenig Nutze, aber für Schauergeschichten reichte es allemal.
Schon bald nahm er Rache für das, was ihm angetan wurde. Er wollte den Korsaren, der ihn beraubt hatte, persönlich stellen. Wie zur Abschreckung färbte er seine verstümmelte rechte Hand mit rotem Saft. Sie glich damit wahrhaft roten Drachenkrallen – und der Name „Dragorosso“ eilte ihm nun voraus.
Palatina erwartet, dass jeder Mann seine Pflicht tun wird. - Unbekannt
- Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf
Das Geräusch eines herausgezogenen Stöpsels unterbricht die Geschichte. Eine Schwade Alkohol umweht Tinos Nase. Er kann nicht genau definieren, was der alte Nicchio mit einem genüsslichen Zug trinkt - ist sich aber sicher, dass solche Getränke den Geschichtenfluss erst recht in Fahrt bringt.
Zufrieden steckt der Nostromo die flachmannähnliche Verwahrungsstelle hochprozentiger Spiriuosen weg.
In Tunis und Algier verbreitete sich sein Ruf als Korsarenjäger. Und es verdichtete sich das Gerücht, dass er einen ganz bestimmten Korsaren, nämlich Abbas, den Fürchterlichen, suchte.
fasst er den Strang wieder auf - und macht eine Geste mit beiden Händen, als wolle er einen imaginären Korsaren am Kragen packen
Sie hätten vielleicht jeden anderen Korsaren zwingen können, sich Dragorosso zu stellen, um die eigene Haut zu retten; sie hätten darauf gehofft, dass Dragorossos Zorn ausgestanden wäre, und sie dafür davonkämen. Doch Abbas war kein gewöhnlicher Korsar: er war ein Fürst, wenn nicht gar ein König unter den Korsaren, der ungezählte Abendländer verschleppt und versklavt hatte, und das Gold aus den Sklavenerlösen mit dem Gold der gestohlenen Waren zusammenrechnete.
Es ging die Legende, dass Abbas einen geheimen Turm irgendwo im Hinterland Nordafrikas besaß, in dem er all diese angehäuften Reichtümer versteckte. Dieser „Turm des Abbas“ soll voller Gold, Silber, Elfenbein und Juwelen gewesen sein, und er hatte damit Emire und andere Fürsten bestechen können, um sich deren Kontrolle zu entziehen. 66 verschworene Scimitarkämpfer standen in seinem Sold, die den Auftrag hatten, den Turm mit ihrem Leben zu schützen.
Tino wagt es, die Geschichte zu unterbrechen.
66? Warum seid Ihr bei dieser konkreten Zahl so sicher?
Es waren eben 66 winkt Nicchio ab
Bei allen Angaben seid Ihr bisher sehr diffus gewesen, aber hier ...
Ihr zerstört die ganze Dramatik! verbittete sich der Erzähler weitere Nachfragen, muss nachdenken: Wo war ich jetzt? Ach ja ...
Weil Abbas, der Korsarenfürst, so mächtig war, rieten ihm die anderen Korsaren nicht dazu, sich ergeben zu müssen. Vielmehr schlossen sich die Korsaren ihm an, weil sie fürchteten, dass sie ohne Abbas die Kontrolle über das Meer verlieren konnten. So geschah es, dass Abbas mit seinen Verbündeten auf die Jagd gingen, um Dragorosso zu töten.
Es besteht für Tino nunmehr kein Zweifel daran, dass der alte Nicchio sich nicht aufspielte. Es war für ihn eine höchst ernste Angelegenheit. Der Erzähler achtete auf seinen Vortrag wie einer der Dozenten an der Militärakademie. Ihre Mittel waren verschieden, aber die Motivation war dieselbe. Hier ging es nicht um eine lumpige Geschichte; es war eine Geschichte, die eine Welt zusammenhielt, in der Seeungeheuer hausten und Pfeifen an Bord den Windgott verärgerte.
Außerdem hatte er keine Lust, sich neuerlich den Zorn des Alten auf sich zu ziehen, wenn er die auffälligen Lücken und Ungereimtheiten ansprach ...
Zufrieden steckt der Nostromo die flachmannähnliche Verwahrungsstelle hochprozentiger Spiriuosen weg.
In Tunis und Algier verbreitete sich sein Ruf als Korsarenjäger. Und es verdichtete sich das Gerücht, dass er einen ganz bestimmten Korsaren, nämlich Abbas, den Fürchterlichen, suchte.
fasst er den Strang wieder auf - und macht eine Geste mit beiden Händen, als wolle er einen imaginären Korsaren am Kragen packen
Sie hätten vielleicht jeden anderen Korsaren zwingen können, sich Dragorosso zu stellen, um die eigene Haut zu retten; sie hätten darauf gehofft, dass Dragorossos Zorn ausgestanden wäre, und sie dafür davonkämen. Doch Abbas war kein gewöhnlicher Korsar: er war ein Fürst, wenn nicht gar ein König unter den Korsaren, der ungezählte Abendländer verschleppt und versklavt hatte, und das Gold aus den Sklavenerlösen mit dem Gold der gestohlenen Waren zusammenrechnete.
Es ging die Legende, dass Abbas einen geheimen Turm irgendwo im Hinterland Nordafrikas besaß, in dem er all diese angehäuften Reichtümer versteckte. Dieser „Turm des Abbas“ soll voller Gold, Silber, Elfenbein und Juwelen gewesen sein, und er hatte damit Emire und andere Fürsten bestechen können, um sich deren Kontrolle zu entziehen. 66 verschworene Scimitarkämpfer standen in seinem Sold, die den Auftrag hatten, den Turm mit ihrem Leben zu schützen.
Tino wagt es, die Geschichte zu unterbrechen.
66? Warum seid Ihr bei dieser konkreten Zahl so sicher?
Es waren eben 66 winkt Nicchio ab
Bei allen Angaben seid Ihr bisher sehr diffus gewesen, aber hier ...
Ihr zerstört die ganze Dramatik! verbittete sich der Erzähler weitere Nachfragen, muss nachdenken: Wo war ich jetzt? Ach ja ...
Weil Abbas, der Korsarenfürst, so mächtig war, rieten ihm die anderen Korsaren nicht dazu, sich ergeben zu müssen. Vielmehr schlossen sich die Korsaren ihm an, weil sie fürchteten, dass sie ohne Abbas die Kontrolle über das Meer verlieren konnten. So geschah es, dass Abbas mit seinen Verbündeten auf die Jagd gingen, um Dragorosso zu töten.
Es besteht für Tino nunmehr kein Zweifel daran, dass der alte Nicchio sich nicht aufspielte. Es war für ihn eine höchst ernste Angelegenheit. Der Erzähler achtete auf seinen Vortrag wie einer der Dozenten an der Militärakademie. Ihre Mittel waren verschieden, aber die Motivation war dieselbe. Hier ging es nicht um eine lumpige Geschichte; es war eine Geschichte, die eine Welt zusammenhielt, in der Seeungeheuer hausten und Pfeifen an Bord den Windgott verärgerte.
Außerdem hatte er keine Lust, sich neuerlich den Zorn des Alten auf sich zu ziehen, wenn er die auffälligen Lücken und Ungereimtheiten ansprach ...
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