Der Palatinische Golf

Das Meer bezeichnet den Bereich jenseits der Küsten der Republik. Zwar ist das Mittelmeer nicht mehr ein so gefahrvoller Ort wie auf dem Höhepunkt des Korsarenzeitalters, doch die angespannte internationale Lage führt immer wieder zu Zwischenfällen, besonders zwischen britischen und französischen Schiffen ...
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Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Tino Mascarpone »

Doch Dragorosso erwartete die Korsaren bereits. fährt Nicchio fort

Und die Flotte der Korsaren und die Flotte von Dragorosso standen sich südlich Sardiniens gegenüber. Niemand wagte es zuerst, den anderen anzugreifen, weil sie gleich stark schienen und insbesondere die Korsaren keine Lust auf ein sinnloses Gemetzel hatten: denn die Vernichtung beider Flotten wäre ja immer noch ein Gewinn für Dragorosso und seine palatinischen Unterstützer gewesen, aber die Korsaren wären erheblich geschwächt und auch für die anderen europäischen Flotten ein gefundenes Fressen gewesen.

Dragorosso wusste darum; und es geschah, dass sich zuerst ein einzelnes, dann mehrere Korsarenschiffe in Sicherheit brachten, bis Abbas nur noch von sehr engen Mitstreitern umgeben war. Dragorosso führte den Angriff an und nahm direkten Kurs auf das Hauptschiff des Korsarenfürsten. Noch bevor die Seeschlacht wirklich begonnen hatte, legte er Abbas in Ketten.


Tino fällt auf, dass Nicchio die ganze Zeit eine Hand in seiner Tasche behält. Als er wie abwesend erzählt, kann der junge Mascarpone etwas genauer hinschauen. Zwischen seinem Daumen und Zeigefinger spielt das Kreuz eines Rosenkranzes. Nicht aus Holz, sondern aus Eisen. Trotz der salzigen Seeluft und dem Kampf mit dem nassen Element erkennt er keinen Rost. Entweder, weil der alte Matrose das Stück so gut pflegte.

Oder weil er so häufig daran rieb.


Der Korsar wunderte sich darüber – denn er hatte gedacht, Dragorosso wollte ihn sofort töten. Der aber wusste von dem Hass, der in Abbas brodelte. Dragorosso war ein entlaufener Fast-Sklave, dessen Schiff er geentert hatte und einen gerechten Zorn spürte; die anderen aber, die ihm zuerst die Gefolgschaft geschworen, aber im Angesicht des Feindes geflohen waren, betrachtete er als Verräter.

Nur ganz kurz wagt es Tino, nachzufragen:

Den Verräter in den eigenen Reihen verachtet man mehr als den ehrlichen Feind?

Der Nostromo nickt mit dunklem Blick.

Der Korsarenjäger machte dem gefallenen Korsarenfürsten deswegen ein Angebot: er würde Abbas nicht töten, wenn er ihm die Verstecke der anderen Korsaren verriet.

Freilich gestand Nicchio ein hielt Abbas dagegen. Er wollte mehr als nur die Gefangenschaft, mehr als das bloße Überleben: er wollte als freier Mann von Bord gehen.

Die "Semifreddo" fährt nun auf der Höhe der Dragorosso-Insel vorbei. Bis auf Nicchio und ihn haben sich sämtliche Matrosen wieder verzogen. Es war ihm bis dato nicht aufgefallen. Entweder kannten sie die Geschichte und waren müde, sie neuerlich hören zu müssen - oder sie fürchteten, dass sie noch mehr Unglück anlockte. Ähnlich, wie man es vermied, an Bord zu viel über Piraten zu reden, weil der Aberglauben der Seeleute so stark war, dass man sie damit anlockte.

Dragorosso überlegte kurz – und willigte zur Überraschung aller ein. Abbas glaubte, dass dieser auf die Plünderung der Korsarenverstecke abzielte; nicht nur, um die Schätze seiner Verräter an sich zu reißen, sondern auch den genauen Ort seiner eigenen Bastion herauszufinden. Und das ergab für Abbas Sinn: Dragorosso würde ihn auf freien Fuß setzen, nur, um ihn zu verfolgen, und seinen legendären Turm mit den 66 Wächtern zu finden und seine Reichtümer zu stehlen. Abbas hatte die List also sehr schnell durchschaut.
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spiritus praeteriti nativitatis
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von spiritus praeteriti nativitatis »

*swooooosh*

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Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Tino Mascarpone »

Der Nostromo genießt sichtlich die schauerliche Kälte, die geisterhaft über das Schiff gezogen ist. Sie passte so gut zur Stimmung.
Tino dagegen hält sich kurz wie fröstelnd beide Arme.


Aber Abbas spielte mit. Er brauchte Zeit, um eine Strategie zu überlegen, wie er seine Rückkehr planen konnte und vermied, dass Dragorosso herausfand, wo sein Turm war. Daher half er dem Korsarenschreck, verriet die Verstecke derjenigen, die ihn verraten hatten. Und als der letzte Korsar erledigt war, da sprach Dragorosso, dass er Wort halten würde. Er werde ihn an Land setzen.

Der Alte nickt vielsagend sich selbst zu.

Und so geschah es auch: er lieferte den gestürzten Korsarenfürsten genau auf jenem winzigen Eiland ab, auf dem er nach dem Überfall gestrandet war. Abbas sah sich zuerst überrascht, dann hintergangen, zuletzt verzweifelt. Aber auch die Mannschaft des Dragorosso protestierte: schließlich wusste allein Abbas, wo der Schatzturm mit den unermesslichen Reichtümern und den 66 Wächtern war. War es nicht weiser, irgendwie herauszufinden, wo dieser Turm war?

Auf diese Weise bettelte auch Abbas: denn er war bis zu diesem Moment sicher gewesen, dass die Habgier der eigentliche Antrieb der Menschen war, dass die Gier nach seinem Schatz zugleich seine Lebensversicherung sein musste. Die Poeten dichten von der Liebe als stärksten Trieb; aber sie vergessen, dass Hass eine Seite der Liebe ist, nicht das Gegenteil.


Der alte Nicchio macht eine bedeutungsvolle Pause. Dann sagt er bedeutungsvoll knurrend:

Und Dragorosso hasste so sehr, wie andere liebten.
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Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Tino Mascarpone »

Der alte Nicchio macht eine ruckartige Handbewegung, bei der Tino zurückschreckt.

Er riss den Dolch, den er vor so vielen Jahren gegen seine rechte Hand eingetauscht hatte, und trieb Abbas damit auf die Insel.

„Als freier Mann wolltest du mein Schiff verlassen, und als freier Mann bist du von Bord gegangen. Von nun an darfst du dich König nennen: diese ganze Insel gebe ich dir!“


Für einen Moment erkennt Tino ein Funkeln in den Augen des Nostromo; eines, das dem auf der Geisterinsel so sehr ähnelt. Der Matrose ist ganz im Element, für Sekunden ist er Dragorosso: besessen von Rache, durchdrungen von dem Willen, andere für das leiden zu lassen, was ihm selbst angetan. Das waren Emotionen, wie sie die See bildete: die einsame See, in der man mittendrin feststeckte, verloren war. Das Meer bedeutete Freiheit. Aber es konnte auch ein Gefängnis sein. Wenn der Wind nicht wehte und die Hitze auf die trostlose Nussschale prallte.

Oder man auf einer Insel gestrandet war, von der es keinen Ausweg gab.


Er ging zurück an Bord ließ den Korsaren zurück. Auf der Insel gab es nichts zu essen, nichts zu trinken, keine Pflanzen. Doch bevor die Mannschaft Segel setzte, warf Dragorosso dem Besiegten jenen Dolch zu, der auch ihm einst einziger Besitz war. Da ihn Abbas nicht fangen konnte, auch nicht fangen wollte, raste er in den Felsen der Insel – und schimmert seitdem im Stein.

Und es funkelte. Glitzerte. Schimmerte. Mahnte. Rief. Lachte.
Und drohte.
Genau das war es, und Tino hatte die ganze Erzählung des grantigen Matrosen gebraucht, um zu verstehen, was das Funkeln anstellte. Bedeutung und Verständnis war das eine. Aber dieses Schimmern löste etwas aus bei den Seeleuten. Es drohte! Weil es mahnte. Und die Geschichte von Dragorosso leise ins Ohr des Zuschauers flüsterte.

Wie hämisch funkelt die Insel aus der Ferne des jungen Mascarpone. Ein unbestimmtes Gefühl geht durch Tino. Es war keine Angst. Eher ein Gruseln und Schaudern. Nur Narren sagte, dass man sich vor etwas ängstigte, was man nicht kannte; man wusste ja, was mit dieser Insel zusammenhing und ängstigte sich umso mehr, während er zuerst nur neugierig gewesen war.


Drei Tage, nachdem dies passiert war, erreichten Korsaren die Gegend. Männer von Abbas, die nach ihrem Anführer suchten, und die Verfolgung aufgenommen hatten. Sie hörten später, dass Dragorosso ihn gefangen genommen, und auf einer Insel ausgesetzt hatte.

Aber die Insel fanden sie sie nicht. Sie war, launig wie es ihrer Natur entspricht, wieder verschwunden.


Ein schnaubiges Geräusch zwischen Räuspern und Tabaklunge drängt sich dazwischen.

Doch immer wieder geschieht es, dass sie wieder auftaucht. Manchmal für Tage. Manchmal nur für Stunden. Dann blitzt der Dolch im Felsen jener Insel. Und erinnert an das Unglück derjenigen, denen Reichtümer und Ruhm mehr bedeuten als die persönliche Ehre oder das eigene Leben.
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Ventura Stolfi
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Ventura Stolfi »

Ein langsames, ironisches Klatschen folgt auf Nicchios letzten Satz.

Bezaubernde kleine Geschichte.

Es war nicht klar, wie lange Ventura schon dabeistand. Es war auch nicht weiter wichtig. Er hatte die Erzählung schon mehrfach gehört. Männer wie Nicchio leiteten ihre Autorität aus ihrem Alter und ihrem vermeintlich damit einhergehenden Wissen ab. Das Erzählen von Seemannsgarn war eine Festigung der eigenen Legitimität und der traditionellen Hierarchie. Männer wie Nicchio behielten ihre Autorität, solange sie die Narrative beherrschten, wie die Welt funktionierte.

Ein Schiff, auf dem der Aberglauben herrschte, war zugleich ein Schiff, wo nicht Wissenschaft und Vernunft regierten, sondern alte weiße bärtige grantige Männer.

Ventura sieht sich daher aus mehreren Gründen veranlasst, dem Spuck ein abruptes Ende zu bereiten. Vor allem aber hat er ein Interesse, dass der angehende Alfiere nicht zu sehr in den Einflussbereich eines vom Aberglauben besessenen Alten fällt.


Sie wäre allerdings besser in einem Märchenbuch aufgehoben als auf hoher See. Dieser dumme Aberglauben zerstört die Moral an Bord.

Demonstrativ stellt er sich zu den beiden, fast schon zwischen den angehenden Offizier und den altgedienten Nostromo.

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