Der Palatinische Golf

Das Meer bezeichnet den Bereich jenseits der Küsten der Republik. Zwar ist das Mittelmeer nicht mehr ein so gefahrvoller Ort wie auf dem Höhepunkt des Korsarenzeitalters, doch die angespannte internationale Lage führt immer wieder zu Zwischenfällen, besonders zwischen britischen und französischen Schiffen ...
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Die Signoria
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Der Palatinische Golf

Beitrag von Die Signoria »

Der Palatinische Golf

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Der Palatinische Golf ist ein kartographisch international nicht akzeptierter Name, wird jedoch von der Republik auf jeder Karte, auf der nur ein Fitzelchen Meer abgebildet ist, mit pedantischer Rigidität festgehalten – in der Hoffnung, dass er sich irgendwann einbürgert, weil ausländische Kartenzeichner irgendwann aufgeben. Der Name taucht erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf, nämlich in den Jahrzehnten nach der Eroberung der Inselgruppe von Mandragola. Bis dahin hatte sich Palatina damit begnügt, lediglich von „Küstengewässern“ zu sprechen; die Republik beanspruchte für sich jenen Meeresabschnitt für sich, der sich direkt an die Küste anschloss, sowie das Umfeld der Insel Formosa.

Mit dem Erwerb der weit im Tyrrhenischen Meer vorgelagerten Insel Mandragola und den dazugehörigen Eilanden änderte sich schlagartig. Alles, was zwischen den zwanzig Meilen entfernten Inseln und dem palatinischen Festland lag, deklarierten die Beamten kurzerhand zum „Palatinischen Golf“, obwohl die äußerst geradlinige palatinische Küste kaum den Eindruck einer Bucht machte. Ricardo Farfalla konnte sich nicht mit seiner Benennung als „Palatinischer Meerbusen“ durchsetzen, da er daraufhin von der gesamten Studentenschaft ausgelacht worden war.

Die Deklaration des „Golfes“ war demnach auch eine politische Botschaft. Palatina sieht das Gebiet zwanzig Meilen vor der eigenen Küste als seine Hoheitsgewässer an. Im Alltag werden sie auch als Heimatgewässer bezeichnet, hinter denen das eigentliche Meer beginnt. Aufgrund der Küstennähe gilt die See an dieser Stelle vergleichsweise friedlich, es sind aber auch schon genügend Fischer bei ihren Ausflügen umgekommen, die das genaue Gegenteil beweisen. Die zusammengestutzte Flotte der einst mächtigen Serenissima patrouilliert vornehmlich diesen Teil des Meeres. Viele Händler, die hier angekommen sind, fühlen sich daher in Sicherheit bei der Verfolgung durch Piraten oder Korsaren. Das Licht des Leuchtturms von Porto Vecchio flackert in der Nacht und verkündet die baldige Ankunft in der Republik.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Tino Mascarpone »

Die Wasser rauschten. Sie rauschten! Nicht wie der Rio, der die Republik teilte oder die Bäche, die von Tartuffo die Berge hinab zu ihm stürzten. Flüsse, Bäche, Seen kannten Grenzen. Sie waren eingepfercht wie domestizierte Tiere. Doch dieses Wasser war frei. Und ungezähmt wie es war, toste es wild wie entlaufene Pferde durch die Weite, begrub sich gegenseitig. Tino hatte sich immer gefragt, warum die alten Griechen dem Poseidon die Pferde zugeordnet hatten. Aber die Griechen, die vor allem Seefahrer gewesen waren, mussten ähnliches gedacht haben: Wilde Hengste sind den Meereswellen ähnlich.

Der junge Alfiere sieht zum Horizont. Sie hatten am Morgen Porto Vecchio wie geplant verlassen. Die letzten Vögel hatte er vor einer Viertelstunde erspäht. Die Silhouette der palatinischen Küste konnte man noch erahnen, ging aber als blauer Film zwischen Wasser und Himmel unter, der sich nur durch seine Helligkeit auszeichnete. Allein Formosa zeigte sich noch in der Ferne und erinnerte Tino daran, dass sie nicht zu einer Weltreise aufbrachen, sondern lediglich in den heimischen Gewässern blieben.

Warum – das war eine ganz eigene Geschichte. Eine, die er bisher nur bruchstückhaft kannte. Weder der Capitano da Mar Castelli, noch der Commandante Semifreddo hatten darüber viele Worte verloren. Es blieb vorerst bei der nötigsten Information. Demnach lautete das Ziel Mandragola. Sie würden in Pistacchio ankern und dann … nun, das würde man ihm zu gegebener Zeit mitteilen. Nein, musste man.

Ein Wasserplatschen. Ein dumpfer Knall. Nasses Holz prallt auf Deck auf. Ein dreieckiger Logscheit liegt nur eine Elle neben ihm.


6 Knoten!

Vermeldet ein grantiger Matrose. Die „Tarquinio Semifreddo“ konnte Spitzengeschwindigkeiten von 10 Knoten erreichen, jemand sollte sie in einer Extremsituation gar auf 12 Knoten gebracht haben. Auf einem kleinen Tisch an der Reling streift Tinos Feder über das Papier, stellt Berechnungen an.

6 Knoten sind … etwa 2 Stunden und 58 Minuten bis San Bernardino …

Ein Zirkel kreist über eine Karte. Zieht seine Runden über die äußeren Eilande des Mandragola-Archipels.

… und etwa 3 Stunden …

Tinos Feder wetzt wieder über das Papier, streicht eine Rechnung, schreibt eine neue.

… und 13 Minuten.

Man mochte das als Übereifer abtun. Gut, es war Übereifer. Aber ein berechtigter. Tino hatte seit der Abfahrt aus der Cittadella die Blicke der Matrosen bemerkt. Eigentlich sollte er sich nicht darum scheren. Doch er war sich ziemlich sicher, dass sich rumgesprochen hatte, dass er nicht nur zu den typischen, verzärtelten, verkopften Schnöselkindern palatinischer Aristokratie gehörte – sondern an der Spitze dieser Hierarchie. Das bedeutete einerseits, dass er wenig zu befürchten hatte. Andererseits: den Druck konnte er nicht leugnen. Der Capitano, der Commandante und der Guardiamarina hatten ebenso viele Gründe ihn zu schonen, wie sie Gründe hatten, ihn besonders auf die Probe zu stellen und abzuhärten.

Tino Mascarpone hatte keine Lust, sein Leben lang Fahnen für andere zu schwenken. Aber wer keine Fahnen mehr schwneken wollte, musste zuerst Knoten zählen. Und wer keine Knoten zählen konnte - konnte man nicht brauchen.
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Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Tino Mascarpone »

Was zum Teufel machen Seeleute die ganze Zeit?!

Es hatte keine weitere Viertelstunde gedauert, dass Tino auf eines der großen Geheimnisse der Seefahrt gestoßen war, eines, auf das man ihn kaum vorbereitet hatte und eines, dass er sich in seiner romantischen Verklärung wohl nicht ausgemalt hatte: diese merkwürdige Stagnation auf See. Freilich: ein Marinaio würde irgendeiner Arbeit nachgehen, oder die vier Stunden Freizeit zwischen den Stunden irgendwie genießen.

Für ihn dagegen stellte sich ein merkwürdiger Moment ein. Tino hatte in seinem Übereifer bereits alle nautischen Studien beendet. Er hatte sogar mit einem Lineal die Ergebnisse bunt unterstrichen, weil er nicht mehr wusste, was es noch zu tun gäbe. Dauernde Kursbestimmung war auf einer Kurzstreckenfahrt unnötig, und bis es Nacht würde, und er seine astronomischen Studien prüfen konnte, würde es noch mehrere Stunden dauern.

Daheim, in Palatina, sprach man immer wieder vom harten Seemannsleben. Tino musste diesen Eindruck auf offener See revidieren. Das Seemannsleben war nur punktuell anstrengend, selbst für die gemeinen Matrosen: solange sich nicht der Wind änderte, solange nicht die See rau wurde, solange es keine Neuausrichtung oder ein völlig unerwartetes Ereignis gab – war so eine Reise lediglich lang. Nicht, dass er lange Reisen gewöhnt wäre. Schließlich dauerte auch die Kutschfahrt von Palatina nach Tartuffo, oder die Flussfahrt von Palatina nach Porto Vecchio eine Weile. Doch das immergleiche Panorama war gewöhnungsbedürftig.

Nervös schaut der Alfiere auf die Sanduhr auf dem Navigationstisch. Er hatte das Glas noch kein zweites Mal gedreht. Es war keine Stunde auf dem Wasser vergangen, und irgendwie sollte er diese Zeit nun dreifach totschlagen.

Der ketzerische Gedanke, dass er möglicherweise einige voreilige Schlüsse hinsichtlich der Seefahrt gezogen haben könnte, wird von ihm sofort mit inquisitorischem Feuer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sein Vater würde ja wohl kaum ein langweiliges Leben geführt haben, und eine so monotone Beschäftigung als Lebenserfüllung gedient haben. Tino war überzeugt: es MUSSTE an ihm liegen!

Der junge Mascarpone stößt sich vom Tisch ab. Er streift an einer schnarchenden Seemannsgruppe vorbei, die im Schatten des Hauptmastes schläft. Es waren die einzigen menschlichen Geräusche. Sonst nur Wind in den Segeln. Wasserrauschen. Ächzendes Gehölz.
Tino hat eine innere Unruhe erfasst. Er würde Castelli und Semifreddo aufsuchen – irgendetwas musste er ja tun!

Er lenkt seinen Schritt zur Kapitänskajüte.
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Ventura Stolfi
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Ventura Stolfi »

Sand breitet sich auf dem Deck aus. Bimsstein schleift über das Holz. Die Matrosen knien darüber. Ein grauer Mantel schleift an nassgeschwitzten Gesichtern vorbei. Vorwurfsvoll geht der Blick eines Matrosen 2. Klasse ihm nach. Ein Huhn gackert, als der graue Ärmel in einen Käfig fährt.

Ventura steckt sich ein Frühstücksei ein, schlendert an der Reling wieder zurück.

Es war eine Art, die den Matrosen provozierte. Jeden Tag. Matrosen mussten hetzen, wenn der Comito pfiff. Sie mussten klettern, wenn der Comito pfiff. Und sie mussten doppelt so schnell hetzen und klettern, wenn der Commandante schrie. Schlendern, das war eine Eigenart, die sich niemand an Bord zutrautete, wenn er nicht der Offiziersriege angehörte.

Ventura bemerkt den Blick. Er sieht zu dem Matrosen. Der schaut wieder grimmig aufs Deck. Es ging nicht nur um Rang oder Ansehen. Einen Schiffsarzt verärgerte man nicht. Nicht, wenn die Gefahr drohte, irgendwann auf seinem Tisch zu liegen – und er sich an solche Momente erinnerte.

Wichtig war auch, woran man sich nicht erinnerte. Wenn Capitano, Commandante und Guardiamarina nicht in Sichtweite waren, bediente sich Ventura nonchalant an den Eiern der Offiziersriege. Natürlich konnte man ihn deswegen verpfeifen. Aber auch hier wussten die Matrosen, dass sich das irgendwann rächen konnte.

Ventura Stolfi war keine beeindruckende Gestalt. Für Leute wie ihn war das Wort „frugal“ erfunden worden. Dass er selbst auf dem Schiff stets den Schatten suchte, konservierte seinen Teint exquisiter Fahlheit. Auf seiner Kabine leuchtete meistens noch spät das Licht, weil er in Büchern blätterte. Berüchtigt waren seine nächtlichen Spaziergänge.

Dabei hatte Ventura nicht das unattraktivste Gesicht. Seine wachen Augen verrieten immer noch den regsamen Geist eines Dreißigjährigen, der sich lebhaft für die Welt interessierte, die ihn umgab. Sein Mantel mochte einem Greis gehören, und die Ringe unter seinen Augen sowie das wenig gepflegte Haar davon zeugen, dass er nicht viel Wert auf Äußerlichkeiten legte; aber nichts ließ daran zweifeln, dass er die Rolle an Bord genoss, die er spielte, und mochte es nur sein, weil er beim Kapitänsdinner mit den Offizieren zusammensaß.

Er sieht den Mascarpone, der auf die Kapitanskajüte zuhält, kreuzt wie beiläufig seinen Weg.


An Eurer Stelle würde ich das sein lassen.

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Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Tino Mascarpone »

Tino hält ein. Stolfi hatte nicht gerufen, sondern gesprochen. Aber mit einem so betont beiläufigem Ton, dass darin eine umso schärfere Warnung lag. Vielleicht hätte jemand anderes eine flache Hand in seine Richtung ausgestreckt, um ihn aufzuhalten; Stolfi dagegen hatte beide Hände in seinen Mantel gestopft und nahm kaum Anteil an der Szene.

Es waren noch keine 24 Stunden vergangen, dass sie das Bassin der Zitadelle verlassen hatten. Tino hatte bisher noch nicht viel Kontakt mit der eingespielten Mannschaft. Weder Castelli noch Semifreddo hatten ihn bisher offiziell vorgestellt. Stolfi gehörte an Bord zu den Leuten, die man trotz der Enge und Überschaubarkeit irgendwie übersah; und sie gehörten zu den Leuten, die, wenn man sie traf, plötzlich in der Rückschau auftauchten, weil man sich erinnerte, dass sie sich doch an diesem und jenen Ort aufgehalten hatten, während man unbedacht irgendwo entlang ging.

So ging es nun Tino, der bis dato geglaubt hatte, Stolfi bisher nicht wahrgenommen zu haben. Und sich nun erinnerte, dass er gestern Nacht, als er die Sternen- und Planetenpositionen bestimmt hatte, diesen grauen Mantel gesehen hatte. Geisterhaft hatte sich der Stoff über deas Deck bewegt. Und dem Comito di Vigilanza einen gehörigen Schrecken eingejagt. Etwas, wie er heute Morgen bei den niederen Matrosen gehört hatte, immer wieder vorkam – und der allgemeinen Unterhaltung der Mannschaft diente.


Ich will nur mit dem Capitano sprechen. Oder dem Commandante, wenn der Erste nicht verfügbar ist.

Er macht eine kurze Pause, räuspert sich, versucht souverän zu wirken.

Costantino Flavio di Mascarpone e Tartuffo.

stellt er sich vor, fügt dann hinzu

Ich bin der neue Alfiere will er erklären, stockt dann, korrigiert sich Alfiere in Ausbildung, versteht sich.

dann, wieder selbstbewusster

Aber eines Tages werde ich Admiral.
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Ventura Stolfi
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Ventura Stolfi »

Ah.

Seine Stimme wirkt überrascht und erfreut zugleich. Soll dem jungen Mascarpone das Gefühl geben, dass er mit dieser Wendung nicht gerechnet hatte.

Allerdings gab es für Ventura so gut wie nichts Überraschendes dabei. Er hatte Tino vom ersten Moment an observiert. Wie man ihn aus dem Bassin gefischt hatte. Wie er mit Commandante und Capitano zurück an Deck gekommen war. Wie er sich jedem, der es wissen wollte, so laut vorstellte, dass es die Perser in Isfahan gehört hätten. Und natürlich hatte er nebenbei gehört, wie Capitano, Capitano und Guardiamarina über den Jungen gesprochen hatten. Als Schiffsarzt war er der einzige Nicht-Offizier, der bei den wichtigen Besprechungen teilnahm. Ventura wusste deswegen bereits mehr von ihm, als Tino lieb sein durfte.

Ganz abgesehen davon, dass es sich in einer so kleinen Welt, in der wenig passierte, selbst unter den Matrosen schnell verbreitete, dass der Sohn des Provveditore an Bord war.


Freut mich, Ser Mascarpone.

Er nickt anerkennend.

Doktor Bonaventura Stolfi.

Ventura öffnet die rechte Hälfte seines Mantels. Messer, Skalpelle, Brillengläser, Scheren und einige mal feinere, mal grobschlächtigere Schneidwerkzeuge hängen an den Lederbändern, wo man sonst Innentaschen hätte vermuten können.
Er lässt diesen Moment nur drei Sekunden passieren, schließt den Mantel wieder.


Zu Euren Diensten.

Er setzt ein merkwürdiges Lächeln nach.

Hoffentlich nicht zu früh.

Der Schiffsarzt steckt die Hände wieder in den Mantel. Er dreht sich seitwärts um, wirft einen Blick auf die Kapitänskajüte.

Der Capitano befindet sich in der Besprechung. Was wollt Ihr von ihm?

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Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Tino Mascarpone »

Tinos glasige Augen haben sich seit dem Blick auf das außerordentliche Sammelsurium verschiedener - hoffentlich medizinischer – Utensilien kaum bewegt. Erst, als der Schiffsarzt wieder auf das eigentliche Thema zu sprechen kommt, rappelt sich der Alfiere in spe zusammen.

Seit unserer Abfahrt wurde mir nicht mehr mitgeteilt, was uns eigentlich bevorsteht. Eine Ausflugsfahrt nach Pistacchio ist schließlich nichts Ungewöhnliches.

Er zuckt kurz. Da ist wieder der Gedanke, dass er möglicherweise seine Ansichten vom Seemansleben ändern musste.

Ich meine, das kann doch nicht alles sein?
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Ventura Stolfi
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Ventura Stolfi »

Ventura wartet. Er dreht sich zum Meer ab, schaut über die Reling. Die Sonne glitzert auf den östlichen Wassern. Aus seiner Tasche kramt er zerstobenen Tabak aus einem Stück Zeitungspapier.

Die Marine Palatinas ist die vermutlich harmloseste Marine der Welt. Als Medico weiß ich, wovon ich spreche.

Eine Pfeife taucht aus der Manteltasche auf. Er klopft den Kopf kurz auf die Reling.

Versteht mich nicht falsch - ich finde diesen Zustand nicht beklagenswert. Als Schiffsarzt verdient man gut und hat wenig Arbeit. Kaum ein Auftrag verlässt den Palatinischen Golf. Mit einer Praxis an Land hätte ich mehr zu tun.

Seine Augen konzentrieren sich auf das Pulver, dass er in die Pfeife stopft. Filigrane Finger achten darauf, es nahezu prisenweise zu tun, ohne Eile, ohne Druck.

Ein von der Sandbank geschlepptes Fischerboot hier. Ein verirrter ausländischer Kutter da. Ein Strafzettel an Händler, die nicht alle Waren verzollen wollten.

Er grinst verschwörerisch.

Den letzten schweren Fall, den ich behandeln musste, war ein Matrose, der sich den Zeh beim Ankereinholen gebrochen hatte.

Ventura beugt sich über die Reling. Zischen. Qualm wirbelt durch die Luft.
Dann wird seine Stimme dunkler.


Ihr kennt als Kadett den Unterschied zwischen Pirat und Freibeuter?

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Tino Mascarpone
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Tino Mascarpone »

Piraterie ist ein von allen Staaten geächtetes Unrecht. Der Pirat ist vollkommen frei wie gesetzlos und handelt auf eigene Faust.

Freibeuterei ist dagegen ein auf Abmachungen und über Briefe verbürgtes Recht, dass ein Staat einem privaten Auftragnehmer erteilt und eine legitime Methode, um die militärische wie zivile Seefahrt eines gegnerischen Landes im Kriegsfall zu schwächen.

In Palatina hat nur der Admiral in Absprache mit dem Dogen oder der Doge persönlich das Recht, einen Kaperbrief zu verleihen, wobei sich der Brief auf ein spezifisches Schiff oder einen spezifischen Eigner beziehen kann. Der letzte Kaperbrief der palatinischen Geschichte wurde an Giacomo „Boccanera“ Garibaldi erteilt, und zwar im Jahre …

Tino merkt erst jetzt, dass er im lexikonhaften Duktus eines übereifrigen Kadetten spricht. Er würgt das eigene Wort ab. Wahrt Haltung.

Verzeiht.

Der Fast-Alfiere beobachtet Stolfi einen Moment. Der pafft sinnierend an seiner Pfeife. Ein edles Stück Holz, das so gar nicht zur restlichen Erscheinung passt. Das Stück ist gut gepflegt und blitzt in der Sonne auf. Tino kann filigrane Muster erkennen.

Als er sie jedoch deuten will, wendet sich Stolfi wieder zu ihm.
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Ventura Stolfi
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Re: Der Palatinische Golf

Beitrag von Ventura Stolfi »

Ihr sagt es. Piraten sind frei.

Stolfi dreht sich nun zum jungen Mascarpone, die Reling im Rücken. Er verschränkt die Arme.

Piraten hat diese Gegend seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Freibeuter dagegen immer wieder. Keiner davon agierte gegen Palatina – sondern stets gegen die Großmächte, die in Italien mittlerweile mehr Einfluss hatten als die Italiener selbst. Spanier. Franzosen. Briten. Früher auch die Holländer.

Er pustet Rauch in die Luft.

Je größer der Krieg, desto mehr Freibeuter. Und der Krieg, der zwischen Frankreich auf der einen, und Großbritannien und Österreich auf der anderen Seite tobt, ist vermutlich der größte, den diese Generation je zu Gesicht bekommen hat.

Er macht eine Pause. Als wollte er nun zur Konklusion kommen, weswegen er Tino eigentlich gefragt hatte.

Wer kann da noch unterscheiden, wo die Seegrenzen liegen, wenn der Freibeuter seinem Opfer folgt? Und was bedeutet es, wenn Briten und Franzosen in diesen Gewässern Krieg führen – wenn palatinische Schiffe dazwischenliegen?

Ventura sieht wieder aufs Meer.

Kann sein, dass das wieder mehr Arbeit in der Zukunft bedeutet.

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