Palatina, ein barockes Märchen, oder:
Es müssen nicht immer nur Perücken sein
Palatina – wenn man diesen Namen hört denkt man sofort an die Perle der Renaissance in Mittelitalien. Doch viel weniger bekannt ist auch die hoch barocke Seite der ehemaligen Republik am Rio, denn wie Rom und Florenz auch, beherbergte die Stadt auch zahlreiche barocke Bauten, die den damaligen Reichtum der Stadt wiederspiegelten.
Das Große Feuer von 1654
Heute besitzt die barocke Seite der Stadt aus vielen Gründen keine große Bekanntheit. Einerseits setzte die Barockisierung der Stadt eine ganze Generation später, als in anderen großen Städten Italiens ein, erst um das Jahr 1655 herum. Dies hängt auch mit dem verheerenden Stadtbrand von 1654 zusammen, der am 4.Oktober, noch während des großen Palios, begann und ganze drei Tage wütete. Die Ursachen des Brandes sind bis heute noch nicht ganz geklärt, einige Forscher gehen davon aus, dass einige Feuerwerkskörper in der Neustadt unglücklich in die Getreidesilos flogen, andere behaupten, dass dies ein ursprünglich als Ablenkungsmanöver des Reiters von Sankt Paul war, das jedoch schnell außer Kontrolle geriet.
Was die Ursachen sind, werden wir vielleicht nie mit einhundertprozentiger Genauigkeit sagen können, doch die Folgen sind sehr gut dokumentiert worden. Das Feuer fing tatsächlich in der Neustadt an, breitete sich von Westen nach Süden aus, der Wind trieb das Feuer weiter über die Zinnbrücke nach Sankt Peter, von wo es sich über die für den Palio errichtete Bootbrücke nach Sankt Paul ausbreitete. Die Zahlreichen Absperrungen aus Strohballen entlang der Paliostrecke taten ihr übriges.
Dass sich das Feuer über so unwahrscheinliche Wege ausbreitete und die Bevölkerung quasi machtlos mit einem Flammenmeer wütete, lässt die Geschichte noch tragischer erscheinen.
Als das Feuer wie durch ein Wunder vom einsetzenden Regen gelöscht wurde, lagen nur ein kleiner Teil der Neustadt, die Contrade „zwischen den Flüssen“ in Sankt Paul und die Hälfte Sankt Peters in Schutt und Asche. Schätzungen von heute gehen von 20.000 Menschen aus, die ihr heim verloren – ein schwacher Trost bleiben die relativ geringen Opferzahlen, die zwischen 20 und 130 liegen. *
Die Regierung Palatinas handelte rasch und sorgte zunächst für die Unterkunft der Obdachlosen. Zahlreiche Lager auf öffentlichen Plätzen, sowie die Umwandlung von öffentlichen Einrichtung und Palästen in Obdachlosenlagern konnten die Lage unter Kontrolle halten. Weitere Notverordnungen folgten.
Als nächstes schrieb der Rat einen Architektenwettbewerb für die Umgestaltung und den Wiederaufbau der Stadtteile aus. Aus den zahlreichen Einsendungen wurden schließlich zwei Gewinner auserkoren – der venezianische Architekt Amaretto Pallandino und der Palatiner Giovanni Dinwiddie. Beide wollten zwar das alte Stadtbild zum Großteil beibehalten, jedoch den Barock in die Stadt einziehen lassen, den Palatina so lange erfolgreich „abgewehrt“ hatte. Mit den beiden Architekten sollte Palatina ein neues Gesicht bekommen.
Der barocke Fischmarkt mit der Basilika Sankt Peter
Beide Architekten stritten die meiste Zeit über. Einige Quellen behaupten sogar, dass die beiden nur stritten und die eigentliche Arbeit von einem uralten Mann namens „Albehrtho derryge ältigerre von derryg Manufackturey“ geleistet wurde. Inwieweit diese Quellen stimmen, können wir leider nicht mit Genauigkeit sagen.
Nach dem Brand sollten vor allem die beiden Kanalviertel schnell wieder aufgebaut werden, denn der größte teil der Bevölkerung lebte dort. Tatsächlich verschwendeten die Architekten wenig Zeit beim Wiederaufbau von Sankt Peter und versuchten die alte Baustruktur wiederherzustellen. (Was damals in etwa hieß, dass sie die billigsten Materialien nahmen und genug sechsstöckige Bruchbuden für etwa 15000 Menschen bauten). Allein der Fischmarkt erhielt ein neues Gesicht. Da die älteste Kirche der Stadt, die Basilika des heiligen Petrus auch niedergebrannt war, errichteten die beiden Architekten eine barocke Kirche mit demselben Namen. Der Fischmarkt mit den berühmten Fischhallen wurde auch mit barockem Aussehen erbaut. So erhielt der zuvor noch dreieckige Platz ein neues, rechteckiges Aussehen. Obwohl sich die Bevölkerung kurze Zeit sträubte, ihren „guten, alten Fischmarkt“ so verunstaltet zu sehen, gelang es Dinwiddie und Pallandino, ein neues Wahrzeichen der Stadt zu schaffen.
Sankt Paul, das andere Kanalviertel, welches im Vergleich zu Sankt Peter kleinere Schäden erlitten hatte, wurde im Zuge der Bauarbeiten mit zwei neuen Kapellen, sowie einem neuen Kasino ausgestattet. Die Entscheidung, ein weiteres Kasino zu erbauen, bekam zwar die Zustimmung des Rates, zog aber den Unmut des Ermelino, des ältesten und renommiertesten Kasinos der Stadt auf sich.
Das westliche Ende der Via d'Oro mit der Kapelle "San Lorenzo" und der Gedenksäule.
Die Bauarbeiten in der Neustadt begannen sehr viel später als in den beiden anderen betroffenen Viertel. Wurden die ersten Häuser bereits einige Tage nach dem Brand in Sankt Peter fertiggestellt, so begann man erst zwei Monate später mit den Bauarbeiten in der Città Nuova. Doch die lange Wartezeit sollte sich bezahlt machen – der Westteil der Neustadt, der früher nur für den Viehmarkt und die Getreidesilos bekannt war, wurde komplett umgestaltet. So wurde zwar der Viehmarkt verkleinert und weiter nach Süden verlagert und die Getreidesilos an die Stelle des soeben erwähnten Marktes errichtet.
Nach etwa zwei Jahren Bauzeit wurde ein ganzer barocker Straßenzug im Westen errichtet. Banken, neue Geschäfte und Kontore von reichen Händlern zogen in die „Via d'Oro“, eine der ersten, benannten Straßen Palatinas ein.
Die Altstadt blieb zunächst vom Barock verschont. Obwohl Kunsthistoriker behaupten, dass einige Gebäude der Altstadt, so die Villa di Thesing, oder die Stadtarchive bereits starke barocke Ausprägungen zeigten, erhielt sich das Bild der prunkvollen Renaissance bis ins Jahr 1661. In diesem Jahr wurde das erste Kasino der Altstadt errichtet, viele Adelige verspielten sich um haus und Hof. Neue Besitzer ließen die nach ihrer Sicht antiquierten Bauten abreißen und ersetzten sie durch barocke Paläste. Selbst der Dogenpalast, der für viele damalige Künstler als vollkommenster Bau der Renaissance galt, erhielt eine barocke Fassade.
Diese Geschehnisse fanden alle in der Zeit von 1654 bis 1670 statt. In gerade mal 16 Jahren änderte sich das Stadtbild enorm und es sollten weitere Veränderungen folgen.
Auf zahlreichen Gemälden dieser Zeit ist festgehalten, was für ein Bild Palatina geboten haben muss. Die Neustadt mit ihren Mittelalterlichen Geschlechtertürmen, ihren aus der Renaissance stammenden Markthallen und dem Dom, sowie der Goldenen Straße, die im Barock schwamm – ein bunter Haufen an Architektur, der dennoch die Bewunderung vieler Reisender erhielt.
Wie sich die Stadt im weiteren Verlauf der Geschichte änderte, erfahren sie in Ausgabe 2.
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*Die ungenaue Zahl resultiert aus mehreren Quellen. So sprechen offizielle Angaben des Ratesvon nur 20 Opfern, während andere Geschichtsschreiber 130 angeben.