Die Inspiration

Willkommen im Napoleonischen Zeitalter! Was, Ihr habt Euch verirrt? Hier steht alles, was Ihr über die letzten Tage Palatinas wissen müsst.
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Die Signoria
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Die Inspiration

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Die Idee zu "La Caduta" wurde bereits im Jahr 2012 geboren: aufgrund ewiger Vorhaltungen, das Forum würde sterben (tatsächlich sollte es noch ein paar Jahre dauern, bis im Forum wirklich nichts mehr gepostet wurde), entstand das nicht ganz ernst gemeinte Magazin "Corriere della Toscana: History", das sich mit dem historischen Untergang Palatinas im Zuge der Napoleonischen Kriege befasste. Das Heft kam natürlich nicht über die Nummer 1 heraus, in der nur die Vorgeschichte zum Ende abgefasst wurde.

Schon im Originalforum kreiste damals die Idee, das, sollte Palatina wirklich rigendwann mal ganz am Ende sein, man doch diese letzten Tage nachstellen könnte. Nun: hier haben wir die Möglichkeit dazu!

Damit dieses wichtigste Stück nicht im anderen Forum untergeht, habe ich den Text noch einmal hier reinkopiert. Nicht alle Daten sind 1:1 entnommen, aber bisher ist der Inhalt die Basis für unser neues RPG. Viel Spaß bei der Lektüre!
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Re: Die Inspiration

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Die Neue Heftreihe des Corriere della Toscana HISTORY


Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kündigte der in Palatina lebende, später heilig gesprochene Gotthart Krampus das Ende der Republik an, als er die Stadt mehrfach dem Untergang nahe nannte, von nicht mehr vorhandenen Ratten auf dem Schiff sprach, oder den Staatsbesitz einem der Redaktion unbekannten Ir(r)en andrehen wollte. Der erwartete Fall der Serenissima sollte allerdings noch andauern, der Kleriker sich um einige Jahrhunderte verrechnen.

Palatina, in der Renaissance und im frühen Barock die Perle Mittelitaliens und Hort von Kunst und Kultur, sowie berühmt für seine einzigartige politische Verfassung und Stabilität, sollte an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert von den Karten verschwinden. CT HISTORY (ja, wir schreiben uns in groß) wird in seiner neuen Reihe „Der Untergang Palatinas“ in mehreren Heften ausführlich auf die Hintergründe dieses Kapitels eingehen. Wissenschaftlicher Berater des Corriere wird dabei Prof. Dr. Capuletti sein, Palatinologe und Wiederentdecker der Mappa Republicana, sowie weitere bedeutende Experten auf diesem Gebiet.

Der Corriere della Toscana HISTORY wird dabei noch nie zuvor verwendete Quellen und Aufzeichnungen verwenden, darunter die berühmten Rathsprotocolereyn, welche sämtliche Akten der Gremien Palatinas umfassen. Erleben Sie hautnah die Geschichte Palatinas in ihren letzten Zügen, die Intrigen im Hintergrund, den Kampf ums Überleben und den qualvollen Niedergang der einst stolzen Serenissima von Seekühen und Hermelinen.

Ab dem 22. September an Ihrem Kiosk:

Heft I – Die Ruhe vor dem Sturm. Palatina am Vorabend der Revolution.

Corriere della Toscana HISTORY. Wir schreiben Geschichte groß.



Corriere della Toscana HISTORY ist eine Tochtergesellschaft der Corriere della Toscana Holding. Herausgeber: Armido dell’Ulivo. Sitz in Siena, Via Benaco 63, Italien.
Preis pro Heft: 8 €-. Nein, das ist nicht zu teuer, Spektrum der Wissenschaft kostet 7,90 € und GeoEpoche sogar 8,50 €. Also beschwert euch nicht, verdammt.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Re: Die Inspiration

Beitrag von Die Signoria »

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Heft 1, vom 22. September 2012
Die Ruhe vor dem Sturm. Palatina am Vorabend der Revolution.

Ein kurzer historischer Abriss bis zum Ende des Spanischen Erbfolgekriegs

Palatina – damit assoziieren wir heute selbstverständlich die legendäre Stadt der Renaissance, die von Kunst, Kultur, Reichtum und absonderlichen kulinarischen Spezialitäten gekennzeichnet war, und ihre Blütezeit im 15. und 16. Jahrhundert. Noch in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts, als andernorts der Mantuanische Erbfolgekrieg oder der 30jährige Krieg tobten, war die Stadtrepublik ein begehrenswertes Exil für Freigeister, Künstler und ein Relikt jener glorreichen Zeit Italiens, die andernorts verblasst war. In den Zeiten der Reformation und Gegenreformation nahm Palatina sogar Verfolgte aus dem Kirchenstaat auf, da die ansässige Dominikanische Inquisition darauf bedacht war, lieber Showeinlagen mit ihren Gefangenen einzulegen, als diese zu verbrennen. Besonders gute Tänzer wurden sogar vorzeitig entlassen.

Eine veränderte Republik
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Eine Originalstandartenfahne Palatinas
aus dem 18. Jahrhundert
Doch das Palatina des 18. Jahrhunderts war nicht mehr das Palatina des 16. Jahrhunderts. Damals noch fähig, die Kaiserlichen oder Frankreich zu besiegen, und mit einer kleinen, aber effizienten Armee und Marine ausgestattet, hatte Palatina seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts beständig an Bedeutung verloren. Der Handel wechselte mit den veränderten Routen vom Mittelmeer in den Atlantik, und palatinische Händler waren direkt davon betroffen. Waren diese vorher in die Levante gesegelt, um dort ihre Geschäfte abzuwickeln, wurde Palatina nun selbst vermehrt ein Anlaufhafen holländischer und englischer Händler. Die Palatiner wagten sich kaum noch über Sizilien hinaus, die Handelsflotte – und damit auch Kriegsmarine, die zu deren Schutz bestand – verloren an Bedeutung. Um 1700 war die Armada auf ein Dutzend Schiffe zusammengeschrumpft, welche in erster Linie als Patrouillenschiffe vor den Küsten dienten. Der Verlust der Handelsmacht hatte Einsparungen mit sich gebracht.

Die einstmalige Handelsrepublik hatte damit ihren Charakter in gewisser Weise verloren, stattdessen konzentrierte man sich auf gewerbliche Produkte und die Landwirtschaft. Die palatinische Nobilität und das Patriziat machte größere Ländereien im Süden und Norden urbar, durch Rodungen, Kanalbau und die Entwässerung von Sümpfen. Die Capuletti hatten diesen Trend bereits im 16. Jahrhundert vorgemacht, in den nächsten beiden Jahrhunderten zogen immer mehr namhafte Sippen aufs Land, um ihre Handelsverluste durch große Landgüter wettzumachen. Ähnlich hielten es die Kaufleute. Doch blieben auch große Teile der Oberschicht zurück, oder gingen gar zugrunde. Der Große Rat war um 1650 bereits merklich zusammengeschrumpft. Die Entwurzelung der Oberschicht aus der Hauptstadt führte bald dazu, dass sich diese kaum noch um die Politik kümmerten, und sich ganz auf das Landleben konzentrierten.

Die Mittelschicht war von den neuen ökonomischen Entwicklungen am wenigsten betroffen, doch war der Zuzug vom Land abgeebbt. Hatte Palatina früher besonders von dieser Immigration gelebt, verharrte die Einwohnerzahl der Hauptstadt auf einer Höhe von etwa 70.000 Einwohnern. Die Stadt hatte auch keine Attraktivität mehr für Einwanderer aus umliegenden Ländern aufzuweisen, da die Stagnation wenig anziehend wirkte. Aufgrund der allgemeinen Ernährungsengpässe innerhalb Europas zu dieser Zeit lebten die Bauern wiederum so gut, dass sie keinerlei Anlass sahen, vom Land in die Stadt zu ziehen.

Politische Entwicklungen
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Columbano d'Alano, 25. Doge von Palatina.
Experten behaupten, er sei so erfolgreich gewesen,
da er keine Perücken trug und sich nicht puderte.
Auf der politischen Ebene hatte es nur wenige Reformen gegeben. Dennoch gab es gewohnheitsrechtliche Änderungen. Ab dem 17. Jahrhundert hatte es das Patriziat geschafft, die Nobilität zu spalten, indem es dazu überging, nur noch Personen aus jenen noblen Familien zu wählen, die nicht den Zwölf Familien angehörten. Damit zog das Patriziat paradoxerweise den Landadel auf seine Seite, um den Stadtadel in der Politik zu schwächen. Andererseits gaben die Zwölf Familien und ihre Verbündeten es niemals auf, ihre alte Position zurückzugewinnen. Jahrzehntelange Blockaden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts führten dazu, dass die Republik in vielen Entwicklungen zurückfiel. Waren die Dogen einst auf de facto (wenn auch nicht de jure) gewählte Herrscher auf Zeit, wurden einige bereits nach wenigen Monaten gestürzt oder abgewählt. Eine starke Persönlichkeit im Dogenamt hätte diesen Entwicklungen schnell entgegenarbeiten können, doch wählten die Ratsherren nur noch schwächliche Führer, um selbst die Fäden in den Händen zu halten. Die dunkelste Stunde markierte die Ermordung des Dogen Ermoaldo Foscari 1693, nach nur 13 Tagen im Amt. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt, doch haben neueste Untersuchungen ergeben, dass die Familie Buonavista bei diesem Attentat eine führende Rolle innehatte, um darauf wieder einen Dogen aus der eigenen Familie an die Macht zu bringen.

Im Gegensatz dazu wurde jedoch ein Doge aus dem Hause d’Alano* gewählt, Columbano d’Alano. Er sorgte für die letzte Umgestaltung der politischen Gremien Palatinas, indem er die Mitglieder des Großen Rates und des Kleinen Rates endgültig voneinander trennte. Patrizier waren nun nur noch im Großen Rat, Nobili nur noch im Kleinen Rat vertreten. Dies war insbesondere deswegen möglich, da der größte Teil der alten Oberschicht sowieso nun auf dem Land lebte. Außerdem wurde die Anzahl auf Senatsmitglieder auf 100, die des Großen Rates auf 300 begrenzt. Die bedeutendste Änderung war jedoch, dass die Nobili und Patrizier nicht mehr zwangsweise selbst zugegen waren, sondern vielmehr einen Vertreter in den jeweiligen Rat entsandten. Der Große Rat hieß seitdem auch vorwiegend Parlamento, der Kleine Rat wurde nur noch Senato genannt. Die Erste Kammer fungierte als Parlament ganz Palatinas, die Zweite Kammer als Vertretung der Provinzen.

Unter dem Dogen d’Alano nahm Palatina außerdem am letzten großen Konflikt seiner Geschichte teil. Seit dem 16. Jahrhundert war die Republik mit Spanien verbündet gewesen, und sah sich in einer Zwangslage, als 1701 der letzte Habsburger auf dem spanischen Thron verstarb. Die Französischen Bourbonen, die ihren Prätendenten Philipp dort installieren konnten, erhoben ebenso Anspruch auf das Spanische Weltreich wie die verbliebenen Habsburger in Österreich. Im Parlamento bildeten sich zwei Fraktionen; die eine, die weiterhin am Bündnis zu Spanien festhielt, trotz des Wechsels der dortigen Dynastie und einer Allianz mit Frankreich; die andere, welche das Bündnis mit dem Kaiser und den Habsburgern als favorisierte Dynastie nicht brechen wollten.
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Völlig verklärende Interpretation der Schlacht von Ocascura.
Im Vordergrund die unzähligen, bezwungenen Österreicher.
D’Alano entschied sich nach einer hitzigen Debatte für Spanien und Frankreich. Der Grund dafür lag in der geografischen Nähe des spanisch kontrollierten Stato die Presidi in der südlichen Toskana, und der damit verbundenen Angst vor einem Übergriff der Bourbonen auf Palatina bei einer Kriegserklärung. Andererseits ruinierten die Palatiner damit ihre Geschäfte in Übersee, standen doch Niederländer und Briten auf der anderen Seite. Dass sich der Doge dennoch richtig entschieden hatte, zeigte sich an den kaum stattfindenden Kampfhandlungen, da die Kriegsschauplätze in Italien auf die Lombardei konzentriert waren. Die Schlacht von Ocascura (1710) war dann auch mehr ein heroisches Gefecht zweier einheimischer Holzfäller gegen einen österreichischen Infanteristen, der sich nur verirrt hatte. Dennoch wurde die Prügelei als große patriotische Leistung palatinischen Geistes verkauft, und zwanzig Jahre später sogar ein Denkmal aufgestellt – ein Marmorbildnis, welches ein aggressives Hermelin zeigte, das einen österreichischen Adler zerfledderte. Andererseits stellte Palatina kleinere Truppenkontingente von wenigen hunderten Mann, welche allerdings kaum Verwendung fanden – der Landweg war durch die Österreicher versperrt worden, weshalb die Truppen der Legione unverrichteter Dinge auf halbem Weg wieder zurückkehrten.

Obwohl die Ergebnisse des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1713/1714) für Palatina mager ausfielen, erhielt Columbano d’Alano den Beinamen „Il Grande“ (der Große). Tatsächlich war er nach langer Zeit wieder ein Mann der Tat gewesen und hatte die Stabilität durch politische Reformen aufs Neue für Palatina gesichert, allerdings bemängelten spätere Zeitgenossen in den Jahren des Niedergangs, dass er den Namen vor allem deshalb erhalten hatte, weil er der letzte nennenswerte Doge von Bedeutung gewesen war. Mit seinen 21 Jahren Regierungszeit hatte er zudem nach mehrjährigen Unruhen die alte Würde des Dogenamtes hergestellt. Das Reiterstandbild des Dogen kann heute noch im Park „La Lizza“ in Siena besichtigt werden. Dorthin wurde das Denkmal am Ende des 19. Jahrhunderts versetzt, annähernd 150 Jahre nach dem Tode des letzten großen Herrschers Palatinas.


Lesen Sie auf den nachfolgenden Seiten:

Niedergang und Dekadenz: 150 Feiertage, 6 Casinos und 4 Palii im Jahr. Wie viel 18. Jahrhundert verträgt eine Stadt? – S. 10

Wien und Palatina: Zwischen Missgunst und Bewunderung. Wie aus dem Hermelinstrudel ein Apfelstrudel wurde – S. 23

Der mysteriöse Tod des Ermolao F. Ein Thriller im 17. Jahrhundert – S. 31

Palatina, ein barockes Märchen, oder: Es müssen nicht immer nur Perücken sein – S. 40

Niedergang einer Musterrepublik. Palatina vor der Revolution – S. 57

Die Jugend des Michele di San Trovaso. Ein anderer Blick auf den letzten Dogen von Palatina – S. 70

Fridolin, das letzte Hermelin. Vom letzten Hermelinpelz Palatinas 1735 – und wie hängen Hermelinbestand und Untergang der Serenissima zusammen? – S. 82


_________________
*Es handelt sich dabei um die italienisierte Form des Familiennamens McAllen, einer ursprünglich schottischen Familie, die sich im 16. Jahrhundert in Palatina niedergelassen und Aufnahme in die palatinische Oberschicht gefunden hatte.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Re: Die Inspiration

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Niedergang und Dekadenz: 150 Feiertage, 6 Casinos und 4 Palii im Jahr.

Wie viel 18. Jahrhundert verträgt eine Stadt?
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Goethes Italienreise
„Mein Geist dringt mit allen Gliedern daran nach Rom, und es brauchte die Überredungskunst um mich davon zu überzeugen, von Città Castellana einen Tag nach Westen aufzubrechen. Doch nun, wo ich die Gärten des Buonavista durchstreife, und das Spiel der Boote auf dem Wasser sehe, bereue ich den Aufschub in die Ewige Stadt nicht; Palatyna wird seinem Ruf gerecht, viele Annehmlichkeiten der Städte Italiens zu vereinen. Die Kunst des Palladio, die ich in Vicenza und Venedig bewundern durfte, erkenne ich wieder, und ebenfalls den alten Marmor der Arena von Verona. Im alten Kern, der auf einer Insel inmitten des Flusses liegt, konnte ich die prächtigen Bauten erkennen, die mich an Perugia erinnerten – es ist hier alles eine ganz vertraute, und doch gleichzeitig sehr eigene Szenerie.
Wir waren heute bei den Langenbergs eingeladen, welche der deutschen Sprache nicht verlustig gegangen sind, und übernachteten dort für zwei Nächte. Du weißt, dass man mir in Venedig den Vorwurf machte, abends nicht den Spaziergang zu suchen, doch unternahm ich in der milden Herbstluft eine Reise in diese vergnügungssüchtige Stadt. Palatyna war einst ein Wallfahrtsort von Künstlern und Gelehrten, doch heute sind es vor allem diejenigen, die Zerstreuung und Muße suchen. Jeden Wochentag kann man ein anderes Casino aufsuchen, ausgenommen am Sonntag. Die Kirche hat noch vor wenigen Jahren den Bau eines siebten Spielhauses verhindern können. Von überall kommen junge und reiche Menschen herbei, um hier ihr Geld zu verprassen, und auch die ansässigen Adelsmänner sind verschuldet und verspielten Haus und Hof. Der Doge ist ein alter, kranker Mann, der trotzdem unter ihnen bei jedem Spiel, an jedem Abend weilt, und wie wahr ist doch das Wort der Einwohner, dass er damit der Stadt gleicht: völlig überwälzt von Prunk und Pracht, droht er unter der eigenen Last zu ersticken, ist er doch sehr gebrechlich und hat bess’re Zeiten hinter sich.“


Johann Wolfgang von Goethe bereiste auf seiner Italienreise, deren Ziel vorwiegend Rom und Süditalien waren, im Oktober 1786 auch Palatina. Seine Beschreibungen treffen ziemlich genau auf das damalige Bild der Republik in Europa zu. Die Serenissima war eine Anlaufstelle vieler Gelehrter, die Italien auf ihren Bildungsreise durchquerten, um die alte Kunst der Antike und der Renaissance zu studieren. Aber auch junge Adlige, die auf ihrer „Grand tour d’Europe“ waren, besuchten die Stadt am Rio in großer Zahl. Die „Grand tour“ hatte dabei touristische Elemente, die den heutigen Reisen nicht unähnlich waren, dienten aber auch der Bildung und nicht zuletzt der Befriedigung der Vergnügungssucht verwöhnter europäischer Söhne und Töchter des Adels. Die Prinzen von Sachsen und Bayern waren berühmt führ ihre mehrtätigen Feste, bei denen mehrere Speisesäle gefüllt wurden, und man Geschirr aus Otternasen anfertigte, zusammen mit Besteck aus Perlen und Gold. Palatina versuchte durch diese touristische Attraktivität auch diplomatische Kontakte zu knüpfen.
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"Mozart spuilt om Klafier",
das Wunderkind mit 10 Jahren
Unter den Künstlern und Gelehrten war wohl der junge Wolfgang Amadeus Mozart der berühmteste. Er hielt gleich mehrere Klavierkonzerte im Ermelino ab, und weilte drei Wochen in Palatina, wurde aber von seinem Vater Leopold zur Abreise gedrängt. Letzterer beäugte das freizügige, lasterhafte Leben argwöhnisch, und befürchtete, dass sein Sohn davon negativ beeinflusst werden konnte. Die Familie Mozart verließ daher die Stadt – gegen den Willen des jungen Musikers – frühzeitig. Das Auftragswerk des Parlamento, endlich eine feste Hymne für Palatina zu entwerfen, wurde damals abermalig ruiniert.

Unrecht hatte Leopold Mozart sicherlich nicht. Die Zahl der Prostituierten hatte durch den Strom von fremden Gästen deutlich zugenommen. Die ansässigen Casinos hatten diese Zusatzdienste im Laufe des Jahrhunderts ausgebaut, nur das Ermelino, das älteste bestehende Etablissement, wehrte sich dagegen. Den Anfang dieser Entwicklung hatte das „Risotto“ – das zweite Casino in Palatinas Geschichte – Ende des 16. Jahrhunderts vorgemacht, gefolgt vom „San Felice“, „Oceano“ und „Fortuna“. Das sechste Casino, das „Ermelino Nuovo“ war eine Abspaltung des traditionellen Ermelino in einem Neubau in der Città Nuova, um mit der gewachsenen Konkurrenz mitzuhalten.

Wenn Ausländer und Einheimische noch Geld übrig hatten, so warteten die vier – in Schaltjahren sogar fünf – Palii darauf, seine Dukaten beim Pferderennen zu verzocken. Diese Feierlichkeiten dauerten auch nicht wie üblich ein Wochenende, sondern eine ganze Woche, sodass es statistisch im Jahr einen ganzen Palio-Monat gab. Zusammengenommen mit den anderen Festen, neu eingeführten Heiligentagen und Staatsgedenktagen (die Schlacht von Ocascura erfuhr ebenso Aufnahme wie die Ermordung Ermolao Foscaris, an dem das traditionelle Schuppenfischwettessen begangen wurde) kam Palatina im Jahr auf über 150 Feiertage.
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Als die Dogen anfingen, Puder und Perücken
zu tragen, war der Niedergang vorprogrammiert
Aber selbst diese Zahl ist wohl noch zu niedrig angesetzt, da sich die Funktion des Dogen erheblich gewandelt hatte. Hatte man bis ins 17. Jahrhundert hinein eher junge, dynamische Dogen gewählt, damit diese das Land lange und stark regieren konnte, setzte man später eher auf ältere Kandidaten. Im 18. Jahrhundert wurde der Gedanke fortgesetzt, dass es möglichst alte Dogen sein sollten. Hintergrund war, dass der Rat und die Dogenberater so eine größere Macht in der Politik gewinnen konnten, man andererseits hoffte, dass die Dogen recht schnell verstarben. Eine Neuwahl und Neueinführung eines Dogen bedeutete jedoch eine neue Festwoche, mit Zeremonie, Spielen, Gelagen, Feuerwerk und allem möglichen Prunk. Die Dogen wurden immer mehr zum Spielball der übrigen Politik, dafür im Gegenzug immer mehr mit Pracht und Zierrat überschüttet, um sie würdevoller erscheinen zu lassen. Der Herrscher Palatinas wandelte sich zu einem gutmütigen Abnicker der politischen Tagesordnung, und war eher damit beschäftigt, bei Bällen und Festen so ornamentiert und dekorativ wie möglich zu wirken, um die Leute zu beeindrucken, statt wirkliche Politik zu betreiben. Einen Höhepunkt erreichte diese Perversion 1788, als Carlo Aaaaaaaaaaargh zum Dogen gewählt wurde, obwohl bereits 89 Jahre alt, paranoid, und etwa mit der Intelligenz einer getrockneten Wollsocke ausgestattet. Auf die Kritik einiger Ratsherren bezüglich dieser Wahl, antwortete der Vertreter der Wahlgruppe, Antonio Rainucci mit den berühmt gewordenen Worten: „Wollsocke? Gut möglich, aber eigentlich bräuchten wir eine Schaufensterpuppe. Eine gut gekleidete Schaufensterpuppe aus Purpur und Damast!“

Reformorientierte Vertreter des Parlamento nahmen dies zum Anlass, tatsächlich eine mit Hermelinfell und Brokatgewand bekleidete Schaufensterpuppe bei der nachfolgenden Dogenwahl aufzustellen, welche die Wahl tatsächlich mit nur zwei Stimmen verlor. Stattdessen bekleidete Il Capricorno XIV., ein Ratsbock aus der Region Borghetto, für eine Woche das Amt des Dogen, bis dieser aufgrund eines bedauerlichen Unfalls ums Leben kam.
Das arme Tier war unter dem Wust aus Damast, Purpur, Gold und Seide zusammengebrochen und qualvoll erstickt.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Wien und Palatina: Zwischen Missgunst und Bewunderung.

Wie aus dem Hermelinstrudel ein Apfelstrudel wurde.
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Maria Theresia
Es herrscht Hochbetrieb im Café Schwarzenberg am Kärntner Ring, mitten in der Wiener Innenstadt. Seit 1861 werden hier Gäste im historischen Ambiente bedient. Das Kaffeehaus ist nicht aus dem Alltag der Wiener Hauptstadt wegzudenken – und wie in so vielen wird Apfelstrudel angeboten. „Ein Café in Wien ohne Apfelstrudel? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen“, antwortet Maria Hofstädter auf unsere Frage. Die Dame fertigt die Traditionsspeise an. Dass Wien als einstiges Zentrum der Habsburgermonarchie, die im 19. Jahrhundert weite Teile des Balkans und Norditaliens beherrschte, auch die kulinarischen Errungenschaften der dort lebenden Völker übernahm, war selbstverständlich. Dass die Mailänder Costoletta als Vorbild des Wiener Schnitzels gilt, davon weiß Frau Hofstädter ebenso gut wie vom Ursprung des Palatschinkens aus dem Böhmischen Raum. „Der Apfelstrudel? Aus Ungarn natürlich. Gestampfter Apfel im Teig diente den Ungarn als Marschverpflegung.“

Diese Meinung gilt bis heute als Standartantwort. Doch haben neuere Untersuchungen ergeben, dass dieser Mythos einsturzgefährdet sein könnte. Der berühmte Palatinologe Giovanni Capuletti hatte mit seinem Beitrag zum jährlichen Treffen der Feinschmecker, Resteverwerter, und der Freunde der gepflegten Tortenschlacht für einen Aufruhr gesorgt. Demnach sei der Hermelinstrudel von Palatina nach Österreich gelangt, und dort in der Ermangelung von Hermelinen zum Apfelstrudel geworden.
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Ambrogio di Borghetto
Palatina hatte nach dem Spanischen Erbfolgekrieg mehrfach die Allianzen gewechselt, sich aber ab den 40er Jahren an Österreich angelehnt. Mit dem Aussterben der Medici waren die Habsburger auch auf den Thron des Großherzogtums Toskana gelangt, des alten Rivalen Palatinas. Die Habsburger hatten jedoch an keiner Expansion nach Süden Interesse, sondern hofften eher ihre Gebiete in Norditalien zu verbinden. Die Spannungen nahmen mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erheblich ab, und ein Modus Vivendi stellte sich ein, in dem ein erheblicher Kulturtransfer zwischen dem Habsburgerreich Maria Theresias und der Republik Palatina stattfand, insbesondere unter dem Dogen Ambrogio di Borghetto. „In diesem Kulturtransfer von Kunst und Kultur – in Form von Büchern, Musik, Bildhauerei, Malerei, aber auch von kulinarischen Delikatessen – gelangte auch das Rezept des Hermelinstrudels nach Wien“, schlussfolgert der Palatinologe. „In Palatina selbst gab es seit 1735 kaum noch Hermelinstrudel, und wenn, dann nur als erlesene Delikatesse, da man Hermeline importieren musste. Da gewöhnliche Hermeline allerdings nicht den Geschmack des Maccaronischen Knusperhermelins entfalten, wurden alsbald gar keine Hermeline zubereitet und auch der Hermelinstrudel überlebte nur noch als altes Rezept in Kochbüchern. In Wien erkannte man jedoch die Möglichkeiten und stellte auf der Basis des Hermelinstrudelrezeptes einen Strudel mit Apfelfüllung her.“

Die Thesen Capulettis, welche dieser anhand von Kochbücheraustauschen um 1760 nachweisen konnte, sind allerdings immer noch umstritten. Es bleibt abzuwarten, welche neuen Erkenntnisse die Wissenschaft bereithält. Dr. Capuletti konnte allerdings zu einem kurzen Interview für CT HISTORY gewonnen werden.

Signore Capuletti, schön, Sie wieder nach so langer Zeit bei uns zu haben. Was sagen Sie allen Kritikern da draußen, die Zweifel an Ihrer Hermelinstrudelkulturtransferthese haben?

Als seriöser und anerkannter Wissenschaftler verbitte ich mir jedwede Unterstellungen der Geschichtsklitterung, um meine Heimat besser darzustellen. Ich habe meinen Beitrag bereits verschriftlicht, und jeder kann ihn auf der Webseite unserer Fakultät nachlesen. Sogar mit Fußnoten und Quellenbelegen, wie es sich gehört!

Sagen Sie, was haben sie in den letzten drei Jahren gemacht, nachdem Ihnen der große Coup bezüglich der Mappa Republicana gelungen war?

Nun, ich habe meinen ganzen Eifer in dieses neue Projekt gelegt.

Projekt?

Der Hermelinstrudel!

War das nicht… Zeitverschwendung?

Na hören Sie mal! Wer ist hier der Archäologe, Sie oder ich? Ich werde ja noch wohl am besten wissen, was gut für die Zunft ist.

Signore Capuletti, wir danken für das Gespräch.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Re: Die Inspiration

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Der mysteriöse Tod des Ermolao F.

Ein Thriller im 17. Jahrhundert

Es ist ein ruhiger Tag im Oktober. Die Wasser des Rio schwappen gemächlich gegen die Uferallee der Altstadt Palatinas. Das Wetter ist angenehm, der Himmel blau. Nicht vieles unterscheidet diesen 11. Oktober von anderen Tagen des Jahres. Viele denken bereits an das Weinfest und den kommenden Palio. Der einzige nennenswerte Vorgang des Tages sollten die Exerzitien der Stadtwache Palatinas sein, denen der Doge Ermolao Foscari beiwohnte. Der Spross aus einer einstigen Patrizierfamilie wollte umfassende Reformen auch auf dem Sektor der Sicherheit durchführen, und daher die berüchtigte Stadtwache genau inspizieren. Insbesondere die Ausstattung mit Schusswaffen war unzureichend.

Der holländische Maler Weinbrand, der damals in Palatina ansässig war, verewigte den Moment, der ganz Palatina schockieren sollte. Noch gehen der Kommandant und der Doge vor dem Hauptquartier der Wache einher, um sich über die Reformen zu unterhalten, da geschieht es: ein Knall von einer Muskete der Wächter trifft den Dogen am Kopf, tötet ihn sofort. Panik bricht unter den Zuschauern aus. Schnell wird die Idee verworfen, dass nur die miserablen Zielübungen der Wache verantwortlich sind. Das war kein Unfall, hier handelte es sich um einen gezielten Mord.
Ermolao Foscari, der umstrittenste Doge in der Geschichte Palatinas, findet auf dem blutgetränkten Ratsplatz der Città Antica den Tod im eigenen Lebenssaft. Er hatte gerade einmal dreizehn Tage regiert.

Ein Fall, der bis heute Rätsel aufgibt.
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Der Moment kurz vor dem Attentat auf den Dogen, hier im Zentrum des Bildes. Der Weinbrand hängt heute in einer Privatsammlung.
Das Opfer

Ermolao entstammte einer Sippe, die ursprünglich aus Venedig stammte, und am Beginn des 16. Jahrhunderts nach Palatina zog. Der Begründer dieser Linie war der Botschafter Achille Foscari, dessen männliche Nachkommen jedoch bis auf den Sohn Cesare allesamt verstarben. Letzterer errang eine wichtige Position im wirtschaftlichen Geflecht der Republik und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der palatinischen Foscari. Mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts hatten die Foscari ihr Botschafteramt niedergelegt und waren vom Patriziat in die Nobilität aufgestiegen: demonstrativ färbten sie dabei das weiße Feld ihres Wappens schwarz und fügten dort ein Hermelin ein. 1659 stellte Augusto Foscari den ersten Dogenberater der Familie, eine Zäsur für die Familie, die ab diesem Zeitpunkt die interne Politik entscheidend mitgestaltete. Die Foscari hatten sich anfangs aus den internen Querelen zwischen den Zwölf Familien und der restlichen Nobilität herausgehalten, da man gute Beziehungen zu den Braccioleone, Capuletti und dell’Ulivo unterhielt, und diese nicht aufs Spiel setzen wollte. Erst Augustos Nachfolger Ermolao forcierte eine aggressivere Politik, und war ein aktives Mitglied der Vereinigung gegen die alten Familien, denen sich alsbald auch Gabriele di San Trovaso und der spätere Doge Columbano d’Alano anschlossen – um nur die wichtigsten Vertreter zu nennen. Ermolao hatte dabei nicht zielstrebig auf das Dogenamt hingearbeitet, sondern vielmehr versucht, die verkrusteten, archaischen Strukturen innerhalb des politischen Systems zu reformieren. Das Programm des Dogen sah weit reichende politische, militärische und gesellschaftliche Änderungen vor.

Das Motiv
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Wappen der Foscari ab ca. 1600
Grundsätzlich sollten in Palatina zwei Kammern als Vertretung der Machthaber bestehen bleiben. Im Senat sollten nur noch Nobili vertreten sein, im Großen Rat Patrizier – wobei die Einkommensgrenze erheblich gesenkt werden sollte. Nach Foscaris Plänen sollte auch die vermögende Mittelschicht, wie normale Kaufleute, Handwerksmeister und Juristen Eingang in den Großen Rat finden. Da dies allerdings die Dimensionen des größten Gremiums Palatinas beschränkt hätte, wollte Ermolao den Großen Rat zu einer Kammer von gewählten Vertretern machen. Wählen aber sollte jeder Mann mit Bürgerrecht dürfen. Im Gegenzug wäre der einmalige Erwerb des Bürgerrechtes zugunsten einer monatlich anfallenden Bürgersteuer weggefallen. Damit machte sich Foscari Freunde wie Feinde, da einige Bürger eine mögliche größere Mitbestimmung begrüßten, andere keine Zusatzsteuer zahlen wollten, was wiederum den Verlust des Bürgerrechtes mit sich gebracht hätte. Auch die Patrizier ware nicht alle glücklich, sich nun ein Gremium mit den Cittadini zu teilen – der Stand des Patriziers war damit de facto abgeschafft. Und zuletzt hätten die Nobili einzig den Senat als Rückzugsort ihres politischen Einflusses gefunden. Foscari wollte zwar durchsetzen, dass Dogen weiterhin nur dem Senat, Dogenberater aus der einstigen Patrizierschicht gewählt werden dürften, doch viele empfanden das nur als Tropfen auf dem heißen Stein.

Die neue Bürgersteuer hätte ein starkes Ansteigen der Einnahmen der Republik bedeutet, die seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts auf diesem Sektor erhebliche Einbußen hatte hinnehmen müssen, da die Handelsbilanz an Bedeutung verloren hatte. Foscaris Planungen bestanden darin, die Armada wieder auszubauen, um in Übersee Kolonien zu sichern, und die Routen für eigene Handelsschiffe zu sichern. Andererseits sollte die Armee modernisiert werden, und die Stadtwache dieser untergeordnet werden. Palatina sollte wieder wie in den Zeiten Tiberio Braccioleones in der europäischen Politik mitmischen, und damit die Unterstützung anderer Großmächte erhalten. Auch hier machte sich der ambitionierte Mann einige Feinde.

Foscari nutzte für sein Projekt den Begriff der „Niederlandisierung palatinischer Politik“, um anzudeuten, dass auch ein kleines Land mit ausreichenden Reformen und guter Infrastruktur nicht zwangsweise in der letzten Liga spielen musste. Da aber niemand willens war, diese Reformen in Gänze durchzusetzen, oder sie überhaupt in Angriff zu nehmen, ließ er sich nach langen Kämpfen und Auseinandersetzungen 1693 zum Dogen nominieren, nachdem man ihm das Amt des Dogenberaters mehrmals verwehrt hatte. Bis dahin war Foscaris Fraktion jedoch nicht ganz unschuldig daran, mehrere Dogen nacheinander gezielt abzusägen.

Die denkbar knappe Wahl war bereits Omen genug, dass die Regierungszeit des ehrgeizigen Nobile unter keinem guten Stern stand. Dennoch ging er bereits vom ersten Tag daran, seine Ziele durchzuführen, indem er noch nach der Wahl einen Bevölkerungszensus samt Steuerschätzung ankündigte, um genaue Daten für die anstehenden Reformen zu sammeln. Am zweiten Tag brach er nach San Pietro auf, um sich dort nach dem Stand der Schiffstechnik zu erkundigen, und verfügte, dass man holländische und englische Experten anwerben solle, um wieder Schiffe der neuesten Art anfertigen zu lassen. Und nochmals zwei Tage später griff der Doge ein, als das Bürgeramt von einem Neuankömmling das Bürgergeld verlangte, und Foscari diesen von der Zahlung mit Edikt befreite. Den Gegnern Foscaris dämmerte, dass letzterer kein Maulheld gewesen war, sondern die – aus ihrer Sicht – tollkühnen Pläne verwirklichen wollten.


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Re: Die Inspiration

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Der mysteriöse Tod des Ermolao F.

Ein Thriller im 17. Jahrhundert

(Fortsetzung)
Die Täter

Bereits am 7. Oktober warnte der Capo des Geheimbundes der Hermeline, Annibale Prestobiscotto, den Dogen in einer chiffrierten Nachricht vor einem Komplott, welches dessen Sturz zum Ziel hatte.

Magnifizösystige Ekzellentzerey,

myre kame zu Ohrygen fonne demme Hermelyne Semmifré, der da isse selbstig ymme Kreyse dero einstig herrschygen Zwölffe Familiae, dasse esse gebe Conspirationis gegene Euro Persohne. Semmifré isset überzeugygt, dasse diese Conspiratio kein Phantome sey, sondern ganz und gar realyge. Er wardigt selbst von einem Cyclus ebenfallyge eingeladgen, siche gegen Euche zu verbündygen und wieder die XIIe Familiae an die Machte zu brüngen – diese da waren Anselm’ Schönblick, Gerhardt Wargass undde Zulian von Veronisch Monterey. Esse isset noche unbekanntygt, wie viel anders Geschlecht dieser Conspiratio gegen Euro Persohne undde der res publicae anheim synd, doch isset diese nur die Nas’ des Hermelyns. In quaestio meines Ambptes alse Haubt desse Bundtes isset meyn dringendstes Anlygen, das Publico zu meidygen, bis die Catalinarier ausgemachte und üpaführet seyen.

Mit allärunterthänixtem Gruße,

Annibale Prestobiscotto

Die angesprochenen Verschwörer waren Anselmo Buonavista, Gerardo Vargazza und Giuliano Monteveronese. Als Initiator hat die Geschichtswissenschaft heute mit Sicherheit Buonavista ausgemacht. Die Rivalität der Buonavista und Foscari lässt sich dabei bis ins 16. Jahrhundert zurückzufolgen und geht auf einen Nachbarschaftsstreit zwischen den Familien zurück. Anselmos Vorfahr hatte einen unsäglich kitschigen Vorgartenzierrat aufgestellt, den er selbst den „sixtinischen Degu“ genannt hatte. Der benachbarte Foscari ließ sich zu jedem möglichen Zeitpunkt über die Geschmacklosigkeit dieser Skulptur aus und betonte, dieses Stück beeinträchtigte den Wert seines angrenzenden Palazzos. Aus dieser alten Nachbarstreitigkeit formte sich in einem Jahrhundert eine blutige Familienfehde. Mit der ambitionierten Politik Ermolaos hatten sich aber die Foscari ihren wichtigsten Beschützer, die Familie Braccioleone – ebenfalls ein Erzrivale der Buonavista – verprellt; diese verhielten sich in diesem Konflikt neutral. Dies gab Anselmo Buonavista freie Hand, eine Koalition aus allen möglichen Mitgliedern der Zwölf Familien zu formen. Eine entfernte Verwandtschaft zum Kommandanten der Stadtwache, Gerolamo Malpazzi, begünstigte die Planung der Mordtat. Versteckt unter der üblichen Wächtergarnison wurde ein Assassine der Meuchelmördergilde geschmuggelt.

Die große Gilde von Palatina war neben den alten Familien die zweite Interessengruppe, welche Foscari als Störfaktor erachtete. Denn traditionell waren es die Zunftmeister, die als Vehikel der Handwerker Palatinas im Rat fungierten. Ihre Macht leitete sich als Vertreter der Cittadini ab. Hätten die Cittadini jedoch das Wahlrecht erlangt, und eigene Vertreter in das neue Parlamento geschickt, so hätte die Gilde ihre einmalige politische Stellung eingebüßt. Daher wurde die Meuchelmörderzunft vom damaligen Gildenmeister Albizzi gezwungen, den Auftrag zu übernehmen.

Als dritte Gruppe, die den Tod des Dogen in Kauf nahm, ist die Stadtwache selbst an dieser Stelle zu erwähnen. Foscari wollte eine schlagfähige, disziplinierte Wache auf dem Niveau der Armee. Einige mutmaßten jedoch, dass die Stadtwache als Verteidigungseinheit der Hauptstadt selbst Teil der Legione werden sollte, oder zumindest dieser untergeordnet. Inwieweit Malpazzi in die Verschwörung eingebunden war, konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Fakt bleibt hingegen, dass führende Offiziere – aber auch einfache Wächter – ihrer Pension entgegensahen, und die neuen Regeln nicht tragen wollten.

Die Auswirkungen

Die Ermordung Ermolao Foscaris war ein Schock für die palatinische Gesellschaft. Attentate auf einen Dogen hatte es des Öfteren gegeben, aber diese waren bis dahin misslungen. Der Grund für den Erfolg hatte darin gelegen, dass es zum ersten Mal in Palatinas Geschichte geschehen war, dass große, einflussreiche, innerpalatinische Interessengruppen sich zusammengefunden und gegen das eigene Staatsoberhaupt gestellt hatten. Nach Jahren wechselnder Doganate verschiedener Amtsinhaber, den politischen Unruhen und der Instabilität des Regierungssystems stellte der Tod Foscaris den Höhepunkt dieser Entwicklungen dar.

Obwohl Foscari am 7. Oktober gewarnt worden war, hatte er keine Maßnahmen ergreifen lassen. Der Doge war an diesem Tag mit den Feierlichkeiten zum jährlichen Gedenken an die siegreiche Schlacht von Lepanto beschäftigt gewesen, und hatte die Nachricht erst am 8. Oktober gelesen. Sein Sekretär notierte die Reaktionen des Staatsoberhauptes.

Seine Exzellenz nahm die Nachricht ohne jedwede Gefühlsregung auf. Nachdem er sie gelesen hatte, legte er sie fort zu anderen Dokumenten, veranlasste mich aber, sie später im Kamin zu verfeuern. Auf meine Nachfrage, was Seine Exzellenz zu tun gedenke, antwortete seine Serenissimität folgendermaßen: „Soll der Kerl endlich mal den verfluchten Degu aus seinem Garten räumen, dann bin ich gerne zu Gesprächen bereit.“
Und später:
Seine Exzellenz hatte sich daraufhin genügend mit den Einleitungen der Steuerschätzungen bemühsalt. Meine Verantwortung für meinen Herrn aber trieb mich zur weiteren Nachfrage:
Primo, ob es nicht sehr gewagt sei, eine Warnung solcherlei Art in den Wind zu schlagen;
Secundo, ob er nicht besser mehr Schutzpersonal verpflichten solle, nur der Sicherheit wegen;
Tertio, ob er noch einen Tee haben wolle.
Alle drei Fragen beantwortete seine Serenissimität nicht, sondern entgegnete stattdessen: „Wer in einer Republik um sein Leben fürchten muss, weil er der Republik dient, lebt in keiner Republik, sondern in der Tyrannei. Ich glaube an die Republik.“

Foscari wurde nach seinem Tod in einer feierlichen Zeremonie im Dom Santa Maria gewürdigt, und anschließend in San Leone begraben. Die Totenrede hielt sein Freund und Vertrauter Columbano d’Alano, welcher diese beiden Sätze als Vermächtnis des Dogen aufnahm, und sich damit als Nachfolger aufbaute. Überraschenderweise ging er danach als Sieger aus der Dogenwahl hervor, obwohl sich eigentlich Gabriele di San Trovaso zuvor als zukünftiger Doge abgezeichnet hatte. D’Alano sollte Foscaris Ideen nur teilweise durchführen, um den allgemeinen Konsens innerhalb der Republik nicht so herauszufordern wie sein Vorgänger. Die alten Familien hatten sich jedoch durch diese Tat derart diskreditiert, dass d’Alano nach Jahrzehnten der Unruhe Palatina wieder stabilisieren konnte.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Palatina, ein barockes Märchen, oder:
Es müssen nicht immer nur Perücken sein


Palatina – wenn man diesen Namen hört denkt man sofort an die Perle der Renaissance in Mittelitalien. Doch viel weniger bekannt ist auch die hoch barocke Seite der ehemaligen Republik am Rio, denn wie Rom und Florenz auch, beherbergte die Stadt auch zahlreiche barocke Bauten, die den damaligen Reichtum der Stadt wiederspiegelten.
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Das Große Feuer von 1654
Heute besitzt die barocke Seite der Stadt aus vielen Gründen keine große Bekanntheit. Einerseits setzte die Barockisierung der Stadt eine ganze Generation später, als in anderen großen Städten Italiens ein, erst um das Jahr 1655 herum. Dies hängt auch mit dem verheerenden Stadtbrand von 1654 zusammen, der am 4.Oktober, noch während des großen Palios, begann und ganze drei Tage wütete. Die Ursachen des Brandes sind bis heute noch nicht ganz geklärt, einige Forscher gehen davon aus, dass einige Feuerwerkskörper in der Neustadt unglücklich in die Getreidesilos flogen, andere behaupten, dass dies ein ursprünglich als Ablenkungsmanöver des Reiters von Sankt Paul war, das jedoch schnell außer Kontrolle geriet.
Was die Ursachen sind, werden wir vielleicht nie mit einhundertprozentiger Genauigkeit sagen können, doch die Folgen sind sehr gut dokumentiert worden. Das Feuer fing tatsächlich in der Neustadt an, breitete sich von Westen nach Süden aus, der Wind trieb das Feuer weiter über die Zinnbrücke nach Sankt Peter, von wo es sich über die für den Palio errichtete Bootbrücke nach Sankt Paul ausbreitete. Die Zahlreichen Absperrungen aus Strohballen entlang der Paliostrecke taten ihr übriges.
Dass sich das Feuer über so unwahrscheinliche Wege ausbreitete und die Bevölkerung quasi machtlos mit einem Flammenmeer wütete, lässt die Geschichte noch tragischer erscheinen.
Als das Feuer wie durch ein Wunder vom einsetzenden Regen gelöscht wurde, lagen nur ein kleiner Teil der Neustadt, die Contrade „zwischen den Flüssen“ in Sankt Paul und die Hälfte Sankt Peters in Schutt und Asche. Schätzungen von heute gehen von 20.000 Menschen aus, die ihr heim verloren – ein schwacher Trost bleiben die relativ geringen Opferzahlen, die zwischen 20 und 130 liegen. *


Die Regierung Palatinas handelte rasch und sorgte zunächst für die Unterkunft der Obdachlosen. Zahlreiche Lager auf öffentlichen Plätzen, sowie die Umwandlung von öffentlichen Einrichtung und Palästen in Obdachlosenlagern konnten die Lage unter Kontrolle halten. Weitere Notverordnungen folgten.
Als nächstes schrieb der Rat einen Architektenwettbewerb für die Umgestaltung und den Wiederaufbau der Stadtteile aus. Aus den zahlreichen Einsendungen wurden schließlich zwei Gewinner auserkoren – der venezianische Architekt Amaretto Pallandino und der Palatiner Giovanni Dinwiddie. Beide wollten zwar das alte Stadtbild zum Großteil beibehalten, jedoch den Barock in die Stadt einziehen lassen, den Palatina so lange erfolgreich „abgewehrt“ hatte. Mit den beiden Architekten sollte Palatina ein neues Gesicht bekommen.
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Der barocke Fischmarkt mit der Basilika Sankt Peter
Beide Architekten stritten die meiste Zeit über. Einige Quellen behaupten sogar, dass die beiden nur stritten und die eigentliche Arbeit von einem uralten Mann namens „Albehrtho derryge ältigerre von derryg Manufackturey“ geleistet wurde. Inwieweit diese Quellen stimmen, können wir leider nicht mit Genauigkeit sagen.

Nach dem Brand sollten vor allem die beiden Kanalviertel schnell wieder aufgebaut werden, denn der größte teil der Bevölkerung lebte dort. Tatsächlich verschwendeten die Architekten wenig Zeit beim Wiederaufbau von Sankt Peter und versuchten die alte Baustruktur wiederherzustellen. (Was damals in etwa hieß, dass sie die billigsten Materialien nahmen und genug sechsstöckige Bruchbuden für etwa 15000 Menschen bauten). Allein der Fischmarkt erhielt ein neues Gesicht. Da die älteste Kirche der Stadt, die Basilika des heiligen Petrus auch niedergebrannt war, errichteten die beiden Architekten eine barocke Kirche mit demselben Namen. Der Fischmarkt mit den berühmten Fischhallen wurde auch mit barockem Aussehen erbaut. So erhielt der zuvor noch dreieckige Platz ein neues, rechteckiges Aussehen. Obwohl sich die Bevölkerung kurze Zeit sträubte, ihren „guten, alten Fischmarkt“ so verunstaltet zu sehen, gelang es Dinwiddie und Pallandino, ein neues Wahrzeichen der Stadt zu schaffen.

Sankt Paul, das andere Kanalviertel, welches im Vergleich zu Sankt Peter kleinere Schäden erlitten hatte, wurde im Zuge der Bauarbeiten mit zwei neuen Kapellen, sowie einem neuen Kasino ausgestattet. Die Entscheidung, ein weiteres Kasino zu erbauen, bekam zwar die Zustimmung des Rates, zog aber den Unmut des Ermelino, des ältesten und renommiertesten Kasinos der Stadt auf sich.
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Das westliche Ende der Via d'Oro mit der Kapelle "San Lorenzo" und der Gedenksäule.
Die Bauarbeiten in der Neustadt begannen sehr viel später als in den beiden anderen betroffenen Viertel. Wurden die ersten Häuser bereits einige Tage nach dem Brand in Sankt Peter fertiggestellt, so begann man erst zwei Monate später mit den Bauarbeiten in der Città Nuova. Doch die lange Wartezeit sollte sich bezahlt machen – der Westteil der Neustadt, der früher nur für den Viehmarkt und die Getreidesilos bekannt war, wurde komplett umgestaltet. So wurde zwar der Viehmarkt verkleinert und weiter nach Süden verlagert und die Getreidesilos an die Stelle des soeben erwähnten Marktes errichtet.
Nach etwa zwei Jahren Bauzeit wurde ein ganzer barocker Straßenzug im Westen errichtet. Banken, neue Geschäfte und Kontore von reichen Händlern zogen in die „Via d'Oro“, eine der ersten, benannten Straßen Palatinas ein.

Die Altstadt blieb zunächst vom Barock verschont. Obwohl Kunsthistoriker behaupten, dass einige Gebäude der Altstadt, so die Villa di Thesing, oder die Stadtarchive bereits starke barocke Ausprägungen zeigten, erhielt sich das Bild der prunkvollen Renaissance bis ins Jahr 1661. In diesem Jahr wurde das erste Kasino der Altstadt errichtet, viele Adelige verspielten sich um haus und Hof. Neue Besitzer ließen die nach ihrer Sicht antiquierten Bauten abreißen und ersetzten sie durch barocke Paläste. Selbst der Dogenpalast, der für viele damalige Künstler als vollkommenster Bau der Renaissance galt, erhielt eine barocke Fassade.

Diese Geschehnisse fanden alle in der Zeit von 1654 bis 1670 statt. In gerade mal 16 Jahren änderte sich das Stadtbild enorm und es sollten weitere Veränderungen folgen.
Auf zahlreichen Gemälden dieser Zeit ist festgehalten, was für ein Bild Palatina geboten haben muss. Die Neustadt mit ihren Mittelalterlichen Geschlechtertürmen, ihren aus der Renaissance stammenden Markthallen und dem Dom, sowie der Goldenen Straße, die im Barock schwamm – ein bunter Haufen an Architektur, der dennoch die Bewunderung vieler Reisender erhielt.

Wie sich die Stadt im weiteren Verlauf der Geschichte änderte, erfahren sie in Ausgabe 2.


________________
*Die ungenaue Zahl resultiert aus mehreren Quellen. So sprechen offizielle Angaben des Ratesvon nur 20 Opfern, während andere Geschichtsschreiber 130 angeben.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Re: Die Inspiration

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Niedergang einer Musterrepublik

Palatina vor der Revolution
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Leone Semifreddo wird von vielen Historikern
als tragische Persönlichkeit bewertet
Zusammen mit der Verfassung der Republik Venedig galt jene der Republik Palatina ihren Zeitgenossen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert als die vorbildlichste. Die Undurchsichtigkeit der Funktion vieler Gremien förderte nur den Durchbruch von begabten Ratsmitgliedern. Die alte Elite der Zwölf Familien, welche seit Jahrhunderten im politischen Geschehen tätig waren, gaben ihre Erfahrungen an ihre Söhne weiter. Das Amt eines starken Oberhauptes, welches von den Vertretern der vier Stadteile reguliert wurde, sorgte dafür, dass Palatina trotz seiner lähmenden Institutionen trotzdem flexibel entscheiden konnte.

Im 18. Jahrhundert dagegen hatte einzig die überbordende Bürokratie überlebt, welche zumindest Teile der einstigen Administration weitertragen konnte. Zweige wichtiger Nobile-Familien waren aufgrund der Verschlechterung der Wirtschaftslage verarmt. Sie hätten als Nachkommen edler Geschlechter Stimmrechte haben können, konnten es sich aber nicht leisten, in die Politik einzusteigen, sondern fristeten oft ein Leben wie das gewöhnliche Volk. Besonders betroffen waren davon die einstigen Kaufmannsfamilien, die sich nicht aufs Land hatten retten können. Die Banca Pecorino hatte nicht mehr den Status wie in Jahrhunderten zuvor, und versorgte nur noch die Hauptlinie. Die Familien, die sich jedoch aufs Land zurückgezogen hatten, nahmen kaum noch am politischen Geschehen in der Hauptstadt teil. Die Zeit der Patrizierdogen (1733-1792) verschärfte diesen Trend, da die Nobili damals in ihren politischen Ambitionen boykottiert wurden.


Leone Semifreddo und die Cospirazione delle Case Nuove

Nach dem Tod Columbano d’Alanos im Spätherbst des Jahres 1714 war sein Nachfolger Leone Semifreddo (1714-1733) an die Macht gekommen. Die Wahl war eine Überraschung, da es seit dem letzten Jahrhundert Tradition geworden war, kein Mitglied der Zwölf Familien mehr in dieses Amt zu wählen. Die Nobili hatten sich jedoch aufgrund des Umstandes, dass sie nun fast alle dem Landadel angehörten, eher die Regionen als die Hauptstadt vertraten, und auch gemeinsame Interessen hatten, wieder angenähert. Die Wahl war von der Nobilität als Zeichen der Versöhnung interpretiert worden. Die Patrizier befürchteten jedoch, dass nun die vereinigte Nobilität wieder die Macht unter sich aufteilen würde.
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Die Verschwörung der Case Nuove
war stadtweit bekannt
Die Regierungszeit Semifreddos wurde von neuen Auseinandersetzungen im Parlamento bestimmt. Die Patrizier forderten, dass als Ausgleich jeweils zwei Dogenberater dem Parlamento entstammen sollten, um dessen Gewicht in der Exekutive zu wahren. Stattdessen wurde aber nur ein Patrizier Dogenberater, von den übrigen dreien stammte einer aus der Familie der Malpazzi, die anderen beiden aus der übrigen Nobilität. Korruption und Absprachen sollten dabei keine unbedeutende Rolle gespielt haben.
Als Reaktion darauf gründete sich die „Cospirazione delle Case Nuove“ (Vereinigung bzw. Verschwörung der Neuen Häuser). Diese erklärte es zum Ziel, die gesamte Nobilität von allen hochrangigen Ämtern auszuschließen, sobald dazu die Möglichkeit gegeben wurde. Die Idee dahinter war, dass man durch eine Blockadepolitik und gezielte Kampagne aller Patrizier gegen den Dogen und die Dogenberater diese zum Rücktritt zwingen wollte. Da bei einer Dogenwahl Parlamento und Senato zusammentraten und einen Dogen wählten, hätten die Patrizier – so denn sie zusammenhielten – eine Dreiviertelmehrheit, und könnten ihre Interessen durchsetzen.

Doch die Hoffnungen der Patrizier erfüllten sich nicht so schnell wie erhofft. Semifreddo und seine Berater dachten gar nicht daran, den Forderungen nachzugeben, und versuchten gegen das Parlamento durchzuregieren. Mehrmals krachten die Interessen der verfeindeten Fraktionen aufeinander. So in der Frage der Autonomie der Regionen, welche die Nobili ausbauen, die Patrizier zugunsten einer straffen Zentralregierung ausbauen wollten. Bei den Patriziern existierten Gruppierungen, die das Wahlrecht von Deputierten auf die Cittadini ausweiten wollten, was auf erheblichen Widerstand der Nobili stieß. Eine Debatte, die eine Münzabwertung zum Thema hatte – der Staat erhoffte sich daraus, Edelmetall und damit Kosten zu sparen – eskalierte in einer Prügelei, da die Patrizier eine Abwertung der palatinischen Währung befürchtete. Dukaten und Lira hatten bereits seit Ende des 17. Jahrhunderts beständig an Wert verloren.

Semifreddos Regierungszeit wird daher von vielen als „verlorenes Doganat“ bezeichnet, da dringende Reformen, die bereits von seinem Vorgänger d’Alano angestoßen wurden, auf der Strecke blieben. Es brauchte 19 Jahre, bis Semifreddo kapitulierte, und von selbst zurücktrat. Er gehörte damit zu den wenigen Dogen Palatinas, die abdankten. Seine Rücktrittsrede geriet jedoch zu einem Skandal, als er diese mit den Worten schloss:
„Ein Semifreddos stand am Anfang dieser Republik, um sie der Tyrannei zu entreißen und ins Licht zu führen; ein Semifreddo steht nun am Ende dieser Republik, um sie Hyänen und Geiern zu überlassen, und sie in Finsternis zu werfen! Macht doch Euren Scheißdreck allein! Um es mit den Worten des Heiligen Gotthart zu sagen: IHR…!“
Kurz nach der Rede, dem anschließenden Gemenge im Rat und der Neuwahl eines Dogen, wurden die letzten Worte der Abtrittserklärung von den Archivaren Palatinas gelöscht. Der Oberarchivar der damaligen Zeit betonte, dass die verwendeten Ausdrücke nicht für die Nachwelt bestimmt seien und einen verderblichen Einfluss auf die Jugend haben konnten.

Die Cospirazione war damit jedoch an ihrem Ziel angelangt. Es begann die Zeit der Patrizierdogen, welche von den palatinischen Historikern – welche dem Lager der Nobili angehörten – auch als 3. Republik, oder verächtlich „3. Republikchen“ genannt wurde.
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Re: Die Inspiration

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Niedergang einer Musterrepublik

Palatina vor der Revolution

(Fortsetzung)
Die Ära der Patrizierdogen (1733-1792)
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Ferdinando Leocorno, erster Doge
der dritten Republik
Merkmal der 3. Republik waren alte, machtschwache Männer an der Spitze des Staates. Das Parlamento versuchte, durch diesen Schachzug keine eigene Politik der Dogen zu ermöglichen, und damit die Position des Parlamento selbst anzuheben. Die Kompetenzen der Dogenberater wurden verstärkt, und der Herrscher mehr und mehr zur reinen Repräsentationsfigur degradiert. Die Dogen Palatinas führten damit ein Dasein wie es jene von Venedig schon seit Jahrhunderten taten. Im Gegensatz zu Venedig, wo sich jedoch die verschiedenen Gremien noch die Waage hielten, wollte das Parlamento zudem den Senato entmachten, um die Nobilität völlig auszuschalten und nur noch die Kammer der Patrizier zum herrschenden Machtinstrument zu machen. Dieser Versuch schweißte die Nobilität jedoch nur noch fester zusammen, sich gegen jedwede Vorstöße der Patrizier zu stemmen. Der Senat machte sich zum Sprachrohr der Provinzen Palatinas, zu denen Porto Vecchios und Borghettos, um neue Legitimation zu finden. Alsbald sahen die Patrizier ein, dass sie ein Zerbrechen der Republik in Kauf nehmen mussten, wenn sie weiter gegen die Nobili angingen.

Dies änderte jedoch nichts daran, dass in dieser Zeitspanne das Parlamento zum ersten Mal der bestimmende Souverän der Republik geworden war. Doch kaum war dieser Punkt erreicht, da zerbrach die Allianz innerhalb des Patriziats wieder. Fraktionen bildeten sich aus, welche die Richtung der Politik vorgaben. Diese Fraktionen waren heutigen Parteien nicht unähnlich, da sie auch bei Wahlen ihren Namen auf die Stimmzettel schreiben ließen. Dabei gab es drei Hauptfraktionen:

Die Mercanti („Händler“): Hier handelte es sich vor allem um die Kaufleute und Bankiers, welche ihre Interessen vertraten, wie Freihandel, liberale Wirtschaftsgesetze und größere Freiheiten. Sie galten als relativ moderat und kompromissbereit, solange es ihren Geschäften zugute kam. Außenpolitisch forcierten sie eine Annäherung an Großbritannien, und forderten teilweise auch Übernahme der dortigen Gesetze und Verfassung. Die Mercanti waren strenge Gegner eines starken Staatsoberhauptes und sahen den Englischen Parlamentarismus als Vorbild.

Die Artigiani („Handwerker“): Die Meister und andere Mittelständler, die nicht durch Handel ihr Geld verdienten, gruppierten sich in dieser Fraktion. Sie standen den Ideen von Freihandel und Laissez-faire Wirtschaft skeptisch gegenüber, da sie eine Zerstörung der heimischen Wirtschaft befürchteten. Ihre Wirtschaftspolitik war eher auf Autarkie und Merkantilismus bedacht. Palatina sollte sich allein versorgen können und überleben. Auch die englischen Reformen betrachteten sie eher skeptisch, und waren noch am ehesten geneigt, einen starken Dogen zu forcieren. Außenpolitisch traten sie für ein Bündnis mit Österreich ein. Innenpolitisch tendierten sie eher zu einer Bevorzugung der Hauptstadt, waren dabei aber nicht so radikal wie die Palatini.

Die Palatini („Palatiner“): Diese Fraktion unterschied sich von den beiden anderen insbesondere darin, dass hier keine Berufsgruppe vertreten war, sondern verschiedene Patrizier mit der Idee, dass Politik vor allem zugunsten des Staates Palatina entschieden werden müsse. Die Palatini galten als besonders patriotisch und setzten sich für Heeresreformen und eine geringere Abhängigkeit vom Ausland ein. Sie betrachteten die Nobili als Feinde des Staates, wollten den Senat abschaffen und forderten außerdem eine Zentralisierung der Republik und Abschaffung der Privilegien anderer Regionen. Außenpolitisch vertraten sie die Ansicht, Palatina müsse sich neutral halten.
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Doge Riccardo Tagliatelle
Die Mercanti stellten die größte Gruppe des Parlamento, danach kamen die Artigiani. Die Palatini waren eine eher kleine Fraktion, die bei einem Parlament von 300 Sitzen durchschnittlich 10 bis 20 bei einer Wahl erhielten. Da nicht mehr die Patrizier selbst im Parlamento saßen, sondern gewählte Vertreter von Patriziern, konnte es auch vorkommen, dass ein Händler einen Artigiano wählte, wenn ihm dessen Überzeugungen näher standen. Die alle fünf Jahre abgehaltenen Wahlen zum Parlamento konnten daher auch Unmut oder Zustimmung zum gegenwärtigen Kurs der Republik ausdrücken. In der Zeit der Patrizierdogen sank die Einkommensgrenze, um wählen zu dürfen, sodass bis zum Vorabend des Untergangs der Serenissima etwa ein Fünftel aller Palatiner Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlamento nehmen konnte.

In der Theorie bedeutete das mehr Freiheit und Demokratie, doch in der Praxis mochte das neue System nur mit Mühen funktionieren. Das Hauptproblem war eine handlungsfähige Exekutive. Hatte in der Goldenen Zeit Palatinas diese der Doge zusammen mit den Dogenberatern, sowie dem Admiral und General geformt, haperte die Patrizierrepublik an dieser Stelle. Normalerweise war es an einem fähigen Dogen, Konkurrenz und Unstimmigkeiten im Collegio zu beseitigen und einen Weg vorzugeben. Da solch eine Entscheidungsfindung von den Patriziern jedoch nicht mehr gewollt war, konnten sich die vier Consiglieri bei einem Unentschieden nicht festlegen. Außerdem forderte das Parlamento in jeder Angelegenheit das letzte Wort zu besitzen, was ein stetiges Kompetenzgerangel herbeiführte. Es war nicht mehr klar, was die Exekutive, und was die Legislative zu entscheiden hatte. Das Parlamento verlor sich zu oft in allzu langen Diskussionen zwischen den Fraktionen. Da keine Fraktion die Mehrheit des Parlamento auf sich vereinigen konnte, war Palatina zeitweise gelähmt. Erst einige Koalitionsregierungen wie unter Ambrogio di Borghetto (nicht verwandt mit der gleichnamigen Nobile-Familie) konnten Palatina zumindest eine Leitlinie geben. Dazu kamen die Sanktionen und Boykottversuche des Senats, der immer noch Einfluss auf die Geschehnisse in der Republik nehmen wollte.

Die Dogen
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Doge Tullio Sabbionetto
Die Dogen der 3. Republik als inkompetent zu bezeichnen, wäre verfehlt, da jene keine Kompetenzen mehr besaßen – außer, dass sie zu repräsentativen Anlässen auftraten und sich wie mit Brokat und Damast verkleidete Pfaue der Öffentlichkeit zeigten. Dieser Trend nahm mit den Jahrzehnten noch zu. Hatte Ferdinando Leocorno, der erste Patrizierdoge, es noch bei einem schweren Brokatgewand und Perücke belassen, wurden nachfolgende Amtsinhaber immer extravaganter. Puder und Schönheitsflecken folgten. Die Aufgabe des Herrschers bestand nicht mehr darin, Kriegsplanungen anzustellen, diplomatische Kontakte zu knüpfen oder Reformen anzutreiben, sondern sich morgens für das richtige Puder-Etui zu entscheiden. Dario Vitelli, sein Nachfolger, wurde als „Papa Schnarchnase“ im Volk beliebt, weil ihm seine Berater zugesichert hätten, es sei der Republik am besten bedient, wenn der Doge den ganzen Tag im Bett bleibe und nichts tue.

Auffällig ist die Vielzahl der Dogen der Patrizier-Ära. Hatten im Palatina der Renaissance innerhalb der ersten hundert Jahre nur 6 Dogen regiert, waren es in den 60 Jahren dieser Epoche annähernd 20. Nicht nur das Alter bei der Wahl, sondern der ungesund dekadente Lebensstil der Staatsoberhäupter. Als der Doge Riccardo Tagliatelle an einer schweren Krankheit litt, gab man ihm zerstobene Edelsteine und geschmolzenes Gold als Heilmittel. Gegen Depressionen verschrieb der Leibarzt Tullio Sabbionettos einen Sturz aus dem vierten Stock. Und der Doge Feruccio Amarena kam beim Versuch ums Überleben, das ganze Neujahrsbankett selbst zu verspeisen. Der Doge Orio erstickte gar an einer Überdosis Perückenpulver. Vom Schicksal des letzten Patrizier-Dogen, Il Capricorno XIV., wurde bereits an anderer Stelle gesprochen.

Wenn der König Preußens der erste Diener des Staates und der Doge von Venedig der erste Sklave des Staates war, dann war der Doge von Palatina der erste Papagei des Staates – mit einer enorm unhygienischen Käfighaltung.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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