Die Kanäle von San Pietro


Ellenhoch recken sich die Behausungen der Einwohner von San Pietro in die Höhe. Wie seit Jahrhunderten erscheinen sie baufällig und wagemutig konstruiert; aber auch hier macht der Fortschritt nicht Halt. Bessere, stabilere Häuser verbreiten sich. Hölzerne und brüchige Brücken sind seltener geworden. Boote fahren fast durchweg unter Steinbögen her. Auch manche Promenade wurde befestigt. Moos wächst immer noch an den Nordwänden der Häuser, gesellt sich zu Farnen und Efeu, doch die allgegenwärtigen Schätze aus der Antike sind fast spurlos verschwunden. Ragte ab und an eine Statue aus dem Wasser oder zumindest ein Kapitell, so sind die Hinterlassenschaften der Antike gänzlich aufgebraucht: verkauft an einen Nobile, verhökert an einen reisenden Händler, geschmuggelt in eine britische Kunstkollektion.
Doch das, was dem Gondoliere am ehesten auffällt, ist das Wasser. Schon immer hatten die Kanäle Schlamm geführt, sahen schmutzig aus, oder trieben Hausreste darin, Holz, manchmal Treibgut. Doch irgendetwas, das man bisher nicht kannte, macht das Wasser schmieriger als sonst. Wie ein öliger Film schwimmt es an der Oberfläche. Petroleum. Schwefelspuren. Manufakturmüll. Ein schwarzer Film bleibt an Boots- und Gondelrudern haften, Kiele durchbrechen den chemischen Sumpf, der sich in der Nähe der großen Manufakturen gebildet hat. Manch toter Fisch schwimmt dort an der Oberfläche. Und dort geschieht etwas, was ein Bewohner San Pietros einst nie zugegeben hätte, weil er seine Heimat so liebt, dass seine Sinne ihm einen Streich spielen, er nichts Negatives, nichts Hässliches erblicken oder riechen mag. Doch auch hier: die Neue Zeit bringt Änderung.
Und sieht hält eine Wahrheit parat, die manchen schaudern lässt: Das Wasser stinkt.