Die große Zitadelle von Palatina ist der Hauptsitz des Esercito, des palatinischen Militärs. Sie dominiert San Pietro und gilt als Nachfolgerin der veralteten Fortezza. Die Waffenmanufaktur und der Exerzierplatz sind ihr angeschlossen, das Arsenale ist ein verlängerter Teil der Zitadelle und gilt als eigener Teil des Komplexes.
Lang gestreckte Kasernen der Artillerie und Infanterie prägen den Eindruck des innersten Kreises der Zitadelle von Palatina. Truppen paradieren auf dem Gelände, Transporte aus dem Umland und der Stadt kommen hier per Karren an, um die Versorgung des Stützpunktes zu gewährleisten.
Der Platz war bei Fertigstellung der Cittadella deutlich größer, ist aber in den letzten Jahren stark verkleinert worden, um mehr Raum für Kasernen und andere Gebäude zu schaffen. Viele Funktionen des ehemaligen Hofes hat heute der Exerzierplatz übernommen.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés
Der Postmann erklärt Enrico seine Arbeit, und warum er die letzte Frage nicht beantworten kann.
Wie Ihr wisst, unterliegen Postinterna dem Postgeheimnis. Der Absender hat das Poststück in die entsprechende Poststelle gebracht. Dort wurde es von einem Ersatzpostmann angenommen, weil der eigentliche Postmann in der Pause war.
Das Prozedere kennt Ihr: der Ersatzpostmann stellt die Briefe und Pakete in einem Kasten ab. In diesem Kasten leben bekanntlich Postkatzen. In diesem Falle natürlich Ersatzpostkatzen in Ersatzpostkasten.
Die Ersatzpostkastenkatzen sind für die Frankierung und Zustellung von Postkastenmaterial in der Postanstalt mittels Fließband verantwortlich. Manchmal kratzen die Ersatzpostkatzen in ihrem Ersatzpostkasten, wenn sie via Narkotikum verlangsamt oder via Kaffee angefeuert werden müssen.
Üblicherweise ist der Ersatzpostmann nur da, um die Postkatzen zu wechseln, sowie um die Säuberung des Ersatzpostkatzenkastens mit Putzmittelersatz vorzunehmen. Wenn der Ersatzpostmann die putzigen Ersatzpostkastenkatzen entnimmt, um den Ersatzpostkatzenkasten mit Putzmittelersatz zu putzen, steckt er die Ersatzpostkastenkatzen in den Ersatzpostkatzenkastenputzmittelersatzsack.
erklärt er das komplizierte Verfahren, bevor die bei der Poststelle abgelieferte Post in seine Hände gerät, meint dann
Kurz: ich habe nicht die leiseste Ahnung.
Kaum gesagt, erreichen die beiden die frische Luft. Was sich Enrico bietet, ist ein Bild des Tumults: mindestens zwei Dutzend Soldaten verschiedener Ränge und verschiedenen Alters haben sich um ein großes Paket mit Blattgoldtupfern gruppiert. Tatsächlich ist es unübersehbar und gerade so groß, dass man es ohne Probleme auf einen Pferdekarren heben könnte.
Gemurmel, Gespräche, Vermutungen machen die Runde. Einige Artilleristen deuten auf Enrico, zeigen auf das Geschenk, wo noch einmal fett die beiden Namen von Absender und Adressat hervorgehoben sind. Gerüchte machen die Runde über die Verknüpfung zwischen Albizzi und Braccioleone.
Hier unterschreiben ... und hier ... und hier ...
müllt der Postmann Enrico zusätzlich mit gleich drei Dokumenten zu, um den Erhalt der Lieferung zu bestätigen.
In einer Revolution wie im Roman besteht der schwierigste Teil darin, sich das Ende auszudenken. - Alexis de Tocqueville
Enrico schwirrt der Kopf von der Erklärung des [strike]Ersatzkatzen[/strike]Postboten. Die Antwort ist umso ernüchternder.
Seine Augen schweifen über die Menge. Zuerst ist er geneigt direkt alle dort zu verscheuchen, doch ihm bietet sich ein Sammelsurium an Uniformen und Diensträngen. Einige stehen direkt um das Paket, andere schauen von weiter weg und auch aus den gegenüberliegenden Gebäuden ragen Köpfe.
Unmöglich diese alle weg zu befehlen.
Enrico seufzt, mustert das Paket.
Es ist in der Tat groß. Und es ist in der Tat mit Blattgold verziert.
Was war bloß in diesen irren Nobile gefahren?
Auf dem Paket prangt groß sein Name und der Braccioleones. Na toll...
Enricos Blick geht kurz zum nicht weit entfernt liegenden Stabsgebäude. Hoffentlich machte der Generale nicht gerade Mittag...
Enrico schaut kurz auf die Zettel, unterzeichnet dann mit einer ihm entgegen gehaltenen Feder.
Danke.
War's das?
Was soll er jetzt machen? Er würde es nicht vor aller Augen öffnen... aber wie sollte er es wegbekommen und wohin?
Sein Blick gleitet erneut durch die Menge. Irgendwo darin meinte er gerade ein paar Artilleristen ausgemacht zu haben.
Suicidal, violent, tragic state of mind; lost my halo, now I'm my own Antichrist! I'm running out of Teardrops, let it hurt 'til it stops, I can't keep my grip, I'm slip pi ng a w ay f r o m m e. Oh God! Everything is SO FUCKED! but I can't feel a thing...- BMTH: Teardrops
Als der Postbote die unterschriebenen Dokumente dankend an sich nimmt, und sich dann von Enrico verabschiedet, bildet sich kurz eine Lücke zwischen den Uniformierten, damit er durch die Menge hindurchgehen kann. Bevor sich die Lücke wieder schließen kann, stößt Matteo in diese.
Der junge Salinguerra hatte den Auflauf schon von Weitem beobachtet, hatte aber nichts sehen können. Als er das Riesengeschenk für den Albizzi erblickt, mag er darauf immer noch keine Antwort finden - wieso war ein Geschenk so spannend, wenn man gar nicht wusste, was drin war und was es bedeutete? Dann hört er die Spekulationen: Bestechung! Vielleicht stand Albizzi im Dienst eines Nobile? Oder gab es ein unbekanntes Verhältnis zwischen den Männern? Ganz offensichtlich wird jedenfalls, dass Enrico sich möglicherweise in einem Klientelverhältnis befindet.
Neben Matteo erzählt ein Infanterist einem anderen, dass er sich schon denken könnte, dass Albizzi bei so einer Gefälligkeit ins Leonistenlager wechseln könnte, wieder wer zur Linken gibt an, den genauen Grund zu kennen: Albizzi hielte Beweise gegen Braccioleone in den Händen, und damit gegen den General. Jetzt versuche Braccioleone, ihn gnädig zu stimmen.
Matteos skeptischer Blick geht hin und her. Er sagt nichts, hält sich bedeckt, versucht seine eigenen Schlüse zu ziehen. Vor ihm glänzt das Blattgold in der Sonne. Bis dahin hatte er so viel Glanz nur in der Kirche gesehen. In seiner bescheidenen Welt war es unvorstellbar, das jemand so etwas überhaupt auf etwas anderes kleckste als vielleicht einen Kandelaber, Tabernakel oder Rahmenrand. Der Carabiniere hält sich zurück mit Deutungen; er beobachtet, will schauen, wie die Sache weitergeht ...
Die Gewalt rüstet sich mit den Erfindungen der Künste und Wissenschaften aus, um der Gewalt zu begegnen. - Carl von Clausewitz
Zufrieden tritt Umberto aus dem Stabsquartier auf in den Innenhof der Cittadella. Die Verhandlungen hatte er sich zäher vorgestellt – schließlich handelt es um den lukrativen Auftrag einer langfristigen Belieferung des palatinischen Esercito mit vorzüglichen Schuhwerk. Schuhwerk für allerlei militärische Zwecke: Schwere Reitstiefel, Leichte Infanteriestiefel, repräsentative Garde- und Offiziersstiefel, […]. Dazu noch Verträge bezüglich der Belieferung mit Gürteln, Riemen und Gurten.
Da Umberto diesen Auftrag für das traditionsreiche Haus Leocorno sichern konnte steht auch fest, dass die lang geplante Manufaktur errichtet werden kann, ja errichtet werden MUSS.
Die Leocoronos haben einen langen Weg hinter sich, denkt sich Umberto während er gedankenverloren aus seinen Taschen eine handgeschnitzte Pfeife und eine silberne Tabakdose kramt, ein Weg aus den dunklen Seitengassen und Handwerkerstuben der Kürschner und Gerber, Riemenschneider und Schuster hin ins palatinische Patriziat. Diese Stellung ist nun abgesichert durch eine quasi-monopolistische Belieferung des Esercito – es sind spannende und für ihn gar erfolgreiche Zeiten, aber ob die Belieferung der Armee sich auch nachhaltig mit seinen politischen Überzeugungen in Einklang bringen lässt? Umberto stopft seine Pfeife, entzündet sie und nimmt ein, zwei Züge des sanft aromatisierten Virginiatabaks mit Orangenbukett. Man muss das privatgeschäftliche eben vom größeren Gesellschaftspolitischen trennen. Zudem liegt es ja auch an ihm und seinen parlamentarischen Engagement das palatinische Esercito politisch einzuhegen, zu kontrollieren und zu überzeugten Trägern sowohl des Staates als auch schmucker Uniformen zu machen. Für die Leocornos also eine klassische Win-Win-Situation.
Erst jetzt wird er des Aufruhrs im Innenhof gewahr. Bei seiner Ankunft war der Innenhof wie leergefegt, jetzt das genaue Gegenteil. Unverständliches non-sense Gebrabbel über Ersatzpostkastenkatzen zerrt Umberto aus seinen Gedanken in die Realität zurück. Gut gelaunt und für ein paar Albernheiten zu haben mischt er sich in das Gespräch ein: Ich war ja immer ein großer Verfechter des Ersatzpostkastenhermelins. Diese sind deutlich intelligenter, arbeiten effizienter und sind bei weitem nicht so arrogant. Aber Ersatzpostkastenhermeline sind wohl schon längst von gierigen Ersatzpostkastendienstaufsichtshelfern heimlich aufgeknuspert worden. Für wen ist denn das dezente Päckchen? Ein Verlobungsgeschenk? Hoffentlich kein Bestechungsgeschenk, nicht, dass jemand versucht ihn den soeben ergatterten Auftrag noch abzuluchsen.
Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin. - Karl Lagerfeld
Endlich bleibt Enricos Blick an zwei Soldaten aus seiner Kompanie hängen, die neben einem jungen Carabiniere stehen. Enrico runzelt kurz die Stirn. Tatsächlich sieht der Kerl verdammt Jung aus. Beinahe ein Kind. Und das in dieser Truppe...
Er verwirft den Gedanken. Wichtig war jetzt das verdammt Paket und dass es so schnell es ging vom Kasernenhof verschwand.
Vianello! Tozzi!
ruft er die beiden Artilleristen heran.
Sucht Euch einen leeren Munitionskarren, und verladet das Paket. Danach mit Geschützüberwurf abdecken und zur Bäckerei Albizzi bringen.
Die Bäckerei hatte ein großes Tor für die Mehllieferungen. Es war nicht die beste Lösung. Giuseppe würde nicht begeistert sein. Aber irgendetwas musste er tun, das Ding musste hier weg und er würde es irgendwo auspacken müssen. Irgendwo, wo nicht die halbe Cittadella zusah.
Wer weiß, was der Braccioleone ihm geschickt hatte. Wenn er nur halb so verschlagen war, wie Enrico es vermutete, konnte es alles sein. Und sicherlich nichts zu seinem Vorteil.
Wenn Euch jemand dort aufhalten will, beruft Euch auf mich.
Suicidal, violent, tragic state of mind; lost my halo, now I'm my own Antichrist! I'm running out of Teardrops, let it hurt 'til it stops, I can't keep my grip, I'm slip pi ng a w ay f r o m m e. Oh God! Everything is SO FUCKED! but I can't feel a thing...- BMTH: Teardrops
Matteo versucht ein Zucken zu unterdrücken, als neben ihm die beiden Männer herbeikommandiert werden - was allerdings misslingt. Für ein paar Sekunden lastet Enricos Blick auf ihm. Die Arroganz entgeht ihm nicht. Eine Arroganz, die der Carabiniere nicht zum ersten Mal wahrnimmt. Er kennt sie gut. Vom ersten Tag an, als man ihm sein Alter nicht hatte abnehmen wollen. Man hatte seinen Taufschein angezweifelt. Zu Recht, er war natürlich falsch. Aber wer hätte das Wort eines Priesters in Zweifel gezogen? Don Giacomo hatte nicht gelogen, so wenig wie er gefälscht hatte. Das Datum war korrekt, nur nicht der Schein. Aber wenn Kirchenleute etwas konnten, dann im Nachhinein Urkunden für etwas ausstellen, für das es keine anderen Belege mehr gab. Giacomo hatte erklärt: der Begriff "Fälschung" war falsch. Man konstruierte schließlich nichts, sondern rekonstruierte.
Aber so wenig, wie man Alter und Papier hatte glauben wollen, glaubte wohl auch der Albizzi - sein Name war jetzt genügend von einem Mund zum nächsten gewandert, als dass er ihn hätte überhören können - dass er hier nichtsverloren hätte. Für einen Moment leuchtet Missmut in seinen Augen auf. Einen kleinen Moment. Nur, damit der Albizzi weiß, dass er genau verstanden hat, was hier los war. Und zugleich: dass es ihn nicht scherte. Sein Vorgesetzter hieß Chiodo. Basta.
Dann hört er neuerliches Munkeln. jetzt geht es weniger um Albizzi und Braccioleone, denn um das Geschenk selbst. Jemand glaubt ganz schlüssig nachweisen zu können, dass es sich angesichts von Form und Schwere nur um ein totes, ausgestopftes Elefantenbaby handeln kann. Wer anders wendet ein: nein, es handelt sich um ein Artillerierohr. Die nächste Spekulation gewinnt Raum: Albizzi hat eine überdimensionale, kitschige Porzellanhermelinfigur geschenkt bekommen, die Ballett in einem Tütü tanzt.
Also, wenn Ihr mich fragt, das ist ein ...
Will Matteo seinem Gedanken Raum schaffen, da das Stück aber nun abgeholt werden soll, verliert sich seine Idee in Aufbruchstimmung und lauten Stimmen.
Die Gewalt rüstet sich mit den Erfindungen der Künste und Wissenschaften aus, um der Gewalt zu begegnen. - Carl von Clausewitz
Umbertos versuchte Kontaktaufnahme ging offenbar im Stimmengewirr unter. Nun kam doch etwas Struktur in den Ameisenhaufenhaft wabernden Innenhof – fast wie beim Militär. Doch es schien als würde Umbertos Neugier nicht befriedigt werden. Das Paket würde wohl verladen und abgetarnt werden. Schade, merkwürdig, naja... Umbertos Gedanken schwenken zurück zu Knusperhermelinen. Ein Hungergefühl überkommt ihn. Gegrillte Tomaten oder eine einfache Minestrone als Antipasti, dann als Primo Piatto, ebenfalls schlicht, Spaghetti Aglio, Olio e Peperoncino und als Secundo Piatto, als lukullischer Knaller, Hasenbraten. Mariniert mit Knoblauch, Zitrone, Salz und Pfeffer und dann in Weinbrand geschmorrt. Ob sowas wohl in den Tavernen San Pietros serviert würde. Fisch wurde zuletzt ja auch im Fischerviertel immer weniger angeboten. Für das Dolci würde Umberto aber auf jeden Fall zur Feier des Tages in das Kaffeehaus Caffé degli Specchi hinüber nach San Paolo schlendern. Danach vielleicht etwas Zeitungslektüre, Libero und, natürlich, Il Mercato. Vielleicht würde sich ja auch jemand für eine Partie Billard erweichen. Am frühen Abend könnte man dann an die Bar wechseln… schließlich gibt es heute guten Grund die Prosecco-Korken knallen zu lassen.
Also: Jetzt, sobald es ein Durchkommen gibt, los auf Hermeläääh – Hasenjagd. Oder doch nicht? Wie spät ist es eigentlich? Wie lange hat er verhandelt? Ist es tatsächlich Essenszeit? Umberto nimmt einen tiefen Zug aus der Pfeife, spürt, wie der Rauch ihn ausfüllt, bläst ihn in Ringen aus und räuspert sich und fragt einen der Umstehenden: Entschuldigen Sie bitte, können sie mir sagen, wie spät es ist?
Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin. - Karl Lagerfeld
Die beiden Artillerie-Soldaten laufen eilig von dannen, verschwinden hinter dem Gebäude in Richtung Schuppen. Dabei winken sie sich noch zwei weitere Männer in blauen Uniformen heran, die ebenfalls in der Menge gestanden hatten.
Zufrieden blickt Enrico ihnen hinterher.
Die Angelegenheit war unangenehm, aber sie würde sich gleich erledigt haben. Mit Genugtuung beobachtet er, wie die Menge sich langsam auflöst. Dann bleibt sein Blick nochmal an dem jungen Carabiniere hängen, der gerade von einem Zivilisten angesprochen wird.
Hatte man für die Carabinieri die Altersbeschränkung gesenkt? Oder rekrutierte Battista alles dessen er habhaft werden konnte?
Enrico schüttelt den Kopf, dann wendet er sich um. Heute gab es noch einiges zu tun. Und wo war nun eigentlich dieser verdammte Spazzarello?
Suicidal, violent, tragic state of mind; lost my halo, now I'm my own Antichrist! I'm running out of Teardrops, let it hurt 'til it stops, I can't keep my grip, I'm slip pi ng a w ay f r o m m e. Oh God! Everything is SO FUCKED! but I can't feel a thing...- BMTH: Teardrops
Matteo spitzt verwundert die Ohren. Da ist plötzlich ein Herr, der wohl geschäftlich hier war - ohne Uniform fällt Umberto im Kasernenbetrieb auf wie ein Suppenpapagei im Hühnerstall - und spricht ihn unverhofft an. Die Uhrzeit? Matteo zögert nur zwei Sekunden.
Ja, gerne.
Seine Hand fährt in die Innenseite der Uniform. Dann funkelt etwas in seiner Hand. Es ist Matteos größter Schatz, seine wertvollste Habseligkeit. Nichts , as er in Santa Trinità besessen hatte, war von höherem Wert gewesen. Nahrung, Wasser, selbst Kleider verbrauchte man. Sie waren nichts, was gut, was schön, was wertvoll sein musste. Man lebte von der Hand in den Mund. Die kostbarsten Dinge, die er anfassen durfte, hatten ihm nicht gehört. Das goldene Weihrauchfass, das er bei der Messe hatte schwingen dürfen. Die teuren Weihrauchkörner, die er darin nachgefüllt hatte.
Aber das hier, das war sein Besitz. Dazu etwas, das er nie zurücklassen musste. Nichts, das jemand anderem gehörte, und er wieder zurückgeben musste. Vielleicht der großzügigste Lohn, den er in seinem Leben erhalten hatte.
Es ist eine Taschenuhr. Vielleicht das billigste, das schmuckloseste, das einfachste Stück, das man sich vorstellen konnte. Kein Gold, kein Silber - billiges Messing. Es tat nichts weiter, als effektiv seinen Dienst. Jeder höhere Cittadino hätte gelacht. Uhren waren Statussymbole, keine Nutzgegenstände. Sie schieden das vornehme Volk, das sich Zeit leisten konnte, vom gemeinen Volk, das Zeit verschwendete.
Chiodo hatte ihm diese Uhr zur Beförderung geschenkt. Die Carabinieri sollten eine effiziente, eine moderne, eine pünktliche Truppe sein. Die drei Begriffe gingen zusammen. Beim Appell gab es einen Uhrenvergleich. Ein Marsch. Ein Takt. Ein Herzschlag. Wer das Leben takten konnte, hatte es im Griff.
Matteo klappt die Uhr auf, schaut auf das Zifferblatt.
Es sind 13 Uhr und 24 Minuten, Ser.
Die Gewalt rüstet sich mit den Erfindungen der Künste und Wissenschaften aus, um der Gewalt zu begegnen. - Carl von Clausewitz