Giorgio Malvasia (1731 – 1783)
Giorgio Malvasia – eigentlich 1731 als Georgios in der Kirche Sant’Anselmo (San Pietro) getauft – war der erste Malvasia, der sich nicht mehr erstrangig als Grieche, sondern als Palatiner verstand. Giorgio wuchs zwar in einem griechisch geprägten Haushalt auf, doch mit dem Aufstieg seines Vaters aus der Unterschicht legte dieser Wert auf eine gute Ausbildung seiner Söhne, die ihm selbst verwehrt worden war. Während Michele sich als Vorarbeiter Lesen und Schreiben hatte selbst beibringen müssen, konnte Giorgio die Schule besuchen. Folgerichtig war Palatinisch Giorgios Erstsprache, Palatina seine Heimat, wenn auch der Bezug zur griechischen Heimat bestehen blieb – wie sein Vater verherrlichte Giorgio die Freiheitskämpfer seiner Heimat, die sich gegen die Türken auflehnten.
Mit 15 Jahren begann Giorgio seine Lehre bei Tommaso Gibertone, mit dem sein Vater Michele zusammenarbeitete. Giorgio zeigte sich als wissbegieriger und begabter Schüler, der früh damit begann, in „größeren Bahnen“ zu denken. Zu Gibertones Verwunderung gestaltete Giorgio bereits mit 20 Jahren die ihm anvertrauten Fährenrouten effizienter und profitabler – indem er die Fahrzeiten straffer organisierte und Löhne weniger als gerechte Bezahlung, denn vielmehr als Leistungshonorar verstand. Giorgio zeigte sich skrupellos bei Entlassungen, wenn das Personal nicht wie gewünscht die vorgegebenen Fahrzeiten einhielt; Giorgio war der Meinung, „jeder Affe“ könne ein Boot fahren und drohte oft mit Gehaltskürzungen. Effiziente Mitarbeiter förderte er dagegen. Gibertones Fährensystem manövrierte im Passagierverkehr bald die Konkurrenz aus, weil dieses für Pünktlichkeit und Verlässlichkeit stand.
Bei Gibertones Tod im Jahr 1756 hatte sich der Mittzwanziger bereits einen berüchtigten Ruf als beinharter Geschäftsmann erworben, der dem Profit die Priorität in seinem Leben einräumte. Es wird gemunkelt, dass nicht Michele, sondern in Wirklichkeit Giorgio der Drahtzieher bei der Zerschlagung und anschließendem Aufkauf der Gibertone-Firma war. Die Ehe mit Clarissa Gibertone hatte vorrangig Nützlichkeitserwägungen, da eine Partnerschaft für beide eine fruchtbare Option im Kampf gegen die Gibertone-Brüder bot. Ironischerweise entdeckte das Paar nach der Hochzeit die Liebe füreinander, da sie beide erkannten, dass sie eine sehr ähnliche Lebensphilosophie verfolgten, in der Machbarkeit, Nützlichkeit, Expansion und Wohlstandsvermehrung entscheidend waren. Giorgio und Clarissa führten das Unternehmen de facto gemeinsam.
Als Giorgio ab Mitte der 1760er operativer Direktor der TAM wurde, begann er mit einem weitreichenden Ausbau des Fährennetzwerkes mit Expressbooten von einem Ende der Republik zum nächsten und einem verzweigten Frachtgüterverkehr, wie es ihn in der Form bisher nicht gegeben hatte. Er stattete Boote mit zusätzlichen Ruderern aus, um Passagiere möglichst schnell zu ihrem Zielhafen zu bringen. Die TAM richtete die erste Direktverbindung von Carnedossa bis Castiglione ein und erschloss eine Route von Formosina bis Prevalle. Der unheimliche Aufstieg Giorgio Malvasias zum „Signore der Fähren“ wurde nicht nur den Konkurrenzfirmen ein Dorn im Auge, sondern auch der Republik, deren öffentliches Passagiersystem kaum mit dem privaten Anbieter mithalten konnte. Die Situation verschlimmerte sich, als Giorgio über niedrigere Ticketpreise die TAM zum Express-Service erster Wahl machte. Nicht nur die Fährenbesitzer, sondern auch die Kutscher sahen sich bald in ihrer Existenz bedroht, da eine Bootsfahrt komfortabler, preiswerter und schneller wurde als die herkömmliche Reise per Land. Giorgio wusste diese Situation noch weiter zu verschärfen, als er Sonderfähren mit besonderem Luxus, Bedienung und großzügigem Platzangebot einführte.
Zugleich investierte Giorgio auch in anderen Sektoren. Da er einen wichtigen Teil des Güterverkehrs der Republik kontrollierte, bot es sich an, Anteile an Betrieben zu kaufen oder gleich das eine oder andere Gut zu erwerben, das an seinen strategischen Routen lag. So erwarb er Beteiligungen an Sägewerken und Mühlen, kaufte mehrere Weingüter für Ilrustica-Wein in der Bassa Mandrana und exportierte seine eigenen Waren. Ab den 1770er Jahren war Giorgio so reich, dass er auch nach gesellschaftlicher Anerkennung und politischem Einfluss gierte. Seine Ansprüche betonte der Malvasia damit, als er einen verfallenen Palazzo in der Città Antica erwarb, diesen prächtiger denn je errichten, und gleich zwei Gärten für diesen anlegen ließ. Den kleineren Vordergarten gab er wenige Jahre später als „Parco Malvasia“ für die Öffentlichkeit frei; die dortige Bocciabahn ist bis heute ein beliebter Treffpunkt. In jener Zeit verlegte Giorgio auch die Firmenzentrale in die Hauptstadt, da er Villanuova nicht mehr als angemessen empfand.
Den Zenit erreichte Giorgios Karriere, als er 1780 ein Mandat als Parlamentarier errang. Er gehörte der Fraktion der Mercanti an, zählte dabei zum radikalen Flügel. Giorgio vertrat die Idee, dass der Staat höchstens als „Nachtwächter“ fungieren sollte. Die Verquickungen von Staat und Kirche wie die Privilegien der Nobilität im Senat waren ihm ein Dorn im Auge. Als Schwiegersohn einer gebürtigen Sabbionetto stand er einer weiteren Demütigung der Exekutive offen gegenüber, forderte gar weitere Ermächtigungen des Parlaments nach britischem Vorbild. Nicht alte Regeln oder Traditionen, sondern eine Verfassung sollte das Verhältnis zwischen Volk und Obrigkeit festlegen. Giorgio galt als eifriger Anhänger der Aufklärung und soll der ersten Freimaurerloge von Palatina angehört haben.
Der fulminante Aufstieg der Familie Malvasia, der sogar zu Spekulationen führte, Giorgio strebe das Amt eines Dogenberaters an, endete jedoch abrupt: Giorgio, seine Frau Clarissa und sein Sohn Michele II. kamen ausgerechnet auf einer Kutschfahrt im Gebirge allesamt ums Leben, als das Gefährt von einer Klippe stürzte. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt und haben zu zahlreichen Spekulationen geführt. Giorgio war auf dem Weg zu einem Geschäftsabschluss gewesen, bei dem über die Übernahme einer Transportfirma verhandelt werden sollte. Als einzige näher verwandte Malvasia verblieben nur seine minderjährige Tochter Cecilia und sein Bruder Atanasio, der die TAM in seinem Namen übernahm.