Das Ristorante „Repubblica“

Die Oberstadt auf dem Palatina ist immer noch der Sitz der Mächtigen und bedeutenden Familien. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts stagniert der Stadtteil jedoch, teils gibt es verfallene und verlassene Contraden. Das Parlament hat seinen Sitz im einstigen Dogenpalast. Die reaktionären Nobili und ihr Anhang haben hier ihren Platz.
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Die Signoria
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Das Ristorante „Repubblica“

Beitrag von Die Signoria »

Das Ristorante „La Repubblica“ (A. D. 1453) an der Piazza della Repubblica

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Das „Repubblica“ ist das traditionsreichste gastronomische Etablissement Palatinas. Es ist so alt wie die Republik selbst – wurde es doch nur ein Jahr nach der Vertreibung der Herzöge von Malpazzi ins Leben gerufen. Das ehemalige Verwaltungshaus wurde von Gino I. da Lucca beschlagnahmt, ein Verbündeter des ersten Dogen Piero Semifreddo, der ihm das Gebäude schenkte; da Lucca hatte eine entscheidende Rolle bei der Stürmung der Festung gespielt. Seitdem befindet sich das „Repubblica“ im Familienbesitz dieser Sippe, die sich ihre persönlichen Räume im ersten Stock eingerichtet hat.

Früher war das Repubblica vor allem Anlaufpunkt der Beamten, Politiker und Nobili, die auf dem Weg in den ehemaligen Dogenpalast waren; damals, als der Platz noch deutlich näher am Stadtzentrum lag. Mit dem Niedergang der Città Antica ist es heute eher so, dass die Leute bewusst in das Repubblica gehen, hat es doch seinen Ruf als eines der besten Restaurants der Republik gehalten. Touristen auf der Grand Tour machen hier Rast auf ihrer Besichtigungstour in der Città Antica. Das Touristenbüro im selben Haus hat allerdings seine Pforten dichtgemacht und befindet sich mittlerweile in der Città Nuova. Die Familie da Lucca hat auch diesen Teil erworben und das Restaurant erweitert.

Vom Frühjahr bis Herbst sitzen die Gäste an langen Tafeln im Freien auf dem Platz, in den kalten Tagen zieht man sich in die holzvertäfelten Räumlichkeiten zurück, wo Rundtische mit Damastdecken und Silberbesteck unter Glasleuchtern warten. Goldene Barockbilderrahmen fassen Veduten der Stadt ein, die Teller haben einen blattgoldverzierten Rand, in das Porzellan ist der Name des Restaurants in geschwungener Schrift eingetragen. Die Gläser sind aus Kristall, die Seidenserviette nur zum einmaligen Gebrauch gedacht. Säulen, Büsten und klassisches Interieur runden den Eindruck eines noblen Restaurants der Oberklasse ab, wo man ein Jahresgehalt ausgibt oder an einem Pfefferminzbonbon krepiert.


______________________________________________

NPC

Gino (XVIII.) da Lucca (lila/#8040FF): Der Restaurantbesitzer.
Wissen Sie, warum die europäische Gesellschaft stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hatte um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verabreicht haben. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will. - Juan Donoso Cortés

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Marco Foscari
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Re: Das Ristorante "Repubblica"

Beitrag von Marco Foscari »

Gino da Lucca geht mit einer neuen Tageskarte vor die Haustüre, klemmt sie neben den Eingang:
Vorspeise

Steinpilzrisottohügelchen, umgeben von frittierten Zucchini und gegrillten Kürbisscheibchen


Zwischengang

Perlhuhntortellini in Trüffelsauce mit Parmesan und Johannisbeerendekoration


Hauptgang

Flambierte Holunderdrossel am Pelikanschnabel auf Preiselbeersaucee mit Blattgold, dazu Wachteleier

oder

Gegrillter Formosischer Schuppenfisch an Salz-und-Pfeffer-Melange mit Lachskaviar und portovecchianischen Risengarnelen


Dessert

Panaccotta in Erdbeersahnemantel auf Schokoladenteller mit Karamellverzierung
In dem Moment, da sich der Staat von seinen kulturellen Fesseln löst – der Kirche, zivilen Institutionen, Sitten und Bräuchen – wendet sich nicht nur der Bauer gegen den Adligen, sondern auch der Arme gegen den Reichen; aus Gleichheit vor dem Recht pervertiert die Vorstellung sozialer Gleichheit. Zuletzt wendete sich gar der Idiot gegen das Genie, weil dieser das Verbrechen begangen hat, anders zu sein als er selbst. - Vittorio Barzoni

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Marco Foscari
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Re: Das Ristorante „Repubblica“

Beitrag von Marco Foscari »

Streicher spielen im Hintergrund. Nur gedämpfte Laute ruhiger Gespräche an weit entfernten Tischen sind dazwischen zu vernehmen, aber mit Sicherheit nicht die sonst für italienische Verhältnisse geläufige, geschwätzige Umgebung, in der man lauter sprechen muss, damit man sich untereinander verstehen kann. Es ist Punkt 21 Uhr, und damit eine halbe Stunde nach der gewöhnlichen palatinischen Abendmahlzeit.

Und Foscari sieht auf die Standuhr, als der Minutenzeiger die Neun hinter sich gelassen hat.

Er sitzt an einem gedeckten Tisch mit Kandelaber und Silberbesteck für zwei Personen. Der Wein steht bereit, die Gläser sind noch nicht gefüllt. Dem Kellner sagte er bereits, dass er noch warten würde.

Der Dogenberater war es nicht gewohnt zu warten. Einerseits weil man Dogenberater nie warten ließ. Andererseits, weil so wenig Frauen in seiner Sparte arbeiteten. Als Botschafter hatte er sich angewöhnt, eine Viertelstunde früher zu kommen, um dann hinter irgendeiner Ecke zu warten und dann pünktlich einzutreffen - um seinen Gegenüber nicht zu desavouieren, weil er früher da war. Sich zu verspäten wäre dagegen einem Todesurteil gleichgekommen, und damit dem seiner Republik.

Er kam aus seiner Welt, in der Verspätungen eine Machtdemonstration darstellten. Ein Doge ließ warten, ein König ließ warten, ein Kaiser ließ warten. Und er hatte andere Gesandte in Frankreich warten lassen, wenn er ein Zeichen setzen wollte. Unerfreulicher war das schuldlose Fernbleiben. Wenn sich jemand über Gebühr verspätete, war der Person mit Sicherheit etwas zugestoßen. In Paris hatte er zweimal erleben müssen, dass ein Unterhändler zwischendurch auf der Guillotine seinen Kopf verloren hatte und die Verspätung sogar etwas länger dauern sollte als ein oder zwei Stunden.

Dass man sich "einfach so" verspätete, kam in Foscaris Welt nicht vor. Seit sieben Jahren bestand sein Leben aus Schichten, Terminen, Abläufen und nie enden wollenden Pflichten. Auch das Abendessen hatte seinen Wert als gesellschaftliches Eriegnis verloren. Es war eine Formalie, die man abwickeln musste.

Er atmet aus. Mehr Unbill kommt nicht aus ihm heraus. Auch das: jahrelange Erprobung. Irgendwann pellte sich die äußere Hülle von den Innerlichkeiten ab. In der Gesellschaft galt es Contenance und Gesicht zu wahren. Daran ändert auch nichts, dass der sich langsam meldende Hunger ihn dazu verleitet, länger auf das Weißbrot im Körbchen zu starren, als es seiner Position angemessen wäre.

Die Streicher wechseln zu einer Sonate von Arcangelo Corelli. Es ist bereits die dritte.
In dem Moment, da sich der Staat von seinen kulturellen Fesseln löst – der Kirche, zivilen Institutionen, Sitten und Bräuchen – wendet sich nicht nur der Bauer gegen den Adligen, sondern auch der Arme gegen den Reichen; aus Gleichheit vor dem Recht pervertiert die Vorstellung sozialer Gleichheit. Zuletzt wendete sich gar der Idiot gegen das Genie, weil dieser das Verbrechen begangen hat, anders zu sein als er selbst. - Vittorio Barzoni

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Salomè Albizzi
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Re: Das Ristorante „Repubblica“

Beitrag von Salomè Albizzi »

Salomès Kleid flattert an den Tischen vorbei. Sie geht schnellen, wenn auch nicht überstürzten Schrittes durch das Restaurant. Erst nach drei Schritten geht sie wieder zurück, meldet sich kurz bei Gino, welcher Tisch auf Foscari-Albizzi bestellt sei, schaut skeptisch über die Gästerunden - und entdeckt den Verlobten an einem Rundtisch mit Sitzbank vor einer holzvertäfelten Wand, an der ein Landschaftsgemälde der Hügel und Haine hängt, in deren Hintergrund sich die Silhouette der Feste San Vittorio auf dem Palatin vom Maccaronischen Tal abhebt.

Als die Distanz nur noch wenige Ellen beträgt, lächelt sie gewinnend zu Marco, bleibt eine Sekunde vor ihrem Platz stehen, zieht in einer kunstvollen Bewegung ihren linken Handschuh ab.


Verzeih, es ... kam etwas dazwischen. Ich weiß, es ist spät. Es tut mir Leid.

Sie entschließt sich, nichts von der Episode mit Lorenzo zu sagen. Marco konnte es als Ausrede auffassen. Es war ein Grund, aber kein wichtiger. Sie hätte mit etwas mehr Disziplin pünktlicher kommen können. Sie will das Thema deswegen nicht breiter Treten, als es nötig ist.

Sie klatscht den rechten Handschuh auf den linken.


Du hast noch nichts getrunken?

Sie schaut auf die leeren Weingläser.
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Marco Foscari
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Re: Das Ristorante „Repubblica“

Beitrag von Marco Foscari »

Ich ging davon aus, dass du jeden Moment kommst.

Es ist eine nüchterne, nicht unfreundliche, aber doch kühle Aussage, die der Foscari wie von selbst über die Lippen kommt. Im Nachhinein bemerkt er, dass es als strenger aufgenommen werden könnte, als er beabsichtigt hat; womöglich, weil er wenigstens eine Erklärung erwartet hätte. Aber er belässt es dabei.

Dass es Salomè ähnlich sieht, erkennt er daran, dass sie sich setzt, noch bevor er ihr den Stuhl anrücken kann. Das Konventionenspiel weicht für einige Minuten dem Pragmatismus, wissen doch beide, dass sie nicht viel Zeit haben.

Fünf Gänge wollen schließlich bis Mitternacht verspeist werden.


Hattest du eine Inspiration auf deinem Abendspaziergang?

Roter Rebensaft füllt Salomès Glas, fällt danach mit Schwung auch in sein eigenes Glas.
In dem Moment, da sich der Staat von seinen kulturellen Fesseln löst – der Kirche, zivilen Institutionen, Sitten und Bräuchen – wendet sich nicht nur der Bauer gegen den Adligen, sondern auch der Arme gegen den Reichen; aus Gleichheit vor dem Recht pervertiert die Vorstellung sozialer Gleichheit. Zuletzt wendete sich gar der Idiot gegen das Genie, weil dieser das Verbrechen begangen hat, anders zu sein als er selbst. - Vittorio Barzoni

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Salomè Albizzi
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Re: Das Ristorante „Repubblica“

Beitrag von Salomè Albizzi »

Diplomatisch kühl. Die Pariser Erfahrung hatte die Eigenart verschlimmert. Es ärgerte ihn, aber er ließ sich nichts anmerken. Er würde so weit gehen und ihr gegenüber leugnen, dass er sich der Unpünktlichkeit wegen ärgerte; er würde leugnen, Hunger zu haben; und er würde leugnen, dass er die Weingläser ungefüllt gelassen hatte, um einen Punkt zu machen. Foscari war einer der Männer, die mit dem Botschafter von Spanien nüchtern parlierten, obwohl in der Schublade der Brief über die Kriegserklärung an Spanien lag. Er war nicht emotionslos; das durfte man nicht verwechseln. Aber er trennte Sphären. Reaktionär zu sein, das bedeutete: Räume, Sphären, Themen, Kategorien zu trennen. Er war ein Meister der Diskriminierung, das hieß: der Unterscheidung. Wenn Reaktionäre eines konnten, dann diskriminieren.

Seine Worte. Nicht ihre.


Ach, es ist ein Ärger. Der Direktor möchte in zehn Tagen einen schönen Einsatzer für die neue Oper "Nichts Neues im Paradies" und mir fällt zwar eine bereits recht eingängige Melodie für das gewünschte Stück ein - es heißt: "Der Erzengel Raphael hat mich versetzt!" - aber es will sich noch nicht wirklich mit dem Entwurf für die Nachfolge-Arie "Und Sankt Lucius meldet sich nie!" vertragen. Und es soll ja nicht langweilen. Man darf dem Publikum alles antun, aber langweilen darf es sich ja nicht. Für meinen Geschmack ist das Lamento über den Heiligen Lucius noch zu dick aufgetragen, und da würde es mich nicht wundern, wenn uns die Leute im Opernsaal einschlafen ...

redet sie wie in einem Stück. Im Redefluss bricht sie Brot, bestreicht es mit geliertem Olivenöl und Pistazienbutter.

... und ich habe dem Direktor gesagt: "Mir gleich, was Ihr von Musik haltet, aber ich pariere nicht eine Allegro con brio Sonate auf Klavier mit einem gesungenen Lamento, das ist vielleicht Avantgarde, aber das hört sich nicht an, und überhaupt: was diese Oper braucht, sind mehr rosa Elefanten auf der Bühne!" Und du glaubst nicht, der schaut mich entgeistert an, ganz entgeistert, sagt nichts, schaut mit großen Augen, bis er dann meint: "Elefanten gehen ja wohl gar nicht, besonders keine rosa Elefanten, davon haben wir keine mehr im Lager seit der Oper 'Ottone, der kälteempfindliche Elefant aus Carthago, der seine Pantoffeln vergessen hat', damals sind zwanzig Tiere krepiert, egal welcher Farbe." Und dann hat er doch die Frechheit, auf meinen Vorschlag, einfach neue Elefanten zu kaufen und diese rosa anzumalen gar nicht reagiert, und ... überhaupt, diese KÖSTLICHE Pistazienbutter mit borghettinischer Milch, ein Traum, hast du schon ... oh mein Gott!

Salomè gibt ein genussvolles Geräusch von sich, macht die Augen zu und muss die Finger vor Anspannung zusammenpressen, als sie das Stückchen Brot verspeist hat.

Ich liebe dieses Restaurant! Warum gehen wir eigentlich nicht häufiger essen?

Dann erst macht sie die Augen wieder auf, bemerkt, dass sie möglicherweise den Verlobten mit ihrem Redeschwall etwas überfahren haben könnte; zugleich kommen ihr die Gründe für die seltenen Treffen in den Sinn.

Und ... wie war es bei dir?
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Marco Foscari
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Re: Das Ristorante „Repubblica“

Beitrag von Marco Foscari »

Foscari befindet sich im Modus männlicher Unaufmerksamkeit. Salomè konnte sich in ihre Kunst hineinsteigern, redete dann wie ein Wasserfall; ein Wasserfall, der an strömenden Fluten gewann, wenn es um alles ging, was drumherum geschah. Er kann sich weder die Namen der verschiedenen Stücke, noch die ganzen Anekdoten merken, die sie vor ihm ausschüttet. Er war Dogenberater. Das hieß: sortieren, einordnen, analysieren. Und damit: vornehmlich nur das hören, was wichtig war. Im Grunde bleibt bei ihm bis auf den letzten Satz nichts hängen.

Vermutlich war das die Vorbereitung auf die Ehe.


Das Übliche.

sagt er trocken.

Auf der einen Seite pseudojakobinische Störenfriede, die ein Druchregieren seiner Exzellenz vereiteln. Auf der anderen Seite Zögerlichkeit und Misstrauen. Und eine bemerkenswerte Inkompetenz von außenpolitischen Verbündeten, wenn es um die Einschätzung der Lage geht.

Ihm ist anzumerken, dass er im Grunde nicht über das Thema sprechen möchte. Andererseits haben die jüngsten Ereignisse, sowohl was den innenpolitischen Kampf mit den Liberalen, als auch den Vormarsch der Franzosen im Nordwesten der Halbinsel betrifft, seine Stimmung erheblich zum Schlechteren gewendet. Salomè wird das alles nicht sonderlich interessieren, davon ist er überzeugt; aber wenn er noch etwas weniger leiden kann als politische Unfähigkeit, dann den Vorwurf, schlecht gelaunt zu sein.

Foscari war nicht schlecht gelaunt. Schlechte Laune bedeutete Emotion. Seine Missstimmung hatte rationale, nachvollziehbare Grundlagen. Man konnte einer einstürzenden Sandburg, wie sie dieser Staat war, nicht mit fröhlichem Stoizismus zuschauen. Dafür liebte er diese Republik zu sehr. Und dafür fürchtete er das, was auf sie zurollen konnte, zu sehr.


Soll ich den Wein bestellen?
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Salomè Albizzi
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Re: Das Ristorante „Repubblica“

Beitrag von Salomè Albizzi »

Nach fast einem Jahr einigen Minuten sitzen der Foscari und die Albizzi beim Wein. Man lässt sich noch etwas Zeit mit dem eigentlichen Essen. Marco hatte seit dem Amtsantritt immer wieder die Angewohnheit, Mahlzeiten zu vergessen oder auszulassen. Sie wusste, dass, wenn er nicht gerade zu einem offiziellen Abendessen eingeladen war, die Zeit anders verbrachte.

Das bisherige Gespräch bestätigte das. Er war nicht wirklich hier. Sein Kopf steckte irgendwo noch auf San Vittorio. So viel Zeit, wie er mit der Politik verbrachte, ließ den zynischen Gedanken zu, dass er nicht sie, sondern den Dogen heiraten wollte. Sie wollte mit dem Foscari zusammenleben - aber sie wusste bereits jetzt, dass er auch nach der Trauung womöglich ebenso fern war wie jetzt.

Salomè hatte genügend darüber nachgedacht. Manche Frau hätte Entsetzen gefasst. Doch ihr kam es entgegen. Sie stand genügend im Mittelpunkt. Man brauchte nicht minütliche Aufmerksamkei, wenn einem der Konzertsaal gehörte. Und ähnlich, wie Marcos ganzer Geist darauf ruhte, den letzten Jakobiner in Palatina auszuräuchern, um die traumatischen Pariser Erlebnisse nicht neuerlich durchleben zu müssen, so hatte Salomè ein hohes Interesse an ihrer eigenen Karriere.

Für Außenstehende war nicht begreifbar, wie die Musikerin und der Staatsmann zusammenpassten. Die meisten Beziehungen scheiterten daran, dass sie zu eng wurden. Dass man ohne den anderen einging. Salomè hatte ihre Tourneen, Marco sein Boschafterleben biografisch geprägt. Einfach war das nie gewesen. Diesem Leben lag eine Freiheit zugrunde, die ein Jakobiner niemals verstehen würde. Es war eine Freiheit, die einen atmen ließ.


Meinst du, Gino hätte etwas dagegen, wenn ich einen kleinen Wunsch beim Risotto äußerte?

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Marco Foscari
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Re: Das Ristorante „Repubblica“

Beitrag von Marco Foscari »

Er kannte diesen Ton. Einen "kleinen Wunsch" gab es in der Welt der Salomè Albizzi nicht. Foscari erinnert sich an das erste Mal in seinem Leben, als sie einen "kleinen Wunsch" in seiner Gegenwart ausgesprochen hatte. Das war 1785 gewesen, bei einem Empfang im Palazzo Semifreddo bei einer Abendveranstaltung. Es gab einen spritzigen Wein, pikantes Salzgebäck zur Einstimmung, dazu Schälchen mit Oliven.

Salomè, gerade mit einer kleinen Vorstellung fertig, trat zu einer Gruppe der Ritter von San Leone. Sie hakte nach - sichtlich verstimmt - wo sie den Hausherrn fände. Sie hätte einen "kleinen Wunsch". Sie könne so nicht arbeiten.

Zwei Stunden lang mussten vier Diener des Hauses das Piano verschieben, weil sie der Meinung war, dass dieses "schief" stehen würde. Zudem sei auch die Farbe des Pianoforte nicht dem Zweck gemäß und beiße sich überdies mit der Tapete. Salomè ordnete daher an, dass dieses umlackiert werden müsse, nämlich von dunkler Eiche in helleres Kirsch. Da keine Farbe im Haus vorrätig war, musste noch ein Kurier am selben Abend durch halb Palatina geschickt werden, Kutsche und Doppelgespann inklusive, weil Salomè sich weigerte, weiterzuspielen.

Als die Farbe endlich aufgetrieben, das Piano umlackiert und nach immer neuen Anweisungen das Pianoforte endlich an der richtigen Stelle stand, setzte sich Salomè auf den Klavierhocker - worauf ihr einfiel, dass sie an diesem Abend schwarze Oliven gegessen hätte. Es sei eine von sämtlichen bekannten Musiktheoretikern der Wiener Akademie verifizierte These, dass kein Pianospieler der Welt spielen könnte, wenn er schwarze statt grüne Oliven gegessen hätte.

Es war - aus für Foscari völlig unverständlichen Gründen - Salomès letzter Auftritt im Palazzo Semifreddo. Sie mokierte sich später darüber, dass das kirschfarbene Piano sich sowieso nicht mit ihrem Kleid vertragen hätte.

In einem Gestus, der zwischen einem kaltblütigen Politiker mit jahrelanger Erfahrung in der Beseitigung ideologischer Gegner, und der Stimmung eines nach 30 Jahren resignierenden Ehemanns tendiert, gibt er dem Chef des Hauses ein Zeichen.


Gino, per favore ...
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